Widerstand gegen IsraelHizbollah-Scheich: «Wir haben Raketen, unsere Lager sind gut gefüllt»
Scheich Naim Kassim schwört den gesamten Libanon auf einen langen Kampf ein. In seiner Rede zeigt er aber auch Interesse an einem Waffenstillstand mit Israel.
- Die Hizbollah-Miliz gilt als schwer geschwächt, was Scheich Naim Kassim bestreitet.
- Parallel zur Verbreitung seiner Rede schiesst die Hizbollah 105 Raketen auf den Norden Israels.
- Israel verstärkt unterdessen seine Bodenoffensive im Libanon.
Die Hizbollah schwört den Libanon auf den Widerstand gegen Israel ein. Gleichzeitig zeigen sich die Militanten aber interessiert an einem Waffenstillstand. Einer der wenigen noch lebenden Führer der schiitischen Organisation meldete sich am Dienstag in einer Videoaufzeichnung aus dem Untergrund zu Wort. Scheich Naim Kassim machte keinen Hehl daraus, dass die Hizbollah schwerste Schläge habe einstecken müssen: vor allem mit dem Tod ihres langjährigen Generalsekretärs Hassan Nasrallah und weiterer Kommandanten durch gezielte israelische Bombenangriffe auf unterirdische Kommandobunker in Beirut.
Kassim bestritt in seiner halbstündigen Rede aber, dass die Führung der Gruppe zerschlagen und die Waffenlager dezimiert seien. «Wir haben Raketen, und unsere Lager sind gut gefüllt», sagte er. Danach schwor er die eigene schiitische Anhängerschaft, aber auch den gesamten Libanon – also Christen, Sunniten und Drusen – auf «einen langen und harten Kampf» ein.
Offiziell hat die Organisation keinen Nachfolger ernannt
Der 71-jährige Kassim ist einer der wenigen Überlebenden der alten Hizbollah-Führungsgeneration. Er ist seit 1991 Vize-Generalsekretär und war damit Vertreter Nasrallahs. Bisher hat die Organisation keinen Nachfolger ernannt. Kassim käme infrage, möglicherweise wird die Organisation aber niemanden offiziell benennen, um ihn vor Attacken Israels zu schützen. Kenner der Hizbollah sagen, dass die Gruppe derzeit von einer «Schura», also einem islamischen Rat, geführt werde.
Kassim gab sich kämpferisch. Die Hizbollah stehe bereit zum Krieg am Boden im Südlibanon. Der «Widerstand» sei den Israelis überlegen. Dass deren Truppen bisher nicht tief ins Landesinnere hätten vorrücken können, zeige, dass sie bald «im libanesischen Sumpf» versinken würden. «Wir sind am Boden stark. Bald werdet ihr die Hilfeschreie der Israelis hören.»
Die Rede zeigt, wie angeschlagen die Miliz ist
Fast gleichzeitig mit der Ausstrahlung der Rede schoss die Hizbollah Raketen auf Ziele vor allem im Norden Israels. Insgesamt seien 105 Raketen registriert worden, teilte die israelische Armee mit. Die meisten der Geschosse seien abgefangen worden, einige aber auch in Vororten Haifas, der drittgrössten Stadt Israels, eingeschlagen. Eine Frau wurde demnach leicht verletzt.
Das israelische Militär gab ausserdem bekannt, dass die Offensive im Libanon ausgeweitet wurde. Man habe nun auch mit Bodeneinsätzen im Südwesten des Landes begonnen. Ziel der israelischen Armee ist es nach eigenen Angaben, die Hizbollah aus den Grenzgebieten zu verdrängen.
Kassims Rede zeigt, wie angeschlagen die radikalislamische Miliz ist. So machte er ein kaum verschleiertes Verhandlungsangebot und zeigte sich interessiert an einem Waffenstillstand: «Die Details der Übereinkunft kann man später regeln.» Jede Waffenstillstandsregelung müsse aber gerecht sein. «Wenn Israel weiter kämpfen will, wird auf dem Schlachtfeld entschieden.»
Die Bereitschaft der Hizbollah zu einem Waffenstillstand in offensichtlicher militärischer Bedrängnis ähnelt allerdings den Gesprächsangeboten der palästinensischen Hamas im Kampf gegen Israel. Diese hatte bei allen Verhandlungsofferten stets aus israelischer Sicht unerfüllbare Forderungen gestellt, etwa den Rückzug der Armee aus Gaza.
Israelische Vertreter im Südlibanon für Hizbollah undenkbar
Klar ist, dass die Hizbollah eine israelische Präsenz im Südlibanon nicht akzeptieren würde. Selbst der in der UNO-Resolution 1701 bindend vorgesehene – und von Israel seit Jahren geforderte – Rückzug aller Hizbollah-Kämpfer aus dem libanesisch-israelischen Grenzgebiet und damit hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss scheint für die Hizbollah bisher unvorstellbar zu sein. Es wäre aber das Minimum dessen, was jede Regierung in Jerusalem fordern würde.
Kassim sagte zudem, die Hizbollah stehe weiter zum Kampf der Hamas in Gaza. Auch den Schulterschluss mit dem Iran bekräftigte er in seiner Rede: Teheran unterstütze die Hizbollah weiterhin.
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