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Abtreibungsverbot in Texas
Hin und Her bei Abtreibungsverbot befeuert die Wahlkämpfe

60 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützen das Recht auf Abtreibungen: Kundgebung in Austin (Texas).
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Frauen sollten in Texas theoretisch ab sofort wieder abtreiben können. Bundesrichter Robert L. Pitman hat am Mittwochabend ein Gesetz des Staats ausser Kraft gesetzt, das seit dem 1. September die meisten Abtreibungen de facto verbietet. Es hindere Frauen illegal daran, selbst über ihr Leben zu bestimmen, obwohl das durch die Bundesverfassung garantiert werde, schrieb der Richter in seiner Stellungnahme. Sie geht auf eine Beschwerde des amerikanischen Justizministeriums zurück. Richter Pitman verbot staatlichen Angestellten in Texas, das Gesetz anzuwenden oder anderen dabei zu helfen.

Verfechterinnen von Frauenrechten schöpfen nun wieder Hoffnung, nachdem sie zuvor zahlreiche Rückschläge haben hinnehmen müssen. Sie hatten sich schon im politischen Prozess gegen das texanische Gesetz gewehrt, vergeblich angesichts der republikanischen Mehrheit in dem konservativ geprägten Staat. Auch vom Obersten Gericht der USA wurden sie enttäuscht: Mit 5:4 entschied der Supreme Court, das Gesetz nicht zu stoppen. Den Ausschlag gab die konservative Mehrheit in dem Gericht, die Donald Trump kurz vor seinem Abtritt noch abgesichert hatte, indem er Amy Coney Barrett als Nachfolgerin der liberalen Ruth Bader Ginsburg installierte.

Spannung vor Grundsatzurteil am 1. Dezember

Die Passivität des Obersten Gerichts hat Frauenrechtsgruppen alarmiert. Sie sehen darin ein Warnsignal, dass die konservativen Richterinnen und Richter das Abtreibungsrecht demnächst fundamental einschränken könnten. Gelegenheit dazu werden sie schon bald erhalten. Am 1. Dezember wird das Gericht einen Fall aus Mississippi diskutieren. Die republikanische Mehrheit in dem Staat hat ein Gesetz erlassen, das Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche unter Strafe stellt; in Kraft getreten ist es wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bisher nicht.

Das Gesetz in Mississippi steht in offensichtlichem Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung in den USA, die seit 1973 Bestand hat. Damals entschied das Oberste Gericht im Fall Roe v. Wade, dass Frauen das Recht auf straflose Abtreibungen bis etwa zur 24. Schwangerschaftswoche hätten. Dieser Grundsatz ist in keinem nationalen Gesetz festgeschrieben, sondern lediglich durch die Tradition der Rechtsprechung abgesichert. Nun könnte die konservative Mehrheit im Gericht die Tradition kippen, befürchten Aktivisten.

Neuerliche Wendung innert Tagen möglich

Der Erfolg in Texas kommt den Frauenrechtsgruppen darum sehr gelegen. Allerdings könnte auch er von kurzer Halbwertszeit sein. Die Justizbehörden von Texas haben bereits angekündigt, Berufung einzulegen, ein neues Urteil ist binnen weniger Tage möglich. Die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Wendung ist hoch, denn zuständig ist eine zweite Bundesgerichtsinstanz in Texas, die als streng konservativ gilt. Sollte sie das Urteil von Robert L. Pitman umstürzen, sind alle wieder zurück auf Feld 1: Das Oberste Gericht müsste erneut entscheiden, ob es die Verfassungsmässigkeit des texanischen Gesetzes überhaupt überprüfen will.

Die Unsicherheit bei Frauen und Abtreibungsmedizinern in Texas ist darum gross. Zwei Klinikbetreiberinnen teilten mit, sie würden so bald wie möglich wieder Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Über ihnen hängt jedoch ein Damoklesschwert: Sollte das texanische Gesetz später doch wieder in Kraft treten, könnten die Kliniken rückwirkend verklagt werden. Betroffenen Frauen bleibt damit vorerst oft doch nur die Reise in einen anderen Staat für eine legale Abtreibung, was gerade für sozial Benachteiligte schwierig ist.

Wahlkampfschlager Abtreibungen

Zahlreiche Staaten mit konservativer Mehrheit haben in den vergangenen Jahren versucht, den Zugang zu Abtreibungen einzuschränken. Die Demokraten versuchen nun, daraus wenigstens politisch Kapital zu schlagen: Gemäss Umfragen unterstützen rund 60 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner das Recht auf Abtreibungen. Gerade demokratische Wähler lassen sich mit dem Thema sehr gut mobilisieren, in den vergangenen Wochen protestierten landesweit Tausende Frauen. Entsprechend offensiv setzt die Demokratische Partei den Wahlkampfschlager nun ein.

In Virginia etwa, einem südlichen Staat in unmittelbarer Nachbarschaft der Hauptstadt Washington, liefern sich die Spitzenkandidaten ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das im November entschieden wird. Die Anhänger des Demokraten Terry McAuliffe mobilisieren mit einer Aufnahme des Republikaners Glenn Youngkin: Darauf sagt er, er wolle im Wahlkampf nicht über Abtreibungen reden, weil ihm das schaden würde. Einmal im Amt, werde er die Abtreibungsrechte dann schon einzuschränken wissen.

Das Weisse Haus nimmt den Ball ebenfalls dankbar auf. Die Zwischenwahlen im kommenden Jahr werden darüber entscheiden, ob Biden weiterhin mit einer knappen Mehrheit regieren kann, und bisher hat seine Regierung noch wenig geliefert, was seine Wählerschaft begeistert und an die Urnen lockt. Ein Thema mit hohem Mobilisierungspotenzial ist da hochwillkommen. Bidens Sprecherin Jen Psaki schrieb als Reaktion auf das jüngste Urteil zu Texas, der Präsident werde einen neuen Versuch unternehmen, die Grundsätze von Roe v. Wade in ein Gesetz zu giessen: «Der Kampf hat erst begonnen, sowohl in Texas als auch in vielen anderen Staaten im ganzen Land, in dem Frauenrechte derzeit unter Attacke sind.»

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