Transferskandal in ItalienHat auch Inter für die Champions-League-Millionen getrickst?
Der italienische Fussball wird einmal mehr neben dem Platz durchgeschüttelt. Nach Juventus Turin gerät auch der Meister ins Visier der Finanzjustiz.
Zum Ende des Jahres lernen die Leser italienischer Sportzeitungen gerade viele neue Begriffe aus der Welt der Buchhaltung – die jüngste Zugabe: «Window dressing». So nennt man Operationen, die dazu dienen, etwa die Bilanzen von Fussballvereinen dergestalt herzurichten, dass sie nach aussen ganz nett aussehen. Wie ein Schaufenster eben. Man kann es auch Buchhaltungskosmetik nennen. Die Frage ist nur, ob diese windigen Operationen und Kapriolen auch rechtens sind.
Die Guardia di Finanza, Italiens Steuerpolizei, hat nun auch die Vereinsbüros von Inter Mailand durchsucht, nachdem vor ein paar Wochen schon jene von Juventus Turin dran gewesen waren. Vier Stunden lang suchten die «Finanzieri» nach Dokumenten und Mails, Spielerverträgen und Banküberweisungen aus den Saisons 2017/18 und 2018/19. Die Mailänder Staatsanwaltschaft hat den Verdacht, dass Inter in diesen Jahren – wie Juventus – mit künstlich aufgeblasenen Transfergeschäften seine Bücher geschönt hat, um den Kriterien des Financial Fair Plays der Uefa zu genügen und an der Champions League teilnehmen zu dürfen. Oder krud ausgedrückt: Wurden Bilanzen gefälscht, damit das Millionenbusiness aus Europas Königsklasse nicht flöten ging?
Der Ausschluss aus der Champions League drohte
Schlagwort ist dabei wieder «Plusvalenza», Kapitalgewinn, eine der Haupteinnahmequellen im finanziell ständig etwas prekär agierenden Calcio. Bei Inter machten sie in den relevanten Jahren mehr als zehn Prozent des Gesamtumsatzes aus: 49,7 Millionen Euro per 30. Juni 2018, dem buchhalterischen Stichtag; 40,1 Millionen Euro Ende Juni 2019. Deshalb wurden die Mailänder Ermittler nun aktiv, sie hatten sich von den Turiner Kollegen inspirieren lassen.
Das Muster war immer dasselbe: Um die Bücher rechtzeitig in Ordnung zu bringen, verkauften die Vereine die Dienste von oftmals jungen, namenlosen Spielern zu einem völlig überteuerten Preis und kauften wiederum für ungefähr denselben Betrag die Dienste von Spielern des Abnehmers. Geld floss keines. Der Erlös aus dem Verkauf stand dann sofort als Gewinn zu Buche, der Kauf dagegen wurde auf mehrere Vertragsjahre verteilt. Die Passiva waren dünner, die Aktiva dicker.
2018 drohte Inter tatsächlich ein Ausschluss aus dem europäischen Wettbewerb. Als es dem Verein dann aber gewissermassen in letzter Minute gelang, eine ganze Reihe von Spielern mit stattlichen Erlösen zu verkaufen, wurde Sportdirektor Piero Ausilio wie ein Marktheld gefeiert. Jetzt werden zehn Transfers genauer angeschaut. Ein Grossgeschäft handelte Inter damals mit Atalanta aus, dem Verein aus dem nahen Bergamo. Die Mailänder kauften für viel Geld den jungen Innenverteidiger Alessandro Bastoni, den sie unbedingt wollten: 31 Millionen Euro. Eigentlich konnten sie ihn sich gar nicht leisten. Die Investition wurde auf mehrere Jahre angelegt, für die Amortisierung.
Im Rahmen dieser Operation schienen Spieler aus dem Nachwuchs von Inter auf, von denen das grosse Publikum noch nie gehört hatte und auch danach kaum je etwas hören sollte, die jedoch über Nacht einen erstaunlich hohen Marktwert hatten: Davide Bettella, Verteidiger, damals gerade volljährig geworden, wurde für 7 Millionen Euro weitergereicht – mit einem Kapitalgewinn für Inter von 6 Millionen und 949’000 Euro. Auch Marco Carraro, Mittelfeldspieler, Jahrgang 1998, sollte zu Atalanta wechseln. Für 5 Millionen Euro. In seinem Fall betrug die «Plusvalenza» 4,5 Millionen.
Beide spielten keine einzige Minute für die Bergamasken: Sie trainierten mal mit, dann wurden sie in die Provinz geschickt. Normalerweise wird die Eignung ja vorher geprüft. Bettella steht nun in Diensten von Monza in der Serie B, in dieser Saison hat er dort bisher erst 17 Minuten gespielt. Carraro spielt nach Stationen in Foggia, Perugia und Frosinone nun im kalabrischen Cosenza, ebenfalls zweite Liga. Aber immerhin: Er spielt regelmässig.
Inter verkaufte Spieler mit der Abmachung, diese im Jahr darauf zurückzuholen – zum selben Preis.
Wie immer bei diesen Geschichten gibt es eine Variabel, die den Vereinen unter der Lupe der Ermittler Hoffnung gibt: Die Berechnung des Marktwerts eines Spielers ist keine exakte Wissenschaft, keine objektive Kategorie. Und so konnten sich die Clubs bei ähnlichen Verfahren in der Vergangenheit oft retten. Gegen Inter und Milan zum Beispiel gab es 2003 einen Prozess, weil sie sich mit dem alten Trick Spieler zugeschoben hatten, um ihre Buchhaltungen zu schönen. Doch sie kamen davon.
Gerade jungen Spielern, deren Namen noch nicht in den Karteien von Spieleragenten stehen und die noch nie gehandelt worden sind, kann man Fantasiewerte andichten, sofern sich dafür Abnehmer finden lassen. Und selbst das war nicht immer wichtig. Inter zum Beispiel verkaufte Spieler bereits mit der Abmachung, sie im Jahr darauf zurückzuholen – für denselben Preis.
Manchmal geht die Rechnung auch schief. 2018 packte Inter Nicolò Zaniolo in eine Tauschoperation mit der AS Roma. Das Talent wurde auf 4,2 Millionen Euro geschätzt. Einige Monate und Spiele später war die Karteikarte des jungen Internationalen schon 30 Millionen wert. Real Madrid soll sogar 70 Millionen Euro geboten haben.
Gegen Inter, den amtierenden Meister und aktuellen Tabellenführer der Serie A, laufen erst Voruntersuchungen – gegen Unbekannt. Der Verein gibt sich gelassen. In einem Communiqué räumt man ein, der Justiz alle gewünschten Papiere ausgehändigt zu haben: «Unsere Bilanzen sind nach strengsten Prinzipien der Buchhaltung verfasst.»
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