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Ex-Fussballer Ljubo Milicevic
«Der Fussball liess mich zu einer Person werden, die ich nicht sein wollte»

Ljubo Milicevic war 20 Jahre lang Fussballprofi. Nun führt er in Sydney eine Kaffeebar. «Das ist meine Version des Paradieses.»
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Ljubo Milicevic sitzt am Strand, spürt den Sand auf seiner Haut, riecht das Salz in der Luft und meldet vom anderen Ende der Welt: «Ich bin eine gechillte Version meiner selbst.»

Milicevic, 40, Australier, sonnengebräunter Teint, tätowierte Arme, struppiges Haar, Typ Surferboy. Doch er hat aufgehört mit Surfen. Möchte nicht mehr mit den Wellen konkurrieren. Möchte frei sein von Wettbewerb und Wettkampf. Frei von jeglichem Konkurrenzdenken. Es hat ihn als Fussballprofi 20 Jahre lang geprägt.

«Ich gebe keinen Scheiss mehr auf Fussball.»

Fünfeinhalb Saisons verbrachte er in der Schweiz. Das Haar war kürzer, weniger struppig. Geblieben ist die markante, eingedrückte Nase. Sie klebt im Gesicht wie ein Symbol für den Fussballer Milicevic, der «mental an die Wand gefahren» wurde, wie er es formuliert.

Kicken am Strand? «Keine Chance»

Ljubo Milicevic galt als Jahrzehnttalent. Nicht nur in seiner Heimat. Mit 16 Jahren ging er ans Sportinternat in Canberra, mit 19 wurde er zum jüngsten Torschützen in einem australischen Meisterschaftsfinal. Er träumte von Weltmeisterschaften, von der Champions League, vom Ausland. Fragt ihn heute jemand, ob er mitspielt, bloss ein bisschen kicken am Strand, lehnt er ab: «Keine Chance.» Eine Ausnahme macht er bei den Kindern seines Bruders. «Aber sonst gebe ich keinen Scheiss mehr auf Fussball. Er liess mich zu einer Person werden, die ich nicht sein wollte.»

Interviews hat Milicevic keine mehr gegeben, jegliche Anfragen aus dem Fussball abgeblockt, seit er im Juli 2018 auf Instagram seinen Rücktritt verkündete. Die Botschaft kurz und simpel: «It’s over.» Dazu ein Bild, welches ihn jubelnd im Dress des FC Thun zeigt.

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Thun, «Postkartenort», sagt Milicevic. Er spielte mit den Berner Oberländern in der Champions League, Bundesligisten und Premier-League-Vertreter machten Avancen. Alles lief nach Traum. Trotzdem war es in Milicevic finster. Er kämpfte mit Depressionen. Zum ersten Mal erfasste ihn die Dunkelheit im Winter 2001/2002. Die Leidensgeschichte beginnt in Zürich.

Die Unterschrift mit Folgen in Zürich

Um die Jahrtausendwende spielt Milicevic mit Ivan Ergic bei Perth Glory. Als Ergic in Basel anheuert, empfiehlt er seinen Ex-Teamkollegen dem FCZ-Manager Erich Vogel, sagt, Ljubo könne man blind verpflichten – «der ist besser als ich». Vogel und Zürich schlagen zu, obwohl sich der Spieler soeben verletzt hat: Vierjahresvertrag, diffuse Klauseln, Kostenpunkt 500’000 Franken. 

Das Geld wird von einem privaten Investor aufgebracht. Er sichert sich Beteiligungen am allfälligen Weiterverkauf, sieht im 20-jährigen Australier ein Renditeobjekt. «Diesen Vertrag hätte ich nie unterschreiben dürfen», sagt Milicevic heute. «Ich war jung, naiv, wollte nach Europa.» Er spricht von Betrügern, korrupten Menschen. Deren Namen will er nicht in einem Artikel über sich lesen. 

«In Zürich zog mich zum ersten Mal diese Spirale aus Verletzungen und Dunkelheit nach unten.»

Beim FCZ wird der Verteidiger Opfer eines Machtkampfs zwischen Manager Vogel und Trainer Georges Bregy. So erzählt das ein früherer Clubangestellter.

Vogel verlässt den Letzigrund. Milicevic ist verletzt und aussen vor, wohnt monatelang im Hotel, fühlt sich im Stich gelassen vom Club, vermisst die Heimat, hat weder in der Garderobe noch auf dem Teamfoto Platz. In seinem Innern fühlt es sich an, als habe jemand um ihn herum die Vorhänge zugezogen. «Zum ersten Mal zog mich diese Spirale aus Verletzungen und Dunkelheit nach unten.» Er verspürt den Wunsch, sich allen und allem zu verschliessen. 

Im Juli 2002, nach überstandener Verletzung und guten Trainings, holt Bregy den Verteidiger ins Team. Milicevic sagt zum Trainer: «Ihr habt mich neun Monate lang weder angesehen noch mit mir gesprochen. Ich war nicht gut genug für euch, als ich verletzt war. Nun kriegt ihr mich auch nicht, wenn ich ins Fliegen komme.» Er läuft davon, weigert sich, für den FCZ zu spielen, findet Unterschlupf in Basel.

Ein Sportchef sagt: «Mit Milicevic wollte man Spiele treiben»

Beim FCB fühlt er sich gut behandelt, kommt aber in der Innenverteidigung nicht am Duo Murat Yakin / Marco Zwyssig vorbei. Er wird an Thun ausgeliehen, verletzt sich an der Leiste, trainiert nach der Rückkehr «wie ein Verrückter», wird Stammspieler. Thun beendet das Championat auf Platz zwei, qualifiziert sich 2005 sensationell für die Champions League.

Ein Höhepunkt: Ljubo Milicevic spielt mit Thun in der Champions League gegen Arsenal und Robin Van Persie.

«Ich wurde die ganze Zeit manipuliert. Das machte mich kaputt.»

Der Verteidiger hat endlich Halt gefunden, ihm ist wohl im Team, in der Stadt, Freundschaften entstehen, die bis heute anhalten. Nur: Frei von mentaler Last ist Milicevic nicht. Vom Investor wird er unter Druck gesetzt, er solle anderswo einen höher dotierten Vertrag unterschreiben. Ein Mittelsmann spannt die Fäden, hofft ebenfalls auf Profit. «Ich wurde die ganze Zeit manipuliert. Das machte mich kaputt.»

Ein langjähriger Sportchef erinnert sich: «Sie haben Milicevic überall angeboten und unheimlich viel Geld verlangt. Er war ein guter Typ. Aber du hast gespürt, dass um ihn herum einiges nicht stimmt. Mit ihm wollte man Spiele treiben.»

Zu schaffen macht Milicevic auch, dass im Team die Prämien für das Erreichen der Champions League ungleich verteilt werden, einige dreimal mehr erhalten. Die Kritik äussert er lautstark.

Homophobie? Nicht mit ihm

Eine weitere Anekdote erzählt ein ehemaliger Thun-Profi: Der Trainer, mittlerweile ist Heinz Peischl im Amt, habe zu den Spielern wiederholt gesagt, sie würden homosexuelle Pässe spielen. Nur einer sei in der Garderobe aufgestanden – Milicevic: «Was soll das? Hast du ein Problem mit Homosexuellen?» Peischl habe die Worte nie mehr verwendet.

Milicevic sagt: «Man kann mir vieles vorwerfen. Aber ich stand ein für die anderen, für mich, wenn ich etwas als ungerecht empfand.» Vielleicht wird er auch deshalb Captain – in Thun, nach seinem Wechsel im Sommer 2006 auch in Bern.

Führungsfunktion trotz Depressionen: Milicevic war Captain in Thun und – im Bild im Zweikampf mit dem Thuner Leandro – bei YB.

Bei YB hat nicht nur das Wort des Australiers Gewicht. Bald wiegt er über 100 Kilogramm – weil er die Depressionen mit Schokolade bekämpft. Trainer Gernot Rohr und ein paar Mitspieler wollen helfen. Doch Milicevic tut, was er in Zürich, in Basel, in Thun getan hat: Er lässt sich nicht helfen – «der Kopf liess es einfach nicht zu». Sportlich setzt er den unrühmlichen Rekord des frühesten Platzverweises in der höchsten Schweizer Spielklasse: 20. August 2006, Aarau - YB, Rot nach 52 Sekunden.

«Ich war mental am Ende. Mein Herz und meine Seele waren weg.»

Milicevic sagt, er hätte sich gewünscht, in Bern an seine Leistungen mit Thun anzuknüpfen. «Es ging nicht. Ich war mental am Ende. Mein Herz und meine Seele waren weg.» Der Verteidiger sieht nur einen Ausweg: zurück in die Heimat. Er löst den Vertrag auf, ist spätestens jetzt kein Renditeobjekt mehr.

Zwei Jahre Isolation – die dunkelste Phase seines Lebens

Es folgen Engagements in Australiens A-League: Melbourne City, Newcastle, South Melbourne. Immer wieder streiken Kopf und Körper. Manchmal lebt, sitzt und schläft er tagelang auf dem Sofa, lässt Trainings und Spiele sausen, hält sich an der Wand fest, wenn er auf die Waage steht. «So versuchte ich die Scham darüber zu verbergen, was aus mir geworden war. Mindestens 10 Kilogramm zu schwer, komplettes Burn-out, einmal mehr.»

Milicevic im Dress der Newcastle Jets 2010: «Mindestens 10 Kilogramm zu schwer – komplettes Burn-out.»

Mit dem Wechsel zu Hajduk Split erfüllt sich der Sohn kroatischer Einwanderer einen letzten sportlichen Wunsch. Vier Spiele, Verletzung, vorzeitige Trennung. Als Milicevic Split und Kroatien verlässt, verlässt er den Fussball «in Gedanken endgültig» – und mit ihm in gewisser Weise sein Leben. Zwar unterschreibt er, mittlerweile 32, im Sommer 2013 bei Perth Glory. Doch nach wenigen Wochen ist er weg, für niemanden mehr sicht- und erreichbar. Es folgt die dunkelste Phase seines Lebens.

Milicevic verschliesst sich den Mitmenschen. Isoliert sich selbst von den Eltern, dem Bruder, der Schwester. Konsumiert Süssigkeiten und Pornografie. Nimmt weder Anrufe entgegen, noch öffnet er die Tür, wenn es klopft oder klingelt. Zwei Jahre lang. Er sagt: «Menschen sind dazu geschaffen, Emotionen und Gefühle auszutauschen. Damals hätte ich auch ein Backstein sein können.»

«Ich lernte, all die Erwartungen und den Druck gehen zu lassen.»

Im Fernsehen läuft die Fussball-WM 2014. Er hätte Teil des australischen Teams sein können, denkt Milicevic. Und beginnt, das Erlebte zu verstehen, bewusst zu verarbeiten. Der Druck, die ständige Aufmerksamkeit, die Machenschaften: All das hat ihn erstickt. 

Im Kopf macht es klick, «Gehirn durchgespült», sagt Milicevic. Er löscht das Spitzensportmodell aus dem Speicher, mit dem er aufgewachsen ist. Ein Modell, in dem der Wert eines Menschen am Erfolg und an materiellen Dingen gemessen werde. «Ich lernte endlich, all die Erwartungen und den Druck gehen zu lassen.»

Step by step füllt er den Körper wieder mit Leben. Er öffnet sich, geht raus, in den ersten Wochen nur kurz in den Hinterhof, später ans Meer, hofft, Welle um Welle bringe ihm ein Stück Energie, Mut und Lebensfreude zurück. Doch vorerst ist Ebbe. Milicevic macht Liegestütze, Rumpfbeugen, Yoga, Meditation, irgendwann kommt die Flut.

«Es fühlt sich an, als hätte ich viele Leben gelebt.»

Nochmals kehrt er zurück auf den Fussballplatz, gibt nach zwei Engagements in unterklassigen Ligen offiziell den Rücktritt. 28. Juli 2018, «it’s over».

Am Bondi Beach das Paradies gefunden

Mittlerweile führt Milicevic in Sydney eine Kaffeebar. Am Bondi Beach an bester Lage. Gleich um die Ecke liegt sein kleines Apartment: antike Lampen, Vintage-Möbel, ein paar Spiegel, aber kein Bild aus der Profizeit, kein Fussballtrikot. Er hat alle Leibchen verschenkt – die selbst getragenen wie die getauschten: Sebastian Deisler vom Länderspiel gegen Deutschland, Freddie Ljungberg von Arsenal, Jamie Carragher von Liverpool, Marcelo Zalayeta von Juventus. Und so weiter. «Dieses Leben habe ich hinter mir gelassen.»

Milicevic hat gelernt, differenziert zurückzublicken. Verbitterung verspürt er keine mehr. «Ich durfte die Welt bereisen, in vollen Stadien spielen, Träume leben. Heute weiss ich: Ich gehöre zu den Glücklichen. Es fühlt sich an, als hätte ich viele Leben gelebt.»

Das jetzige beschränkt der Australier bewusst auf einen kleinen Kreis: Apartment, Kaffeebar, Strand, eine Handvoll ihm nahestehende Leute. That’s it. «Jeder Mensch hat seine Version des Paradieses. Das hier ist meine.»

«Auf Instagram schüren wir die Erwartung, man müsse immer glücklich sein. Bullshit! Es ist okay, sich schlecht zu fühlen.»

Selbst im Paradies wird es ab und an finster. Milicevic hat den Fussball hinter sich gelassen, nicht aber die Dunkelheit. Doch sie umklammert ihn nicht mehr, legt sich eher wie ein warmer Mantel um ihn. Weil er die negativen Gedanken akzeptiert, aber nicht mehr zulässt, dass sie sein Leben kontrollieren. «Auf Instagram und Facebook schüren wir die Erwartung, man müsse immer glücklich sein. Bullshit! Es ist okay, sich schlecht und hilflos zu fühlen», sagt Milicevic. «Gute und schlechte Emotionen kommen und gehen. Solange du geerdet bist, hast du eine bessere Chance, durchs Leben zu kommen.»

Ljubo Milicevic sitzt am Strand, spürt den Sand auf seiner Haut, riecht das Salz in der Luft und meldet vom anderen Ende der Welt: «Ich bin geerdet.»

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