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Meinung

Leitartikel zur Stromkrise
Hände weg von den Naturjuwelen!

Der Umweltschutz muss für einen raschen Umbau der Energieversorgung nicht angegriffen werden. Es gibt genügend Alternativen für den Solarbau: Fotovoltaik auf Lawinenverbauungen in Bellwald, Kanton Wallis.
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Es sind nicht die Klimaforscher. Es ist nicht die sogenannte Klimajugend. Und es sind nicht die erstarkten grünen Kräfte im Parlament: Es ist ein Krieg, der Fahrt in die seit Jahren verschleppte Energiepolitik bringt. Die Furcht vor Stromausfällen, knappem Gasangebot und einer schwächelnden Wirtschaft wirkt offenbar stärker als all die Hochwasser und Dürren der letzten Jahre.

Der Ständerat hat diese Woche für den Ausbau der erneuerbaren Energie ehrgeizige Ziele gesetzt. Die Stromproduktion vor allem durch Solarenergie soll bis 2035 um das Fünffache wachsen. Das ist die gute Nachricht.

Die schlechte ist: Der Ständerat gefährdet die Offensive auch gleich wieder. Der Bau von Fotovoltaik-Grossanlagen in den Alpen soll beschleunigt werden – mit einem dringlichen Gesetz, das bewährte Instrumente ausser Kraft setzt: Es bräuchte für solche Projekte weder eine Umweltverträglichkeitsprüfung noch eine Planungspflicht – das Verbandsbeschwerderecht würde so ausgehebelt. Laut Juristen des Bundes fehlt dafür die Verfassungsgrundlage. Folgt der Nationalrat dem Ständerat, droht ein obligatorisches Referendum. Lehnen Volk und Stände das Vorhaben ab, droht eine Blockade. Doch zusätzlichen Zeitverlust können wir uns nicht leisten, bis 2050 will die Schweiz eine klimaneutrale Energieversorgung.

«Der Ständerat provoziert Widerstand mit seinem Angriff auf wertvolle Schutzgebiete.»

Widerstand provoziert der Ständerat auch mit seinem Angriff auf wertvolle Schutzgebiete wie etwa die Greina-Ebene. Solche Biotope von nationaler Bedeutung machen bloss zwei Prozent der Landesfläche aus, sind jedoch Heimat für ein Drittel der bedrohten Tier- und Pflanzenarten der Schweiz. Der erhoffte Stromgewinn stünde also in keinem Verhältnis zum grossen Risiko, diese Naturjuwelen zu zerstören. 

Immerhin hat der Ständerat in anderen Punkten mehr Augenmass bewiesen als seine vorberatende Kommission. So hat er davon abgesehen, alle Umwelt- und Naturschutzgesetze zugunsten des Energieausbaus zu schwächen. Er verzichtet insbesondere darauf, die Bestimmungen zum Restwasser unterhalb von Stauseen zu sistieren – und verhindert so ökologischen Schaden in Gewässern, die ohnehin schon belastet sind.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt der runde Tisch Wasserkraft, den Energieministerin Simonetta Sommaruga 2020 initiiert hat. Wasserwirtschaft, Umweltverbände, Bund und Kantone haben gemeinsam 15 Wasserkraftprojekte identifiziert, die bei möglichst geringen ökologischen Folgen möglichst viel Strom bringen sollen. Dieses Vorgehen wäre auch bei der Wind- und Solarkraft sinnvoll. Allerdings müssten diese partnerschaftlich erarbeiteten Projekte in der Folge per Gesetz Vorrang vor den Schutzinteressen erhalten; das würde den Kampf gegen solche Vorhaben praktisch aussichtslos und damit Einsprachen weniger wahrscheinlich machen. 

Solarpflicht ist sinnvoll 

Der ständerätliche Angriff auf den Umweltschutz ist auch deshalb unverständlich, weil es bessere Alternativen gibt: Gebäude und andere Infrastrukturen – auch in den Alpen – bieten genügend Fläche, um einen beträchtlichen Teil der angepeilten Solarenergie zu produzieren. Die Politik hat den Ausbau in den letzten Jahren allerdings nur halbherzig vorangetrieben. Das rächt sich nun. 

Der Bau von Fotovoltaikanlagen auf Hausdächern kann durch eine umfassende Solarpflicht beschleunigt werden: Siedlung Grünmatt in Zürich.

So bleibt eigentlich nur die Option der Solarpflicht: Nicht nur Neubauten sollen einen Teil des Stroms selber produzieren müssen, sondern auch bestehende Häuser. Immerhin, die Kantone haben erkannt, dass diese Massnahme nötig ist – ein Signal, das nun hoffentlich auch beim Parlament in Bern ankommt. Eine umfassende Solarpflicht dürfte jedoch wenig populär sein. Sie wird in der breiten Bevölkerung nur Zuspruch finden, wenn Hauseigentümer von Bund und Kantonen finanzielle Hilfe erhalten und der bürokratische Aufwand minimal sein wird.

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung hat der Ständerat bereits gemacht: Hausbesitzer sollen für den Solarstrom, den sie ins öffentliche Netz einspeisen, in Zukunft überall gleich viel Geld erhalten. Heute ist die Vergütung je nach Wohnort unterschiedlich hoch – und in vielen Fällen zu tief, um einen Anreiz für den Bau eigener Solaranlagen zu schaffen.

Grosses Absturzrisiko 

Das Beispiel zeigt: Der Ständerat hat nicht nur schlechte Arbeit geleistet. Hier muss der Nationalrat anknüpfen. Nicht hinnehmen darf er hingegen, dass der Umweltschutz Opfer der Energiewende wird. Politisch wäre das Absturzrisiko einer solchen Vorlage gross. 

«Nur eine austarierte Vorlage hat gute Chancen, auch vor dem Volk.»

Zwar zeigen aktuelle Umfragen: Die Bevölkerung ist unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs offenbar bereit, für eine sichere Energieversorgung Abstriche beim Natur- und Umweltschutz hinzunehmen. Wie weit sie dabei ginge, ist allerdings unklar. Schon zweimal in jüngerer Vergangenheit haben die Politiker die Befindlichkeit der Bevölkerung falsch eingeschätzt: beim CO2-Gesetz 2021 und beim Jagdgesetz 2020. Das Stimmvolk sagte zweimal Nein.

Das sollte Warnung genug sein. Nur eine austarierte Vorlage hat gute Chancen, auch vor dem Volk.