Gemeinderatswahlen Stadt ZürichSP verliert | GLP und Grüne legen zu | Die Mitte ist zurück | Linke Mehrheit hält sich knapp
Die Zürcherinnen und Zürcher haben ein neues Parlament gewählt. Die Linke verteidigt ihre Mehrheit, aber nur um einen Sitz.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Das Wichtigste in Kürze:
Zwei Überraschungen gibt es: Die SP verliert deutlich in allen Kreisen, die FDP kann zulegen.
Auch die AL schneidet schlechter ab als noch vor vier Jahren.
Die SVP setzt ihren Sinkflug von 2018 fort.
GLP und Grüne legen zu.
Die Mitte kehrt zurück ins Parlament, sie hat in drei Wahlkreisen die 5-Prozent-Hürde geknackt. Die EVP verbleibt im Gemeinderat.
SP, Grüne und AL halten gemeinsam weiterhin eine knappe Mehrheit von 63 Sitzen im 125-köpfigen Gemeinderat.
Für wen haben Sie sich entschieden und weshalb? Nehmen Sie hier an unserer Nachwahlbefragung teil.
Hier geht es zu den Resultaten der Stadtratswahlen.
Wahlbeteiligung doch nicht höher?
Es gibt immer noch keine Resultate zu den Parlamentswahlen.
Das erste Ergebnis zu den Exekutivwahlen – aus dem Kreis 12 – lässt den Schluss zu, dass die Wahlbeteiligung mit 2018 vergleichbar sein wird. In Schwamendingen haben sich heute 28,8 Prozent an der Stadtratswahl beteiligt. Vor vier Jahren waren es 28,5 Prozent. Der Kreis 12 weist regelmässig die schlechteste Beteiligung der Stadt aus.
Stadtweit haben 2018 42,3 Prozent der Stimmberechtigten die Stadträtinnen und Stadträte gewählt.
Bei den eidgenössischen Abstimmungen von diesem Wochenende haben mehr Stimmberechtigte mitgemacht. Die Stimmbeteiligung beim Mediengesetz lag in der Stadt bei 51,2 Prozent.
Zuversichtliche Grüne und GLP
Die Grünen und Grünliberalen gelten als mögliche Wahlsieger. Felix Moser, Präsident der Grünen, sagt, die Partei habe sich keine konkreten Ziele gesetzt. Doch vier Sitzgewinne hält er für durchaus möglich. Luca Maggi (Grüne) zeigt sich selbstbewusst: «Wir haben einen engagierten Wahlkampf geführt und viele Junge mobilisieren können.» Er erhofft sich, dass die Linke so stark bleibt wie bis anhin und vielleicht noch etwas diverser wird. Damit zielt er auf die SP, die klar stärkste Partei der Linken.
Nicolas Cavalli, Co-Präsident der GLP, geht im Best-case-Fall sogar von fünf zusätzlichen Sitzen aus. Dazu müssten die Grünliberalen aber das Resultat der letzten Nationalratswahlen bestätigen, als die GLP 14 Prozent der Stimmen holten (Gemeinderat 2018: 10,5 Prozent).
CVP hofft auf tiefe Stimmbeteiligung
Markus Hungerbühler (Die Mitte) hofft auf eine eher tiefe Wahlbeteiligung. Er sagt: «Wir kleinen Parteien profitieren eher davon, wenn weniger an die Urne gehen.» Er erhofft sich ausserdem, dass der Namenswechsel von CVP auf Die Mitte der Partei in der Stadt helfen könnte. «Gerade in den linken Städten hat das C viele abgeschreckt.»
Als die SP die absolute Mehrheit hatte
Die folgenden Zahlen werden alle Parteien zum Träumen bringen. Es sind die Rekordzahlen an Mandaten im 125-köpfigen Gemeinderat. So erreichte die SP bei zwei Wahlgängen Anfang der 1930er Jahre die alleinige und absolute Mehrheit. Auffällig: Drei Parteien haben bei den letzten Wahlen ihr Topresultat erreicht.
Hier ist die Liste zum Schwelgen (in Klammern die Sitzzahl von 2018 und das Jahr des Rekords):
SP 63 (43; 1931/1933)
FDP 54 (21; 1901)
LdU 37 (0; 1942)
SVP 31 (17; 2002)
CVP 19 (0; 1962/1974/1978/1982)
PdA 19 (0; 1946)
Grüne 16 (16; 2018)
GLP 14 (14; 2018)
EVP 12 (4; 1970)
AL 10 (10; 2018)
Einschätzung von Gemeinderats-Schwergewichten
Sie stehen im Stadthaus Seite an Seite und warten gemeinsam auf die ersten Resultate: FDP-Präsident Severin Pflüger und SP-Fraktionschef Davy Graf. Pflüger beschreibt seine Gefühlslage in Bezug auf den Wahlausgang kurz vor 14.30 Uhr so: «Gelassen, ohne Erwartungen. Es kann alles passieren.» SP-Fraktionschef Davy Graf prophezeit: «Der Himmel ist blau, aber Zürich bleibt rot.»
Blöcke sind selten allein an der Macht
Seit 2018 hat Rot-grün, bestehend aus SP, Grünen und AL, mit 69 von 125 Sitzen die Mehrheit. Das war bereits 2006 der Fall gewesen, allerdings äusserst knapp mit 63 Sitzen. Wacklig wars immer wieder. 2014 und 2002 fehlte derselben Allianz eine Stimme für die Mehrheit. Die Mitteparteien wie GLP, EVP und CVP hatten dadurch mehr Macht, waren das Zünglein and er Waage, was sie auch genossen.
Lupenreine bürgerliche Mehrheiten, also ohne Beteiligung von Mitte-Parteien, gab es in den letzten 100 Jahren keine.
Auszählung läuft gut
Gemäss Aussage von Christina Stücheli, Sprecherin des Stadtrats, läuft die Auszählung in den Wahlkreisen im vorgesehenen Rahmen. Bisher gab es keine Pannen. Das heisst, es ist mit ersten Resultaten um 15 Uhr zu rechnen.
1919: Wahlbeteiligung von 90,8 Prozent
Erwartet wird dieses Jahr eine hohe Wahlbeteiligung. Gemäss Politgeograf Michael Hermann hat die Corona-Krise die Menschen repolitisiert. Es könnte eine Beteiligung zwischen 45 bis 50 Prozent oder gar noch höher geben. Die Stadt gab am Samstag eine Beteiligung von 56,8 Prozent an, doch erfahrungsgemäss beteiligen sich mehr Menschen an den gleichzeitig stattfindenden eidgenössischen Abstimmungen als an den lokalen Wahlen.
Früher beteiligten sich prozentual noch mehr Stimmberechtigte. 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg und dem Landesstreik, beteiligten sich 90,8 Prozent der stimmberechtigten Männer an der Gemeinderatswahl. Die höchste Beteiligung seit der Einführung des Frauenstimmrechts wurde gleich sofort im Jahr 1970 mit 56,9 Prozent erreicht.
Die tiefste Wahlbeteiligung war 2006 mit 33,7 Prozent. Vor vier Jahren lag sie bei 43,9 Prozent.
Stimmung vor dem Stadthaus
Die Stimmbeteiligung in der Stadt lag am Samstag bereits bei 56,8 Prozent. Vor dem Stadthaus hat es am Sonntagmorgen zwar keine Schlange, aber die Stimmung ist umtriebig. Wir haben Wählerinnen und Wähler gefragt, was sie sich für ein Resultat der Erneuerungswahlen wünschen und weshalb.
Amiel Grünberg
«Grundsätzlich machen alle Stadträte und Stadträtinnen ihren Job gut. Dennoch, Zürich ist mir zu links-grün. Es braucht mehr Gegengewicht. Ich wähle FDP, es braucht einen rechts-liberalen Gegenwind.»
Nonnetta Tschanz
«Ich wähle SP. Bezahlbarer Wohnraum ist mir wichtig. Besonders für ältere Menschen, für Flüchtlinge und für Menschen mit wenig Geld.»
Michael Bachmann
«Tempo 30 und günstiger Wohnraum sind mir wichtig. Ich bin zuversichtlich, rot-grün wird gewinnen. Nebst allen rot-grünen Stadtratskandidierenden habe ich noch zwei Freisinnige in den Stadtrat gewählt. Der Mix ist wichtig. Die Sozialdemokraten sollen sich nicht ausruhen.»
Janine und Ava Frick
Janine Frick: «Ich wünsche mir mehr Velowege und eine grünere Stadt.»
Ava Frick: «Ich wähle Dominik Waser. Er gibt mir Hoffnung, dass endlich jemand etwas in die Hand nimmt. Es soll punkto Klimapolitik endlich vorwärts gehen.»
Aufgezeichnet von Lara Blatter
Auftakt
Willkommen zur Live-Berichterstattung zu den Zürcher Gemeinderatswahlen. An dieser Stelle informieren wir Sie in den nächsten Stunden über die neusten Resultate, liefern Reaktionen und analysieren den Wahlverlauf. Die Stadtkanzlei erwartet erste Resultate au den Wahlkreisen um circa 15 Uhr. Bis das Endergebnis da ist, kann es durchaus bis 20 Uhr dauern.
Nachwahlbefragung
Für wen haben Sie sich entschieden? Wem geben Sie Ihre Stimme und weshalb?
Sagen Sie es uns, und nehmen Sie an der durch die Forschungsstelle Sotomo durchgeführten Wahlumfrage teil.
Rollt die grüne Welle weiter?
Die Grünen und die GLP kamen vor vier Jahren auf einen Wähleranteil von 12 Prozent (+1,4 Prozentpunkte) beziehungsweise 10,5 Prozent (+0,3). Nur ein Jahr später waren es bei den Kantonsratswahlen dann 4,4 beziehungsweise 3 Prozentpunkte mehr als bei den Gemeinderatswahlen. Bei den Nationalratswahlen wenige Monate später erreichten die Grünen in der Stadt Zürich sogar 20,4 und die GLP 15,7 Prozent Wähleranteil. Wahlen auf diesen unterschiedlichen Ebenen lassen sich nicht leicht vergleichen, doch der Trend ging für die grünen Parteien durchwegs nach oben.
Die grüne Welle zeigt sich auch in anderen Kantonen. Seit 2019 haben in zwölf Kantonen Wahlen stattgefunden. Die Grünen legten dabei um 37 Sitze zu, die GLP um 29 Sitze – so viele wie keine anderen Parteien. Doch die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. 2020 blieben die Grünen im Aargau unter ihren Möglichkeiten. In sechs der zehn Kantone, in denen sie als eigenständige Kraft antraten, hatten sie in der Legislatur davor Sitze verloren. Ähnlich sieht das bei den Grünliberalen aus, die in fünf Kantonen in der Legislatur davor Sitzverluste hatten hinnehmen müssen. (zac)
Hält sich die FDP?
Die Freisinnigen führen seit vier Jahren die Opposition an. Sie haben 2018 mit 16,2 Prozent erstmals seit 16 Jahren wieder mehr Wähleranteile geholt als die SVP. Allerdings ist der Trend bei der FDP ungünstig. Bei den kantonalen Wahlen 2019 hat die FDP in der Stadt 2,3 Prozentpunkte gegenüber den Gemeinderatswahlen verloren. Und bei den nationalen Wahlen sank der Wähleranteil sogar auf 11,8 Prozent, was 4,4 Prozent weniger sind.
Setzt die SP den Siegeszug fort?
Spricht man mit Sozialdemokraten, fürchten viele eine Wahlniederlage. Zwar zeigte sich die SP in den vergangenen Jahren immer eher pessimistisch, doch in diesem Jahr sind die Ängste durchaus berechtigt. Dies vor allem, weil der Wahlerfolg vor vier Jahren in der Stadt Zürich überwältigend war. Mit 3,5 Prozentpunkten legte die Partei deutlich zu, kam auf einen Wähleranteil von 32,7 Prozent und errang im Parlament 43 Sitze, also 4 zusätzliche.
In der Zwischenzeit sind die Grünen bei kantonalen und nationalen Wahlen erstarkt, während die SP eher verloren hat. Bei den Zürcher Kantonsratswahlen kam die SP in der Stadt noch auf 27,6 Prozent, bei den nationalen sogar nur noch auf 25,6 Prozent. Auch hier lassen sich die verschiedenen Ebenen aber nicht einfach so vergleichen. (zac)
Kommt die linke Mehrheit in Bedrängnis?
Ob es im Parlament zu einer Verschiebung der Mehrheiten kommt, hängt massgeblich davon ab, wie die Grünliberalen, die EVP und Die Mitte (früher CVP) abschneiden.
Die politische Mitte ist aktuell mit zwei Parteien im 125-köpfigen Gemeinderat vertreten. Die Grünliberalen haben 14, die EVP 4 Sitze. Bei den Wahlen 2018 scheiterte Die Mitte an der 5-Prozent-Hürde, die besagt, dass nur in den Gemeinderat einziehen darf, wer in mindestens einem Wahlkreis 5 Prozent Wähleranteil erreicht. Die Mitte verpasste dieses Ziel 2018 haarscharf. Hätten nur 20 Stimmende mehr im Wahlkreis 9 die CVP-Liste unverändert in die Urne geworfen, hätte die Partei wohl mit fünf Sitzen im Stadtparlament verbleiben können; die SP hätte dafür zwei und Grüne, GLP und SVP je einen Sitz weniger. Die linke Mehrheit wäre also von 69 auf 66 Sitze gesunken.
Die Mitte will bei diesen Wahlen zurück in den Gemeinderat, tritt in allen Wahlkreisen an, aber fokussierte ihren Wahlkampf auf jene Kreise, in denen sie realistische Chancen hat, die 5-Prozent-Hürde zu knacken. Das sind insbesondere die Wahlkreise 9 und 12, also Albisrieden/Altstetten und Schwamendingen. Gleiches gilt für die EVP.
Die Grünliberalen haben ihrerseits 5 Sitzgewinne zu ihrem Wahlziel erklärt. Sie möchten wieder zur Mehrheitsmacherpartei im Gemeinderat werden. Um dies zu erreichen, müsste sie vor allem der SP Stimmen abjagen, um so den linken Block zu schwächen.
Verbleibt die EVP im Stadtparlament, kehrt Die Mitte zurück und wird die GLP von der grünen Welle zu einem Höhenflug getragen, käme die linke Mehrheit unter Druck, selbst dann, wenn FDP und die SVP ihre Wähleranteile nur halten könnten.
Aber sowohl SVP und FDP haben selbstverständlich grössere Ziele. Die SVP versuchte im Wahlkampf, mit zwei Initiativen zu mobilisieren. Die eine knöpft sich Abgangsentschädigungen für Behördenmitglieder vor, die andere die Tempo-30-Offensive der Stadt. Es soll verhindert werden, dass das Tempo auf Hauptverkehrsachsen gesenkt wird.
Die FDP hat ihrerseits viel Wahlkampf in den sozialen Medien betrieben. Mit Videos und Inseraten waren die Freisinnigen sehr präsent. Ihre Message: Wir alle sind die Wirtschaft. Zuletzt gab aber vor allem auch die AKW-Debatte zu reden, die sogar von einem eigenen Mann neu lanciert worden war: Hans-Jakob Boesch ist Stadtzürcher und Präsident der kantonalen FDP. (sip)
Fehler gefunden?Jetzt melden.