«Guantánamo-Deal»Wie die 9/11-Terroristen dem Todesurteil entgehen
Seit 2012 wurde gegen Drahtzieher der Terroranschläge auf das World Trade Center und das Pentagon verhandelt. Nun wollen die Angeklagten gestehen.
Er gilt als Architekt der Anschläge vom 11. September 2001: Nun will Chalid Scheich Mohammed, eines der ranghöchsten Mitglieder von al-Qaida, seine Taten gestehen. Mehr als zwei Jahre sollen die vertraulichen Verhandlungen zwischen seinen Anwälten und der zuständigen Staatsanwaltschaft gedauert haben. An deren Ende steht nun ein Brief an die Hinterbliebenen der 2976 bei den Terroranschlägen getöteten Menschen, verfasst vom Leitenden Staatsanwalt.
Am Mittwoch erreichte die Angehörigen das Schreiben, demzufolge Chalid Scheich Mohammed und zwei weitere Angeklagte, Walid bin Attash und Mustafa al-Hawsawi, sich in allen Anklagepunkten für schuldig bekennen wollen. Dafür werden sie nach einer Verurteilung wohl der Todesstrafe entgehen. Stattdessen sind lebenslange Haftstrafen wahrscheinlich.
Für die Angehörigen, die seit fast 23 Jahren auf Gerechtigkeit hoffen, könnte diese Verständigung bedeuten, dass sie nun endlich abschliessen können. Am Mittwoch hatte das Pentagon dem Vorgehen zugestimmt. Die genauen Bedingungen wurden dabei nicht bekannt.
Obama wollte Guantánamo schliessen lassen – vergeblich
Die drei Männer wurden 2008 und 2012 mit zwei weiteren Verdächtigen, Ali Abdul Aziz Ali und Ramzi Binalshibh, angeklagt, die Terroranschläge auf das World Trade Center in Manhattan und das Pentagon in Washington D.C. geplant und koordiniert zu haben. Die Attentäter, die die Flugzeuge gekapert hatten, waren dabei zu Tode gekommen.
Chalid Scheich Mohammed wurde 2003 in Pakistan von der CIA gefangen genommen und in einem geheimen Gefängnis des US-Geheimdienstes in Polen festgehalten, 2006 wurde er in das Hochsicherheitsgefängnis Guantánamo auf einem US-Marinestützpunkt in Kuba überstellt. Interne Papiere der CIA belegen, dass Mohammed allein 183-mal der Folter mit Wasser unterzogen wurde.
Misshandlungen der Inhaftierten, aber auch die Etablierung eines einmaligen juristischen Verfahrens standen seither einer strafrechtlichen Verfolgung der Anschläge von 9/11 im Wege. Im Krieg gegen den Terror etablierte der damalige US-Präsident George W. Bush ab 2001 ein Verfahren, das vom robusten Standard der Bundes- und Militärgerichte abwich.
Bush wollte Verdächtige in Guantánamo festhalten, von einem Sondergericht aburteilen lassen, hinrichten – ohne ihnen die Rechte aus der US-Verfassung zu gewähren. Damit sollten geheimdienstliche Erkenntnisse geschützt werden, aber auch die Folter der Gefangenen geheim bleiben. Der US-Präsident Barack Obama hatte zwei Tage nach seiner Amtseinführung verfügt, das Gefängnis schliessen zu lassen. Und er unternahm während seiner Amtszeit den Versuch, den Prozess gegen die Angeklagten auf dem US-Festland vor einem Strafgericht durchzuführen. Doch er scheiterte am Widerstand des US-Kongresses und an Sicherheitsbedenken.
Die Anwälte wollten, dass die Folter offengelegt wird
Immerhin wurden die Rechte der Angeklagten vor dem Militärgericht gestärkt, seit 2012 wird in der Navy-Basis Guantánamo Bay gegen die fünf Angeklagten verhandelt: kleinschrittig und immer wieder mit langen Unterbrechungen. Die Anwälte wollten dabei erreichen, dass die Folter an ihren Mandanten umfassend offengelegt wird – auch, um die Todesstrafe zu verhindern.
David Nevin, der Chalid Scheich Mohammed verteidigt, sagte 2016 dieser Redaktion: «Das Folterprogramm befleckt die Ehre Amerikas. Ein Rechtssystem wie diese Militärkommission, das es den USA erlaubt, einen Mann zu foltern und ihn dann hinzurichten, ist fehlerhaft und wird als unfair und unamerikanisch in die Geschichte eingehen.»
Chalid Scheich Mohammed soll für die Planung, die Kommunikation und die Finanzierung der Anschläge verantwortlich sein, teilweise hatte er die Taten während seiner Haft bereits gestanden – seine Anwälte halten die Verhöre aber nicht für verwertbar. Bin Attash wird beschuldigt, bei der Planung der Anschläge geholfen und den späteren Flugzeugentführern Geld geschickt zu haben. Hawsawi soll die Entführer auch bei Reisen unterstützt und Geldtransfers abgewickelt haben.
30 Personen sind noch in Haft – nur elf wurden angeklagt
Der «Deal», wie US-Medien schreiben, könnte sich auch auf die beiden Mitangeklagten Ali Abdul Aziz Ali und Ramzi Binalshibh auswirken, die bisher nicht davon erfasst werden. Binalshibh, der als Bote von Osama bin Laden gilt und als Student in Hamburg studierte, wo er sich in der Moschee radikalisiert hatte, wurde 2023 aufgrund der erlittenen Folter als verhandlungsunfähig erklärt, sein Prozess wurde abgetrennt.
Insgesamt rund 780 Insassen sollen in dem Hochsicherheitsgefängnis in Guantánamo Bay seit 2002 inhaftiert gewesen sein, viele von ihnen unschuldig. Heute sind es laut «New York Times» noch 30, nur 11 wurden angeklagt, ein Mann wurde verurteilt. In den vergangenen Jahren wurden viele Häftlinge in ihre Heimat oder in Drittstaaten zurückgeschickt. Drei Männer sind weiterhin ohne absehbares Ende inhaftiert, ihre Überstellung wird nicht empfohlen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.