Miniatur des Alltags«Grüessech», «Grüezi», «…zi»
Unser Autor war in den Bergen unterwegs. Dabei hat er festgestellt, dass das gegenseitige Grüssen beim Wandern – je nach Fitnesszustand – eine Eigenart entwickelt.
Der Berg ruft. Während der Corona-Zeit, in welcher Ferien am Meer kompliziert, ja beinahe utopisch sind, noch mehr. Darum sind Herr und Frau Schweizer in diesem Sommer mehr als sonst in die Alpen unterwegs. Das trifft auch auf mich zu, den Hombrechtiker. Vergangenen Freitag ging es für mich im Schatten von Eiger, Mönch und Jungfrau auf den Männlichen.
Natürlich war ich nicht allein auf Wanderschaft, immer wieder kreuzte ich den Weg von anderen Bergbesuchern. Und immer, ganz in schweizerisch-höflicher Manier, grüsste man sich. Irgendwie. Das gehört dazu. Nur ist mir dabei aufgefallen: Je näher man dem Gipfel kommt, desto mehr verändert sich auch die Art des Grusses. Vier Stufen habe ich festgestellt.
1. Stufe: Zu Beginn der Wanderung grüsst man noch wie gewohnt, artikuliert deutlich. Und: Man passt sich der Region an. Ein Zürcher ist ja nicht überall in der Schweiz gern gesehen – Kantönligeist ahoi! Statt «Grüezi» sagt man dann im Berner Oberland «Grüessech».
2. Stufe: Die Höhenmeter nehmen zu, der Puls steigt langsam. Der Fokus auf die Anpassung des Dialekts schwindet, aber man bleibt höflich. «Grüezi» tönt es dann auf 1500 Metern über Meer.
3. Stufe: Einige Stunden an der Sonne später, die Schweissperlen kullern, die Pumpe in der Brust hat fast 150 Schläge pro Minute drauf. Aber man grüsst sich weiter. Statt eines «Grüezi» kommt halt nur noch ein schwaches «…zi» heraus.
4. Stufe: Man ist kurz vor dem Gipfel, die Waden zittern, die Haut ist hummerrot und der Wunsch nach einem Sauerstoffzelt gross. Die Puste fehlt zum Erzeugen von Tönen, und doch, auch dann schaut man sich in die Augen, ein schweigendes Nicken genügt. Denn: Auf Schweizer Wanderwegen grüsst man sich immer. Irgendwie. Und wehe, es wird nicht zurückgegrüsst!
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