Positiver NebeneffektGrippeimpfung senkt Demenzrisiko
Eine gross angelegte Studie macht Hoffnung: Wer sich regelmässig gegen die Grippe impfen liess, erkrankte in der Folge deutlich seltener an Demenz als die Ungeimpften.
Noch immer gibt es kein wirklich wirksames Mittel gegen den gefürchteten Gedächtnis- und Persönlichkeitsverlust. Mit einem gesunden Lebensstil und regen sozialen Kontakten lässt sich das Erkrankungsrisiko wenigstens senken. Jetzt scheint die Wissenschaft eine weitere Präventionsmöglichkeit entdeckt zu haben: die Grippeschutzimpfung.
12 Prozent geringeres Risiko
Forschende der Saint Louis University (USA) haben die elektronischen Patientenakten von mehr als 120’000 Menschen im Alter von über 65 Jahren ausgewertet. Ergebnis: Diejenigen, die in den vergangenen sechseinhalb Jahren mindestens sechs Grippeimpfungen erhalten hatten, erkrankten mit 12 Prozent geringerer Wahrscheinlichkeit an Demenz als Gleichaltrige, die sich nicht haben impfen lassen – laut Studie ein signifikanter Unterschied.
Dabei war offenbar die Regelmässigkeit entscheidend. Denn bei den Vergleichspersonen, die sich während der Studiendauer nur sporadisch impfen liessen, war das Demenzrisiko ähnlich hoch wie bei den Ungeimpften.
Immunkick für ein «aufgeräumtes» Gehirn
Wie genau es zu diesem Effekt komme, sei noch nicht ganz klar, schreiben die Studienautoren um Timothy L. Wiemken. Denkbar sei, dass eine Grippeinfektion im Gehirn Veränderungen auslöse, die eine Demenz begünstigten – wenn man geimpft ist und gar nicht erst krank wird, würde das nicht passieren.
Eine andere Möglichkeit könnte sein, dass die Stimulation des Immunsystems bestimmte Zellen im Gehirn aktiviert, die dann damit beginnen, quasi im Oberstübchen «aufzuräumen» und Demenz-typische Ablagerungen (Plaques) zu beseitigen.
Bereits frühere Untersuchungen, namentlich aus Taiwan, hatten einen Zusammenhang zwischen Impfungen und Demenzwahrscheinlichkeit aufgezeigt. So erkrankten etwa Menschen, die als Kind eine kombinierte Impfung gegen Tetanus (Starrkampf), Diphtherie und Keuchhusten oder auch nur gegen Grippe erhalten hatten, im Alter ebenfalls seltener an Demenz. In der Schweiz empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit, diese Kombi-Impfung alle 20 Jahre aufzufrischen und ab 65 alle 10 Jahre.
Wenn sich die Ergebnisse der neuen US-Studie, die im Fachmagazin «Vaccine» erschienen ist, bestätigen, dann wäre die Grippeschutzimpfung, so das Fazit der Wissenschaftler, eine sinnvolle Vorbeugemassnahme gegen Demenzerkrankungen – günstiger und wirksamer als alle anderen derzeit verfügbaren Präventionsmöglichkeiten.
Parallelen zum Coronavirus
Für den Schweizer Altersmediziner Andreas Schoenenberger, Chefarzt Medizinische Klinik am Kantonsspital Münsterlingen TG, ist die neue US-Studie vorerst allerdings nur eine Annahme, noch kein Beweis. So könne es auch sein, dass Menschen, die sich regelmässig impfen liessen, sich auch sonst gesundheitsbewusster verhielten – den Blutdruck besser einstellen, auf die Ernährung achten, nicht rauchen usw.
Dennoch sei die Studie sehr interessant. Schoenenberger: «Wir wissen ja auch von Corona, dass Viren die Hirnzellen befallen können.» So habe gezeigt werden können, dass Coronaviren neben dem olfaktorischen Zentrum, also dem Geruchssinn, auch jene Hirnareale treffen können, die bei der Alzheimer-Demenz eine Rolle spielen – darum möglicherweise auch die Konzentrationsstörungen, die manche Corona-Betroffene nach der Akut-Infektion oft noch nach Wochen oder gar Monaten beklagen.
Für Altersmediziner Schoenenberger ist deshalb klar: «Der Zusammenhang von Schutzimpfungen und Demenzrisiko muss in weiteren Studien untersucht werden.»
Die Studie: DOI 10.1016/j.vaccine.2021.08.046
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