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Max Küngs Ode an Graubünden
Im Bündner­land ist es schöner als im Paradies

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Ich versuchte, den Bildausschnitt so zu wählen, dass das Sujet meines Handyfotos aussah, als wäre ich an einem anderen Ort. Das Sujet: das zwischen Zürich- und Greifensee auf der Pfannenstielkette gelegene Forchdenkmal – 1922 in Erinnerung an die im Ersten Weltkrieg im Aktivdienst verstorbenen Zürcher Soldaten errichtet. Es besteht aus einer stilisierten Flamme aus Kupferblech, 18 Meter hoch, im Volksmund der Form wegen auch «der gefrorene Furz» genannt. Doch viel interessanter für ein Foto ist der Sockel der Skulptur, eine akkurate Stufenpyramide, die schwer an die Tempelpyramide des Kukulcán erinnert. So kann man super Feriengrüsse aus Mexiko verschicken, ohne dorthin reisen zu müssen. Dies spart Geld und CO₂ – und lässt das Karmakonto klingeln.

Am heutigen Tag war ein gutes Mexiko-Foto jedoch nur schwer knipsbar, denn auf der Pyramide hatte es sich eine Outdoor-Fitness-Gruppe bequem gemacht. Auch sonst war einiges an Volk zugegen. Als ich mich schon wieder in den kühlen Wald verziehen wollte, sprach mich eine Frau an; das Handy in der Hand fragte sie, ob ich nicht ein Erinnerungsfoto schiessen könne von ihr und ihrem Mann sowie ihren zwei dackelartigen Hunden. Die beiden sprachen Bündner Dialekt. Sie seien aus Chur angereist, sagte die Frau, genauer aus Zizers, und nicht zum ersten Mal, gestern etwa seien sie zum Bachtelspalt marschiert.

«Eindrücklich!» Das machte mich stutzig, denn: Graubünden ist doch erwiesenermassen der schönste aller Kantone. Man will dort hin, nicht von dort weg! Ich weiss das, denn ich bin mit einer Bündnerin verheiratet. Kaum hat man so etwas wie Freizeit oder Ferien, heisst es: Ab ins Bündnerland! Der Nachteil: Ich weiss eigentlich nichts über die Restschweiz. Berner Oberland? Nie gewesen. Wallis? Nie gehört. Lavaux-Region? Verstehe nur Lavabo. Denn Ferien werden im Bündnerland verbracht, im Schanfigg, im Safiental, im Engadin, Täler hat es ja zur Genüge. Und alle sind sie paradiesisch. Bloss nicht für die beiden aus Zizers mit ihren Hunden.

Keine Ahnung, wie die Bündner und Bündnerinnen bei Heimatverrat ticken.

«Aber das Bündnerland …», sagte ich zur Frau, wollte die Vorzüge ihrer Heimat preisen. Doch sie machte eine abwinkende Geste. «Viel zu steil dort, die Berge zu hoch, alles zu extrem, zu dramatisch, zu anstrengend. Hier ist es viel schöner.» Die beiden mochten es gemässigt, ihre Hunde mit den kurzen Beinen sowieso. Deshalb steigen sie in den Zug nach Zürich und frönen der Wanderlust in zahmer Topografie.

Zu Hause werden sie aber wohl kaum über ihre Erlebnisse berichten können oder höchstens im engsten Kreis von Vertrauten und eventuell Gleichgesinnten – und auch dann besser nicht zu laut; denn wenn jemand im Bündnerland öffentlich verkündet, dass es um Zürich herum schöner sei als in der heiligen Heimat – ich weiss nicht, wie mit diesen Personen verfahren wird. Sehr wahrscheinlich werden sie in Chur die Glocken der Martinskirche läuten und die Frevler auf dem Platz davor zur Schau stellen oder sie mit ausgefahrenen Leki-Teleskopwanderstöcken durch die Altstadt treiben. Vielleicht brächte man sie auch auf den Rosenhügel am Fuss des Berges, der wie eine Teigwarenspezialität heisst: Pizokel. Der Rosenhügel ist auch unter seinem alten Namen bekannt: Galgenhügel. Keine Ahnung, wie die Bündner und Bündnerinnen bei Heimatverrat ticken. Und ich möchte es auch nicht herausfinden.

Ich weiss bloss: Es ist wunderschön dort! So wie sonst nirgendwo, nicht einmal auf der Tempelpyramide in der Ruinenstadt Chichén Itzá im Norden der Halbinsel Yucatán in Mexiko, sei sie echt oder falsch.

Max Küng ist Reporter bei «Das Magazin».