Max Küng notiert TräumeDann schob ich mir die Musikkassette in den Mund
Was unser Kolumnist in der Nacht träumt, ist nicht immer angenehm – aber unterhaltsam.
Es gibt Worte, zu denen man eine besondere Beziehung hat. Ein solches Wort ist bei mir «Nachttisch», denn in meinem Erstlingsroman («Wir kennen uns doch kaum») schlich sich ein Druckfehler ein, genauer ging ein Konsonant verloren, als ich ein Schlafzimmer beschrieb. Es hiess, neben dem Bett stehe ein «Nachtisch». Nun, Fehler geschehen, wie im Himmel so auf Erden, und auf meinem Nachttisch steht kein Nachtisch, sondern liegt ein Notizblock samt Kugelschreiber, damit ich meine Träume festhalten kann, gleich frühmorgens, bevor sie sich für immer verflüchtigen.
Es ist dies etwas, das ich erst seit kurzem praktiziere, denn bis anhin mass ich Träumen keine Bedeutung zu (abgesehen von Tagträumen, denen ich immer schon gerne nachhing). Träume im Schlaf waren nichts als das unbedeutende, leise Knistern des Gehirns während der wohlverdienten Nachtruhe, einer abkühlenden Glut im Kamin gleich. Bloss zufälliges Neuronengeschmurzel. Aber dann kam ein Buch in meine Hände, «La Boutique obscure», eine Sammlung von aufgezeichneten Träumen des französischen Schriftstellers Georges Perec. Und wenn Perec seine Träume aufschrieb, dann sollte das jede und jeder tun, denn Perec war ein Genie; er hat es beispielsweise geschafft, einen 300-Seiten-Roman zu schreiben, ohne ein einziges Wort mit dem Vokal e zu verwenden («La Disparition»).
Auffällig bei Perec ist, dass viele seiner Traumhandlungen sich in Restaurants abspielen. Ich denke, es wäre nicht uninteressant, Restaurantbesuche grundsätzlich von der Realität in die Traumwelt zu verlagern, vor allem finanziell gesehen wäre dies reizvoll. So wollte auch ich von Restaurants träumen, nahm es mir jeweils beim Einschlafen fest vor. Eine Weile las ich gar nach dem Zubettgehen im Schein der Nachttischlampe nicht in Büchern, sondern studierte Speisekarten berühmter Restaurants. Doch Träume sind untrainierbar und eigenwillig, sie tun, was sie wollen, und so kamen auf dem Notizblock auf dem Nachttisch viele Dinge zusammen, nie aber ging es um Restaurants und Gourmetmenüs.
Vor drei Wochen träumte ich etwa, im Keller alle meine verschollen geglaubten Musikkassetten zu finden, auf denen ich als Knirps die Radiohitparade aufgenommen hatte, sonntags und mit flinken Fingern, damit das Geschwafel zwischen den Songs nicht auf dem Magnetband festgehalten wurde. Das Glücksgefühl über diesen Fund war enorm. Doch ich fand kein Abspielgerät, sosehr ich auch suchte. Da überkam mich die Eingebung, die Kassette (eine Maxell XLII-S) in den Mund zu schieben.
Und es funktionierte. Kaum hatte ich sie mir in den Rachen geschoben, erklang aus meinen Ohren laute Musik. Es war ein Song von Barclay James Harvest. Eine Band, die wir früher Barclay James Haarfestiger nannten, da ihre Musik nach Föhnfrisuren klang. Ich hasste die Band. Aber ich bekam die Tonbandkassette nicht mehr aus meinem Maul, konnte weder stoppen noch spulen, noch leiser stellen, sosehr ich auch an Nase, Ohren und sonst wo zog und zerrte. Als der Song zu Ende war, begann er wieder von vorne. Mit wachsender Verzweiflung suchte ich nach einer Möglichkeit, der Musik ein Ende zu bereiten, aber alles, was ich im Keller noch fand, war eine grobzinkige Handsäge.
Ich war an jenem Morgen sehr froh, aufzuwachen und nichts anderes zu hören als das leise Rauschen in meinen Ohren und das morgendliche Gezwitscher der Vögel im Baum vor dem Schlafzimmerfenster. Schnell notierte ich den Traum. Und kaum hatte ich dies getan, war er bereits wieder vergessen.
Max Küng ist Reporter bei «Das Magazin».
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