Glosse zum «Gmögigkeitsfaktor»Die Schweiz im Gmögigkeitsfieber – was ist nur los mit dem Land?
Bei der Nachfolge von Viola Amherd ist der «Gmögigkeitsfaktor» zur entscheidenden Grösse geworden. Schafft es die Gmögigkeit bald schon in ein erstes Parteiprogramm?
Jahrzehntelang spielten bei der Neubesetzung des Bundesrates Begriffe wie «Zauberformel», «Konkordanz», «Kollegialitätsprinzip», gelegentlich sogar «Kompetenz» eine Rolle.
Seit Gerhard Pfister vor zwei Wochen seinen Verzicht auf eine Bundesratskandidatur angekündigt hat, ist es aber zu einer Zeitenwende gekommen. Pfister hat seine Nicht-Kandidatur nämlich mit einem zu kleinen «Gmögigkeitsfaktor» begründet. Dieser Faktor sei die entscheidende Grösse, wenn es um die Bundesratswahlen gehe, erklärte der scheidende Mitte-Präsident in einem Interview mit dieser Redaktion.
Seither ist die Schweiz im Gmögigkeitsfieber: Alle Kandidaten für die Nachfolge von Viola Amherd werden auf ihre Gmögigkeit hin geprüft. In Schweizer Medien sind innert zwei Wochen über hundert Artikel zum G-Faktor erschienen. Der Staatsschutz beobachtet den grassierenden Gmögigkeitsextremismus mit Sorge, wie das folgende Geheimprotokoll belegt, das der Schweizer Nachrichtendienst zum letzten Theorieseminar der Schweizer SP von einem verdeckten Ermittler anfertigen liess.
Cédric Wermuth: Aaaaah! Was macht denn Gerhard Pfister hier! Und dann auch noch Markus Ritter?! Wir haben uns doch verabredet, um unsere 2015 begonnene Lektüre von Karl Marx’ «Kritik der politischen Ökonomie» ab Seite 12 fortzusetzen.
Markus Ritter: (streichelt den nervösen Muni, den er an einem Strick neben sich stehen hat): Ruhig, Kuno, ruhig.
Mattea Meyer: Cédric, die Lage ist ernst.
Gerhard Pfister: Ja, Herr Wermuth. Wir von der Mitte und der SP müssen in Zukunft verstärkt zusammenarbeiten, um dem dominanten Block der FDP und der SVP im Bundesrat etwas entgegenzusetzen ...
Wermuth: Widerstand? Sehr gut! Hoch die internatio…
Meyer: Cédric!
Pfister: … und dafür müssen wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam an unserer Gmögigkeit arbeiten. Markus Ritter kann uns dafür vom Hof seines Sohnes Kühe und Jungvieh zur Verfügung stellen.
Ritter: Jawohl. Wir hätten auch noch elf Bienenvölker.
Pfister: Markus, es geht darum, unsere Gmögigkeit zu unterstreichen ...
Wermuth: Gmögigkeit? Nicht mit mir! Mit der Forderung nach Gmögigkeit lenkt man von den eigentlichen Problemen ab, man betreibt eine Banalisierung der Politik. Dagegen müssen wir eine Brandmauer errichten. Gmögigkeit ist Opium für das Volk!
Ritter: Ruhig, Kuno, es ist alles gut.
Meyer: Cédric! Gmögigkeit ist auch etwas für uns, die SP.
Wermuth: Für uns?
Meyer: Ja, niemand ist alleine gmögig. Es braucht immer die anderen, um gmögig zu sein. Das weist uns auf unsere gegenseitige Abhängigkeit hin, von der unsere Existenz geprägt ist, wie Judith Butler in «Die Macht der Gewaltlosigkeit» schreibt.
Wermuth: Politische Theorie? Sehr gut, damit habe ich Erfahrung! Also, worauf warten wir? (Wermuth reckt die geballte Faust): Gmö-, Gmö…
Pfister: (seufzt, aber dann stimmt auch er zusammen mit Markus Ritter ein)
Alle: Gmö-, Gmö-, Gmögigkeit!
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