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Meinung

Analyse zu Flirt-App-Verbot
Chat-GPT braucht ein Liebesleben

Joaquin Phoenix Characters: Theodore Film: Her USA 2013 Director: Spike Jonze 12 October 2013 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: MaryxEvansxAFxArchivexWarnerxBros. 13069195 EDITORIAL USE ONLY

Er erfindet die heisseste Technologie fürs Hier und Jetzt, aber er vertritt eine Moral wie Königin Viktoria im 19. Jahrhundert: Sam Altman von Open AI will nicht, dass Chat-GPT eine romantische Ader entwickelt.

Konkret geht es um die sogenannten «Girlfriend-Apps»: Die sind zu Dutzenden aufgetaucht, als Open AI vor gut zehn Tagen einen Marktplatz für Entwickler eröffnete. Diese Drittanbieter bieten im GPT-Store speziell trainierte Versionen des Chatbots an. Die hiessen «Judy» und «Virtual Sweetheart» oder auch «Everyone’s Girlfriend» und wurden umgehend aus dem GPT-Store verbannt. Denn die Nutzungsregeln halten fest: «Wir lassen keine GPTs zu, die sich der Förderung romantischer Freundschaften (…) widmen.»

Die prüden Amerikaner mal wieder?

GPTs, also individuelle Bots, die uns beim kreativen Schreiben unterstützen, unser Verhandlungsgeschick verbessern oder Filmtipps geben, sind erlaubt, aber Bots, mit denen man flirten oder anzüglich werden kann, sind verboten? Ist das naiv, prüde, verantwortungsbewusst, kurzsichtig – oder alles zusammen?

Ein Chatbot hat die Aufgabe, menschliche Tätigkeiten zu lernen und zu imitieren. Aber wieso sollte man eine bestimmte Tätigkeit davon ausklammern – und obendrein eine, die für uns Menschen entscheidend ist? Der naheliegende Grund ist natürlich, dass die Gefühle niemals echt sind, die uns eine solche «Girlfriend-App» vorspiegeln würde. Genauso wenig wie die der «Boyfriend-App» oder einer genderneutralen Variante.

Allerdings sind auch die Gefühle der Schauspielerinnen und Schauspieler nicht echt, und dennoch gehen wir ins Kino. Und auch diese Bots könnten Unterhalter und Seelentröster sein; als jederzeit verlässlicher Ansprechpartner für die einsamen Menschen. Wäre die Vorstellung nicht tröstlich, im Alter garantiert jemanden zu haben, dem wir stundenlang die gleichen alten Geschichten erzählen können?

Es geht auch um Sex

Klar, es geht natürlich auch um Sex: Es liegt auf der Hand, mit solchen Bots jegliche Fantasien auszuleben – gleichgültig, ob sie im echten Leben langweilig, unmöglich, verpönt oder auch verboten wären. Für viele wäre das ein harmloses Vergnügen. Aber es ist unbestreitbar, dass es riesige Gefahren gibt. Wenn solche Apps schlampig betrieben werden, sind die privatesten Geheimnisse der Nutzerinnen und Nutzer in Gefahr. Werden sie mit bösem Willen hergestellt, dann könnten Opfer finanziell ausgenützt oder psychisch verletzt werden.

Open AI wurde 2015 gegründet, um künstliche Intelligenz zum Wohl aller zu entwickeln. Diese Rolle als Mahner hat das Unternehmen seitdem den kommerziellen Interessen geopfert. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, sich daran zurückzuerinnern.

Mit Open AI – oder ohne

Wenn KI auf eine «sichere und für die Menschheit nützliche Weise» entwickelt werden soll – wie Mitgründer Elon Musk das damals ausgedrückt hat –, dann müsste sie Hand bieten, auch den zwischenmenschlichen Bereich auszuloten. Das wird nämlich auf alle Fälle passieren: entweder mit oder aber ohne Open AI. Im zweiten Fall ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass dieses Menschheitsexperiment unter weniger günstigen und sicheren Rahmenbedingungen stattfinden wird. Randbemerkung: Der bekannteste Flirt-Bot, Replika.ai, ging schon 2017 ans Netz, fünf Jahre vor Chat-GPT. Hier erzähle ich von meinen Flirt-Erlebnissen mit ihm.

Open AI sollte die «Girlfriend-Apps» erlauben, aber die Messlatte dafür hoch ansetzen, zum Beispiel, indem Anbieter sämtliche Trainingsdaten für ihre Bots offenlegen müssten. Denkbar wäre auch eine Art Gütesiegel für vertrauenswürdige Flirt-Apps. Und es versteht sich von selbst, dass Bots auch im Flirt-Modus nicht vortäuschen dürfen, ein Mensch zu sein: Stattdessen müssen sie uns Menschen dezent daran erinnern, dass sie ein Computerprogramm sind – ohne Gefühle.