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Umweltskandal in St. Gallen
Giftiger Schaum im Bodensee: Firma wollte Vorfälle vertuschen

Luftaufnahme von Rorschach am Bodensee in der Schweiz, mit grünen Hügeln im Hintergrund und der Stadt entlang der Küstenlinie.
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In Kürze:
  • Zwei Chemieunfälle bei Amcor führten zur Einleitung von Löschschaum mit verbotenen PFAS-Chemikalien.
  • Mehrere Hechtproben aus dem Bodensee überschritten später die zulässigen PFAS-Grenzwerte deutlich.
  • Amcor musste lediglich eine Busse von 5000 Franken plus Entsorgungskosten bezahlen.

Worum geht es?

Im Dezember 2020 und Januar 2021 ereigneten sich beim Verpackungskonzern Amcor in Goldach zwei Chemieunfälle. Dabei floss tonnenweise Löschschaum in den Bodensee. Brisant dabei: Im Löschschaum ist die seit 2011 verbotene Chemikalie PFAS drin. Weil sich der krebserregende Stoff in der Umwelt nicht von selbst abbaut, ist er als «Ewigkeitschemikalie» bekannt. Der Fall wird nur bekannt, weil das «St. Galler Tagblatt» 2022 die Havarie publik machte. Die Vorfälle lösten in der Ostschweiz grosse Empörung aus – vor allem, weil der Milliardenkonzern mit einer Busse von 5000 Franken davonkam.

Wie kam es dazu, und warum erfuhr die Öffentlichkeit erst so spät von den Chemieunfällen? Aufgrund der vielen offenen Fragen verlangte das «Tagblatt» Einsicht in die Untersuchungsakten und musste zweimal bis vors Bundesgericht, weil der australische Konzern gegen die Akteneinsicht klagte. Die nun veröffentlichte Recherche zeigt das wahre Ausmass des Falls.

Was führte zur Havarie?

Der erste Vorfall ereignete sich am 29. Dezember 2020. Gemäss «Tagblatt» führte eine Verkettung verschiedener Pannen dazu, dass 850 Kilogramm Löschschaum im Bodensee landeten. Die Schaumlöschanlage wurde versehentlich durch Wartungsarbeiten ausgelöst. Via Meteorschacht gelangte der Schaum in die Goldach und vom Bach in den Bodensee. Ein Schieber, der solche Szenarien verhindern sollte, funktionierte nicht. Informationen zum Vorfall gelangten nicht nach draussen: Der automatische Alarm wurde aufgrund eines Defekts nicht ausgelöst, weder Polizei noch Feuerwehr noch Umweltschadendienst wurden informiert – trotz entsprechender Pflicht.

Zwei Wochen später kam es erneut zur Panne. Am 13. Januar 2021 gefror das Restwasser in den Schaumdüsen und liess sie platzen. Weil der Schieber nach dem ersten Vorfall noch nicht geflickt worden war, gelangte wieder Schaum in den Bodensee – dieses Mal aber nur 60 Kilogramm. Wieder wurden die Behörden nicht informiert. Unbemerkt blieb der Vorfall allerdings nicht: Der Fischereiaufseher sah zufälligerweise den aus dem Abflussrohr quellenden Schaum und alarmierte die Behörden. Erst als die Polizei einen Tag später vorbeischaute, gab der Amcor-Betriebsleiter an, dass sich zwei Wochen zuvor ein ähnlicher Vorfall ereignet hatte. Eine gewichtige Information wurde den Behörden aber vorenthalten: Dass im Löschschaum die seit 2011 verbotene Chemikalie PFOS enthalten war.

Welche Folgen hatte der Vorfall für die Umwelt?

Das ist schwierig abzuschätzen. Erst 2022, nachdem das «Tagblatt» erstmals über die Chemieunfälle berichtet hatte, entnahm der Kanton St. Gallen Wasserproben. Fazit: Zwar wurden PFAS-Spuren gefunden, allerdings lagen die Messwerte unter den Grenzwerten der Schweiz und der EU, so das «Tagblatt».

Drei Jahre nach den Vorfällen wurden auch bei den Wildfischen Proben entnommen. Während die Proben von Felchen, Rotaugen, Egli und Trüschen unter den Grenzwerten für PFAS lagen, überschritten vier von neun Hechtproben aus dem Bodensee den zulässigen Höchstwert für PFOS.

Und was ist mit Folgen für den Mündungsbereich der Goldach in den Bodensee? Unbekannt. Gegenüber dem «Tagblatt» heisst es vonseiten des Kantons: «Direkte toxische Effekte auf Wasserlebewesen und Wasserpflanzen sind bei den gemessenen Konzentrationen in der Goldach und im Bodensee nicht zu erwarten, weshalb keine Untersuchungen an Flora und Fauna vorgenommen wurden.»

Welche Folgen hatte der Vorfall für das Unternehmen?

Die St. Galler Staatsanwaltschaft verurteilte Amcor wegen Vergehen gegen das Gewässer- und Umweltschutzgesetz. Kostenpunkt: 5000 Franken. Dazu kommen 28’260 Franken für die eingesparten Entsorgungskosten.

Versuchte Amcor, den Vorfall zu vertuschen?

Zu diesem Schluss kommt das «Tagblatt» nach Durchsicht der Akten zur Strafuntersuchung. So sei weder die Polizei noch der Umweltschadendienst oder der Kanton oder die Gemeinde über die Havarie informiert worden. Das Amt für Umwelt hält demnach in seiner rechtlichen Beurteilung fest, dass Amcor es zweimal in Folge unterlassen habe, die Behörden zu informieren. Fazit: Amcor habe damit «ihre Meldepflicht in offensichtlicher Weise verletzt».

Die Akten zeigen auch, dass Amcor es versäumte, den giftigen Löschschaum zu ersetzen. 2019 beantragte der Konzern noch eine Fristverlängerung zur Ersetzung des Schaums. Der Kanton erteilte Amcor damals eine Absage. Darin heisst es: «Wir können nicht Verantwortung übernehmen für ein allfälliges Versäumnis Ihrerseits.» Passiert ist trotzdem nichts. Erst nach dem Unglück ersetzte Amcor den Schaum. Das Amt für Umwelt habe zuvor die Firma «wiederholt auf den sensiblen Produktionsstandort direkt am grössten Trinkwasserspeicher Europas hingewiesen».

Wie äussert sich der Konzern zu den Vorwürfen?

Amcor räumt ein, dass die Unfälle auf Fehler in den Prozessen zurückzuführen seien und «nicht auf eine bewusste Missachtung der Umweltvorschriften», so eine Sprecherin gegenüber dem «Tagblatt». Und weiter: «Wir erkennen an, dass dies hinter unseren eigenen hohen Standards zurückblieb und nicht Amcors Werten, Umweltbemühungen und Arbeitsweise entspricht.» Das Unternehmen bedauere, dass bei den beiden Vorfällen PFOS freigesetzt wurde.

Als Folge davon habe das Unternehmen deshalb über drei Millionen Franken in die Sicherheit investiert, unter anderem in eine neue Brandbekämpfungsanlage und ins automatisierte Notfall-Ablasssystem.