Unzureichende SchutzkonzepteGewerkschaften fordern mehr Corona-Kontrolleure
Jede vierte Kontrolle fördert Mängel beim Schutz von Mitarbeitern und Kunden zutage. Und die Schutzkonzepte könnten mangels Inspektoren gar nicht genügend kontrolliert werden, bemängeln Arbeitnehmervertreter.
So gehässig die Debatte zwischen Befürwortern harter und jenen lockerer Massnahmen sein mag, auf einen Nenner konnten sich bisher alle einigen: Die Schutzkonzepte sind ein wichtiger Faktor, um die zweite Corona-Welle zu brechen. Allerdings liegt hier einiges im Argen: Denn jede vierte Schutzkonzept-Kontrolle fördert Mängel zutage.
Das zeigen Daten des Bundesamts für Gesundheit für die letzten Monate. In den vergangenen Wochen wurden schweizweit jeweils rund 2000 öffentlich zugängliche Betriebe und Einrichtungen kontrolliert. Das ist weniger als noch im Hochsommer, als gegen 3000 Betriebe pro Woche kontrolliert wurden. Zuständig sind hierfür die Kantone.
«Seit dem Abflauen der ersten Welle werden die Schutzkonzepte in immer mehr Betrieben und auf Baustellen nur noch ungenügend umgesetzt», bemängelte die Gewerkschaft Unia am Dienstag in einer Medienmitteilung. Geschäftsleitungmitglied Nico Lutz führt aus: «Viele Betriebe nehmen den Aufwand nicht mehr auf sich, um ihre Mitarbeiter und Kunden zu schützen.»
Jede siebte Ansteckung geschieht bei der Arbeit
Laut Bundesamt für Gesundheit ist ein Siebtel der bekannten Corona-Infektionen auf eine Ansteckung am Arbeitsplatz zurückzuführen. Der tatsächliche Anteil dürfte höher liegen, bleibt doch bei einem Drittel der positiv Getesteten der Ansteckungsort unbekannt.
Lutz nimmt darum die Behörden in die Pflicht: «Die kantonalen Arbeitsinspektorate sowie die Suva müssen mehr kontrollieren und stärker durchgreifen.» Eine Lösung wäre laut Lutz, die Kontrollgremien der Sozialpartner verschiedener Branchen einzubinden, die in den vergangenen Monaten zum Teil in die Kurzarbeit geschickt wurden. «Hauptsache ist, dass rasch mehr Personal für die Kontrollen zur Verfügung steht.»
Eine ähnliche Forderung stellt eine unveröffentlichte Studie auf, die Mitarbeiter des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds mit Wissenschaftlern der Universität Basel geschrieben haben und die dieser Zeitung vorliegt.
«Ich will es mir gar nicht vorstellen, wie ein Kantonspolizist epidemiologische Schutzkonzepte kontrolliert.»
Die Studienautoren argumentieren wie folgt: Die Internationale Arbeitsorganisation, die der UNO angegliedert ist, empfiehlt auf 10’000 Vollzeitstellen einen Kontrolleur, der die Sicherheit des Arbeitsumfelds kontrolliert.
An dieses Verhältnis kämen die kantonalen Arbeitsinspektorate in der Schweiz aber bei weitem nicht heran: Auf über 3,5 Millionen Vollzeitstellen von Beschäftigten seien 2018 in der Schweiz bloss 154 Vollzeitstellen bei den Arbeitsinspektoraten gekommen, was ein Verhältnis von einem Kontrolleur auf 23’000 Vollzeitjobs entspreche. Eine Umfrage dieser Zeitung bei verschiedenen Kantonen zeigt, dass sich das Missverhältnis bis heute nicht verringert hat.
Kantone wiegeln ab
Die mangelnden Kontrollen seien schon in normalen Zeiten problematisch; in der lebensbedrohlichen Corona-Zeit seien diese nun dramatisch, echauffiert sich Mitautor und Gewerkschaftsbund-Zentralsekretär Luca Cirigliano. «Die Kantone haben sich seit Jahren nicht darum gekümmert, genügend Personal für die Arbeitsinspektorate einzustellen.» Der Grund sei, dass sie keine Anreize hätten, Geld zu sprechen, das ihnen keinen schnell messbaren Nutzen garantiere.
Die Kantone können die Kritik nicht nachvollziehen: «Die Anzahl Stellen beim Arbeitsinspektorat ist nicht relevant für die Anzahl der Kontrollen», schreibt stellvertretend ein Sprecher der Wirtschaftsdirektion des Kantons Bern. Dessen Verhältnis Arbeitnehmende pro Kontrolleur ist laut der Studie besonders schlecht. Andere Stellen wie die Suva, die Kantonspolizei oder die Gemeinden führten aktuell ebenfalls Kontrollen durch und hätten hierfür einen «massiv höheren Stellenetat».
Studienautor Cirigliano aber kontert: «Ich will es mir gar nicht vorstellen, wie ein Kantonspolizist epidemiologische Schutzkonzepte kontrolliert. Da braucht es Fachleute.»
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