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Gerhard Pfister im Interview
«Lieber fünf fähige Romands im Bundesrat als vier mediokre Deutsch­schweizer»

Gerhard Pfister, Die Mitte, im Interview, am 21. November 2023 in Bern. Foto: Nicole Philipp
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Gerhard Pfister, kennen Sie den Titel, den Ihnen der «Nebelspalter» verliehen hat?

Ja – ich lese alle Medien.

Er lautet «Imperator Helvetiorum».

Die Schweiz kennt keinen Kaiser. Und der einzige König, den wir zulassen, ist der Schwingerkönig.

Der Titel zielt darauf ab, dass Sie als Chef einer erstarkten Mitte nach den Wahlen viel Macht auf sich vereinen. Was haben Sie damit konkret vor?

Wir müssen mehr als bisher vorausgehen. Wir müssen mehr eigene Ideen entwickeln und dafür Mehrheiten schaffen. Wir dürfen nicht mehr darauf warten, dass links und rechts mit Ideen kommen. Die Rolle des Züngleins an der Waage ist letztlich eine passive.

Sie sprechen von einem «dritten Pol» in der Schweizer Politik.

Ich glaube, dass in Europa die Zeit der klassischen Zweiparteiensysteme – eine Mitte-rechts, eine Mitte-links – zu Ende geht. Aus der Bipolarität wird eine Tripolarität. Die FDP hat entschieden, sich stark der SVP anzunähern, dem rechten Pol. Zwischen Grünen und der SP gibt es keinen Unterschied mehr: der linke Pol. Dadurch entsteht in der Mitte ein eigener Raum.

Wie soll sich dieser «Mitte-Pol» in der nationalen Regierung bilden? Da sitzt heute nach dieser Rechnung nur eine Person: Mitte-Verteidigungsministerin Viola Amherd.

Die rechte Mehrheit im Bundesrat ist nicht mehr durch die Mehrheitsverhältnisse im Parlament und im Volk legitimiert.

Sie meinen die beiden SVP- und die beiden FDP-Vertreter. Fordern Sie einen zweiten Mitte-Sitz?

Wir sagen: Wahlen müssen Folgen haben. Aber amtierende Bundesräte, die wieder antreten, sollte man bestätigen. Sechs Amtierende treten wieder an, und der Anspruch der SP auf die Berset-Nachfolge ist gegeben. Es hat der Schweiz überhaupt nicht gutgetan, als 2003 Frau Metzler abgewählt wurde …

«Ich habe gestern Abend nochmals die alten ‹Tagesschau›-Berichte von Ruth Metzlers Abwahl geschaut.»

… Sie meinen Ruth Metzler, die erste Bundesrätin der damaligen CVP …

… und es hat der Schweiz auch nicht gutgetan, als 2007 Christoph Blocher als Bundesrat abgewählt wurde. Ich gebe zu, wir haben hier die Quadratur des Kreises: Wir sagen ja eben, dass Wahlen Folgen haben müssen. Aber mittelfristig, nicht unmittelbar.

Christoph Blocher wurde 2003 statt Ruth Metzler in den Bundesrat gewählt. Die SVP hat den zweiten Sitz nach ihrem damaligen Wahlsieg mit maximalem Druck eingefordert …

… mit Unterstützung der FDP. Das war damals meine erste Session. Ich habe das nicht vergessen.

Ein politisches Trauma von Ihnen?

Das war eine ganz schwierige Situation. Ich kann Ihnen sagen: Die Zeit zwischen jenem Wahlsonntag und der Bundesratswahl an jenem 10. Dezember … (bricht ab, überlegt) Ich habe gestern Abend nochmals die alten «Tagesschau»-Berichte von Ruth Metzlers Abwahl geschaut. Das war eine unglaubliche Zerreissprobe für unsere Partei. Der Druck war enorm. Das führte zu einer Lagerbildung in der Fraktion. Das hinterlässt Spuren.

Herr Pfister, warum schauen Sie 20 Jahre alte Aufnahmen der «Tagesschau»?

(überlegt lange) Zu Beginn der Legislatur stehen wieder wichtige Diskussionen an, ähnliche wie vor 20 Jahren. Und darauf muss ich mich mental vorbereiten. Ich wollte mir das darum einfach noch einmal vergegenwärtigen. Wie verlief der Wahlsonntag? Wer sagte wann was? Die FDP unterstützte damals den Anspruch der SVP auf den zweiten Sitz bereits am Wahlsonntag.

Gerhard Pfister, Die Mitte, im Interview, am 21. November 2023 in Bern. Foto: Nicole Philipp

Die Grünen wurden vor vier Jahren ausgelacht, als sie ihr politisches Momentum nicht nutzten, einen Bundesratssitz einzufordern. Jetzt liegt das Momentum bei der Mitte.

Ich gebe zu: Auch ich habe den Grünen vorgeworfen, dass sie strategische Fehler gemacht haben. Aber schauen Sie: Wir sind an einem ganz anderen Punkt. Wir können nicht allen Ernstes einen amtierenden Bundesrat attackieren, wenn der Abstand zwischen der FDP und uns 0,2 Prozent Wähleranteil und ein paar «Sitzli» beträgt. Vielleicht habe ich auch deshalb die alten «Tagesschau»-Ausgaben nochmals angeschaut: Die taktischen Spielchen, die zur Abwahl von Mitgliedern des Bundesrats führen, habe ich schon damals nicht richtig gefunden.

Und heute?

Für meine Partei schliesse ich das aus. Ich finde das respektlos gegenüber den Institutionen.

Dieser «Respekt vor den Institutionen» – was meinen Sie damit?

Ich bin persönlich der Meinung, dass wir die Sache 2003 anders hätten lösen müssen. Wir haben damals in der Fraktion diskutiert, ob nicht einer unserer beiden Bundesräte hätte freiwillig zurücktreten müssen. Der Anspruch der SVP auf den zweiten Sitz war klar. Nur weil von uns niemand zurückgetreten ist, hat die SVP die Taktik des Angriffs gewählt.

Stimmt es, dass Sie damals Herrn Blochers Namen auf den Wahlzettel geschrieben haben?

Ich habe Ruth Metzler unterstützt, weil ich der Meinung war, dass, wenn jemand hätte zurücktreten sollen, es Joseph Deiss hätte sein müssen.

Sie kritisieren FDP-Aussenminister Ignazio Cassis seit Jahren scharf. Wäre es nicht ehrlicher, seinen Rücktritt zu fordern und für Ihre Partei eine zweite Vertretung zu verlangen?

Ich habe ihn nicht als Person angegriffen, sondern weil er Aussenminister ist. Herr Cassis ist Bundesrat in einer Zeit, in der die Schweiz aussenpolitisch viel mehr gefordert ist als früher. Bei manchen Fragen stehe ich politisch weit weg von ihm. Zum Beispiel bei der Art und Weise, wie sich die Schweiz nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine nicht positioniert hat. Aber solche inhaltlichen Differenzen mit der Abwahl eines Bundesrats zu verbinden, halte ich für falsch.

«Die heutigen Regeln können verhindern, dass markante Persönlichkeiten in den Bundesrat gewählt werden.»

Sie können hier und jetzt klarstellen: Wenn Cassis zurücktritt, wollen wir seinen Sitz.

So einfach ist es nicht. In der Bundesversammlung entscheiden immer andere Parteien, welche Partei den Sitz bekommt. Da können Sie noch lange mit dem Wunschzettel kommen. Wir werden schauen, wie die Lage ist, wenn es so weit ist.

Gut – bleiben wir beim Szenario, dass es am 13. Dezember «nur» um die Nachfolge von SP-Gesundheitsminister Alain Berset geht. Welche Kriterien muss eine SP-Kandidatin, ein SP-Kandidat in Ihren Augen erfüllen?

Bei der Wahl zum Bundeskanzler fragt man in der Schweiz immer: Wer kanns? Und bei Bundesräten fragt man bloss: Wer will? Die Frage der Eignung spielt eine sehr viel kleinere Rolle als beim Bundeskanzler, wo es ein sehr genau definiertes Jobprofil gibt. Das finde ich bemerkenswert.

Ist es falsch?

Seit der Abwahl von Christoph Blocher sagen die Parteien: Das Ticket, also die Nomination der Partei, ist sakrosankt. Alle sind von der Angst geprägt, dass ihre Nomination eines Tages nicht akzeptiert werden könnte. Kann man machen. Aber dann müssen die Parteien die Frage der Eignung vorab viel stärker und vertiefter abklären, als es heute passiert.

Würden Sie jemanden wählen, der nicht auf dem Ticket steht?

Ich stelle fest: Es gab hervorragende Bundesräte, die gegen den Willen ihrer Fraktion gewählt worden sind, und es hat der Schweiz nicht geschadet. Otto Stich war ein ausgezeichneter Bundesrat. Aber bevor Sie jetzt mit der Schlagzeile kommen, die Mitte kokettiere mit wilden Kandidaturen, sage ich Ihnen: Ich schliesse das aus.

Aha.

Wirklich. Sonst habe ich zu Recht gleich einen Anruf von Mattea Meyer oder Cédric Wermuth.

Aber jetzt haben Sie eben auf die Qualitäten von wilden Kandidaten hingewiesen.

Ja, die heutigen Regeln können verhindern, dass markante Persönlichkeiten in den Bundesrat gewählt werden. Ich weiss nicht im Detail, ob Daniel Jositsch geeignet ist oder nicht. Es heisst jetzt überall, Herr Jositsch habe in der SP keine Chance, weil er in seiner Fraktion vor einem Jahr einen Fehler gemacht hat. Da muss man sich fragen: Wendet da die Fraktion wirklich die richtigen Kriterien an?

Jetzt aber Hand aufs Herz: Werden Sie Daniel Jositsch auf den Zettel schreiben, wenn er nicht auf dem SP-Ticket ist und Sie die Kandidierenden nicht überzeugen?

Nein. Ich sage einfach: Die Qualität der Kandidierenden ist in diesem System an die Fraktionen delegiert. Sie müssen ihre Verantwortung stärker wahrnehmen als bisher.

Was muss denn eine Bundesrätin, ein Bundesrat können?

Sie müssen zwei Dinge können. Erstens müssen Sie führen können. Und zweitens – paradoxerweise – müssen Sie sich in ein Kollegium einordnen können.

Wer von den sechs wieder antretenden Bundesrätinnen und Bundesräten kann das?

Ich laufe nie in die Falle, jemanden persönlich zu kritisieren.

«Nach mehr als 150 Jahren Männerdominanz würde eine Frauenmehrheit das Abendland nicht untergehen lassen. Im Gegenteil.»

Braucht es Exekutiverfahrung?

Das hilft. Sie brauchen Führungserfahrung, die auch aus der Wirtschaft kommen kann. Ich habe Christoph Blocher für einen sehr guten Departementschef gehalten. Das Problem lag beim Einordnen ins Kollegium.

Verträgt es im Bundesrat noch eine Bernerin, einen Berner?

Wenn sie oder er gut ist: ja.

Eine Romande, einen Romand?

Wenn sie oder er gut ist: ja. Ich erwarte von einem Romand, dass er Deutsch kann und umgekehrt – Englisch hilft auch, aber das ist eine Generationenfrage, die sich vor allem noch bei den Boomern stellt. Mir sind fünf fähige Romands lieber als vier mediokre Deutschschweizer. Und nach mehr als 150 Jahren Männerdominanz würde eine Frauenmehrheit das Abendland nicht untergehen lassen. Im Gegenteil.

Mit Alain Bersets Abgang wird das Innendepartement frei: das Krankenkassen- und AHV-Departement, wo für die Schweiz sehr wichtige Entscheide anstehen. Viola Amherd könnte wechseln. Reden Sie mit ihr darüber?

Ja, ich rede mit ihr darüber. Aber das sind kurze Gespräche. Ich sage ihr immer: Mach, was du für richtig hältst.

Sie schieben kein «Aber» hinterher?

Nein. Das muss in der Regierung besprochen werden können.

Sehen Sie eine Bisherige, einen Bisherigen, der dieses Departement übernehmen sollte?

Das ist eine interessante Frage. Das Innendepartement ist nächstes Jahr im permanenten Abstimmungskampf: Altersvorsorge, Gesundheitskosten. Es kann sein, dass der Bundesrat nicht den Neuen oder die Neue in dieses Departement schickt. Aber das müssen die sieben unter sich ausmachen.

Herr Pfister, was tun Sie, wenn bei der Bundesratswahl am 13. Dezember Parlamentarier beginnen, Ihren Namen auf die Wahlzettel zu schreiben? Treten Sie ans Podium und erklären Ihren Verzicht?

Erstens gehe ich nicht davon aus, dass diese Situation eintrifft. Und zweitens kann man sich darauf verlassen, dass ich Wort halte. Wenn es dann irgendjemand noch nicht glaubt und es explizit hören muss, dann finden wir eine Lösung.