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Aufsehen erregende Entdeckung
Geier können sich ohne Vatertiere fortpflanzen

Ein zwei Tage alter kalifornischer Kondor im San Diego Zoos Wild Animal Park wird mit Hilfe einer Kondor-Puppe gefüttert.
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Er gilt als der teuerste Vogel der Welt: Dutzende Millionen Dollar haben die südwestlichen US–Bundesstaaten seit den 1980er–Jahren ausgegeben, um den Kalifornischen Kondor zu retten. Jagd, Bleivergiftungen und Lebensraumverlust hatten Nordamerikas grössten Landvogel an den Rand des Aussterbens gebracht. Die kostspieligen Bemühungen waren erfolgreich.

Am Himmel über Kalifornien und einigen Nachbarstaaten kreisen 30 Jahre nach ihrer Fast–Ausrottung wieder rund 500 Kondore aus einem Nachzuchtprogramm. Das teure und ausgeklügelte Unternehmen hat aber nicht nur eine seit Jahrtausenden auch von indigenen Völkern verehrte Vogelart zurück an den Himmel über Kalifornien gebracht: Es sorgt derzeit auch unter Wissenschaftlern für Furore. Denn die im Rahmen des Nachzuchtprogramms seit fast 35 Jahren laufenden genetischen Analysen praktisch aller in diesem Zeitraum lebenden Kondore verhalfen den Geierschützern der San Diego Zoo Wildlife Alliance zu einer Entdeckung, die nicht nur ihnen eine «Gänsehaut über den Körper» laufen liess, wie sich Oliver Ryder erinnert.

Kein genetischer Beitrag eines Männchens

Der Leiter des auch in den USA noch recht jungen Bereichs der Naturschutzgenetik am Zoo von San Diego und seine Kollegen entdeckten, dass gleich zwei der Kondor-Küken aus dem Nachzuchtprogramm biologisch vaterlos zur Welt gekommen sind – per Parthenogenese oder «Jungferngeburt».

Die Forscher machten die Entdeckung, als sie sich die DNA-Profile ansahen, die sie für jeden einzelnen der seltenen Vögel angelegt haben. Damit können sie für jeden Vogel das Geschlecht bestimmen, ihn individuell identifizieren und seine Abstammung nachvollziehen. Ein Routinejob eigentlich. Bei den Analysen der Proben zweier Küken zeigten sich aber sehr ungewöhnliche Ergebnisse, wie Ryder berichtet. «Keines der beiden Küken wies irgendeinen genetischen Beitrag eines männlichen Vogels auf, sie waren biologisch vaterlos», erzählt er. Das Erbgut beider Vögel, die in unterschiedlichen Jahren von verschiedenen Müttern gezeugt worden waren, war homozygot, also genetisch uniform, beide besassen männliche Geschlechtschromosomen, aber alle Marker wurden nur von ihren Müttern vererbt. Der Gänsehaut–Moment kam, als Ryder diese Details zusammenzählte, die nur einen Schluss zuliessen: «Sie waren eindeutig Parthenoten.»

Als Parthenoten werden Nachkommen bezeichnet, die natürlicherweise aus einer eingeschlechtlichen Fortpflanzung entstehen, bei der sich ein Embryo, der nicht von einem Spermium befruchtet wurde, weiterentwickelt und nur das genetische Material der Mutter enthält. Das Phänomen ist von Pflanzen und aus einigen Tiergruppen bekannt, beispielsweise Wasserflöhen, einigen Schnecken- und Eidechsenspezies und sogar von Haiarten. Bei Vögeln wurde Parthenogenese bislang nur viermal dokumentiert, jedoch immer bei domestizierten Tieren wie Truthühnern, Zuchttauben oder gezüchteten Finkenvögeln – nicht jedoch bei Wildvögeln.

In den Laboren in San Diego haben sich über die Jahre Genproben von über 900 verschiedenen Kondoren angesammelt, die aus Blut, Eierschalenmembranen, Geweben oder Federn der Geier gewonnen wurden. Die genetischen Daten dienen dazu, Inzucht bei den Nachzuchten zu vermeiden und festzustellen, wie genetisch vielfältig, mithin lebensfähig, die sich langsam entwickelnde Wildpopulation ist.

1987 lebte nur noch eine Handvoll Vögel in Freiheit

Um den immensen Aufwand zu verstehen, hilft ein Blick zurück in die 80er-Jahre. Damals begann die Rettung des gefiederten Riesen erst mit dem vom Menschen herbeigeführten Aussterben der Art. Als die Wildpopulation der einst weit verbreiteten Vögel immer weiter zusammenschrumpfte und 1987 nur noch eine Handvoll Vögel in Freiheit lebten, beschlossen Behörden und Naturschützer, alle verbliebenen Kondore einzufangen. Diese Vögel bildeten die Keimzelle des erfolgreichen Nachzuchtprogramms im Zoo von San Diego.

Der Fall der eingeschlechtlich erzeugten Geier zeichnet sich durch weitere Besonderheiten aus, die die Fachwelt aufhorchen lassen. Zum einen entwickelten sich die Embryos in den Eiern gut und schlüpften sogar. Beide Vögel waren zwar körperlich eher schwach, wurden aber zwei und acht Jahre alt. Bisher hätten nur Hühner-Parthenoten bis zum Schlupf überlebt und sich später sogar fortgepflanzt, betonen die Forscher in ihrer gerade im Genetik-Fachjournal «Journal of Heredity» erschienenen ersten ausführlichen Analyse der Fälle.

Forscher sind sicher, dass die sexlose Fortpflanzung in der Natur häufiger vorkommt als angenommen.

Noch spannender ist die Tatsache, dass die Mütter beider Vögel langjährige Partnerschaften mit Kondormännchen in ihren Zuchtkäfigen unterhielten und auf diese Weise auch zahlreiche Nachkommen auf sexuelle Weise zeugten. Eine brachte elf Küken zur Welt. Das zweite Weibchen war mehr als 20 Jahre lang mit einem Männchen verpaart und erbrütete in dieser Zeit sogar 23 Küken. Damit stösst die Entdeckung in San Diego einen weiteren Lehrsatz der Biologie um: Dass die eingeschlechtliche Fortpflanzung bei Vögeln nur dann stattfindet, wenn ein Weibchen keinen Zugang zu einem Männchen hat. Dieser These zufolge könnte die Parthenogenese eine Art Notfalllösung der Natur sein, um das Aussterben einer Art zu verhindern.

Auch wenn die Kondorweibchen in San Diego nicht unbedingt auf die eingeschlechtliche Fortpflanzung angewiesen waren, so gehören sie doch zu den seltensten Vögeln der Erde. Wirkt hier vielleicht schon eine evolutionäre Überlebensstrategie? «In der Literatur wird spekuliert, dass die Seltenheit ein Faktor sein könnte», sagt Ryder. Aber dieser Zusammenhang sei bislang noch nicht wirklich gründlich untersucht worden. Sicherer sind sich die Forscher dagegen, dass die sexlose Fortpflanzung in der Natur häufiger vorkommt, als bisher angenommen wird. «Ich glaube, das könnte der Fall sein, und darin liegt auch eine der weiteren Fragen, die aus unserer Untersuchung folgen», sagt Ryder. Er verweist darauf, dass auch in diesem Fall die vaterlose Vermehrung schliesslich nur entdeckt worden sei, weil die gesamte Population lückenlos genetisch überwacht wurde – und nicht etwa, weil Geier genetisch besonders dafür befähigt seien.

Im Labor züchtbar?

Ryder ist sich auch sicher, dass Geier-Parthenoten, wie Hühner, fortpflanzungsfähig sind. Das wiederum eröffnet Raum für Gedankenspiele, sehr seltene und schwer zu züchtende Vogelarten mit Hilfe von Parthenogenese im Labor zu erzeugen. «Zurzeit ist das nicht möglich, aber mit weiteren Studien könnte der Schlüssel für das Phänomen gefunden werden», glaubt Ryder. «Dazu sollte man aber am besten eine häufige Modellart auswählen, nicht eine so stark gefährdete Vogelart wie den Kalifornischen Kondor.»

Der jahrzehntelange Kampf um das Überleben des Kalifornischen Kondors hat in den USA viel Aufmerksamkeit erregt und ist längst auch zu einem Symbol für die Entschlossenheit geworden, den Verlust einer Tierart nicht einfach hinzunehmen. Nun könnte er vielleicht auch zum Ausgangspunkt für ganz neue Ansätze im Artenschutz werden. Die Forscher der San Diego Zoo Wildlife Alliance haben jedenfalls angekündigt, die Gentypisierung fortzusetzen, um hinter weitere Geheimnisse der eingeschlechtlichen Fortpflanzung zu kommen.

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