Gerichtsverfahren zum DieselskandalGefallener VW-Patriarch kommt wegen Hüftoperation nicht zum Prozess
In der Abgasaffäre beginnt nun das Gerichtsverfahren gegen frühere Topmanager. Ex-VW-Chef Martin Winterkorn ist jedoch verhandlungsunfähig.
Der Schaden des Dieselskandals für den Autokonzern Volkswagen wird bislang auf über 32 Milliarden Euro geschätzt. Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn soll dafür zusammen mit vier anderen Ex-Topmanagern zur Rechenschaft gezogen werden – der 74-Jährige hat sich jedoch einer Hüftoperation unterziehen müssen. Noch in seiner Managerzeit litt er an Hüftproblemen und hievte sich nur schwerfällig aus dem Autositz. Der Betrugsprozess in Braunschweig startet diesen Donnerstag deshalb ohne den, von Insidern als typisch deutschen Pflichtmenschen beschriebenen, gefallenen VW-Boss.
Das Verfahren gegen Winterkorn ist abgetrennt und auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Eine Prognose, wann er wieder verhandlungsfähig sein wird, ist laut Gericht derzeit nicht möglich. Der als «Wiko» bekannt gewordene ehemalige VW-Lenker steht aber auch so im Mittelpunkt der Affäre. Er leitete den grössten Autohersteller Europas von 2007 bis 2015 – als die illegale Abschalteinrichtung zur Manipulation der Abgaswerte aufflog, musste er zurücktreten.
Winterkorn beteuert, vor dem öffentlichen Bekanntwerden im September 2015 von dem Umweltskandal nichts gewusst zu haben. Dies bezeugte er auch 2017 vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags. Deswegen hat die Berliner Staatsanwaltschaft gegen ihn jedoch kürzlich eine weitere Klage wegen falscher uneidlicher Aussagen erhoben. Denn er soll bereits im Mai 2015 von den Manipulationen bei den Dieselfahrzeugen erfahren haben.
Detailversessener Ingenieur
Auch in der nun erst mal ohne Winterkorn stattfindenden Hauptverhandlung im norddeutschen Braunschweig – nahe der VW-Zentrale in Wolfsburg – geht es um die Gretchenfrage: Hat das Topmanagement von dem Betrug bei Millionen Dieselfahrzeugen vorab gewusst? Der Vorwurf lautet auf schweren, bandenmässigen Betrug und andere Straftaten.
Als VW-Chef war Winterkorn als Patriarch bekannt und berüchtigt. Was er sagte, wurde gemacht, erzählt ein Branchenkenner. Es habe eine Angstkultur geherrscht, und das mittlere Management habe nur wenige Entscheidungen selbst treffen dürfen. Als Ingenieur sei Winterkorn detailversessen gewesen und habe ein besonderes Auge auf die Qualität aller verwendeten Materialien gehabt.
In der Ära Winterkorn schaffte es VW, Toyota von der Weltspitze zu verdrängen: Kein Hersteller setzte mehr Fahrzeuge ab. Dabei verpasste es aber Winterkorn, der zuvor Audi geführt und dort auch den Bereich technische Entwicklung geleitet hatte, den VW-Konzern auf Elektro- oder Wasserstoffantrieb umzustellen.
Der Privatmann Winterkorn pflegte einen mondänen Lebensstil. Bei der von VW gemieteten Chef-Villa soll er veranlasst haben, dass auf Kosten des Konzerns für 60’000 Euro eine Heizung in den Gartenteich eingebaut wurde. Denn die von ihm geliebten japanischen Koi-Fische vertragen keine Kälte.
Das Vermögen der Familie Winterkorn wird auf rund 100 Millionen Euro geschätzt. Noch vor dem Strafprozess hat VW mit den angeklagten Topmanagern wie Winterkorn einen Vergleich abgeschlossen: Demnach muss der Ex-VW-Chef einen Schadenersatz wegen fahrlässiger Pflichtverletzung von 11,2 Millionen Euro zahlen. Die Haftpflichtversicherung der Manager zahlt insgesamt 270 Millionen Euro.
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