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Humanitäre Katastrophe in Gaza
Spitalarzt: «Hier riecht es überall nach Tod»

EDITORS NOTE: Graphic content / Injured people receive medical care at the emergency ward of the Al-Shifa hospital following an Israeli strike, in Gaza City on November 5, 2023. Thousands of civilians, both Palestinians and Israelis, have died since October 7, 2023, after Palestinian Hamas militants based in the Gaza Strip entered southern Israel in an unprecedented attack triggering a war declared by Israel on Hamas with retaliatory bombings on Gaza. (Photo by Bashar TALEB / AFP)
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Das Al-Shifa-Spital in Gaza ist mit 700 Betten das grösste der Stadt. Bis vor kurzem konnten hier noch Menschen mit lebensbedrohlichen Verletzungen behandelt werden. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) befinden sich rund 2000 Menschen im Spital, vermutlich mehr als 600 Patienten und rund 1500 Vertriebene. Vor dem Areal entstand ein Zeltlager, die Menschen schlafen auf dem Boden.

Seit Tagen gerät der Spitalkomplex immer mehr zwischen die Fronten. Videoaufnahmen zeigen, wie Menschen nachts von Bombardements in unmittelbarer Nähe aufgeschreckt werden. Die israelische Armee weist Vorwürfe zurück, sie greife das Spital an. Israels Militär vermutet unter dem Gebäudekomplex ein Kommandozentrum der Hamas.

«Die Welt kann nicht schweigen, während Spitäler, die sichere Zufluchtsorte sein sollten, in Schauplätze des Todes, der Verwüstung und der Verzweiflung verwandelt werden.»

Tedros Adhanom Ghebreyesus, WHO-Chef

Mittlerweile ist das Al-Shifa-Spital nicht mehr funktionsfähig. Seit drei Tagen gebe es keinen Strom und kein Wasser mehr, schrieb WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf X, ehemals Twitter. Der Kontakt zum Spitalpersonal breche immer wieder ab. Nach Angaben von Spitalangestellten sind einige der aus dem Spital geflohenen Menschen beschossen, verwundet oder getötet worden. Ausserdem sei das Spital von Panzern umstellt.

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«Die ständigen Schüsse und Bombeneinschläge in der Gegend haben die ohnehin schon kritische Lage noch verschärft», berichtete der WHO-Chef. Tragischerweise sei die Zahl der Todesfälle bei Patienten erheblich gestiegen. «Die Welt kann nicht schweigen, während Spitäler, die sichere Zufluchtsorte sein sollten, in Schauplätze des Todes, der Verwüstung und der Verzweiflung verwandelt werden», schrieb Ghebreyesus. Dabei forderte er einen sofortigen humanitären Waffenstillstand.

Zuvor hatte die israelische Seite verlangt, dass das Al-Shifa-Spital geräumt werden müsse. Doch viele operierte Patienten oder Frühchen könnten das Spital gar nicht verlassen, berichteten die Ärzte. Gemäss UNO-Angaben starben seit dem Totalausfall des Stroms am Samstag zwei zu früh geborene Babys und mehrere Patienten. In akuter Lebensgefahr schweben 36 weitere Frühchen, die auf Brutkästen und damit Strom angewiesen sind, sowie einige Dialysepatientinnen und -patienten, ebenso wegen des Strommangels.

An injured Palestinian woman is wheeled into the al-Shifa hospital, following Israeli airstrikes on Gaza City, central Gaza Strip, Sunday, Nov. 5, 2023. (AP Photo/Abed Khaled)

Das UNO-Nothilfebüro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) bezieht sich auf Angaben des Gesundheitsministeriums der Palästinenserbehörde in Ramallah im Westjordanland. Unabhängig lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Es herrschen schockierende Zustände. Nach Angaben des UNO-Nothilfebüros Ocha verwesen auf dem Areal des Al-Shifa-Spitals mittlerweile etwa 100 Leichen. Sie können nicht beerdigt werden. Ähnliche Berichte hört man aus dem Rantisi-Kinderspital, das 2,5 Kilometer vom Al-Shifa-Spital entfernt liegt.

Mit einem Arzt dort konnte unsere Redaktion sprechen. Aus Sicherheitsgründen möchte er seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. Er behandelt Kinder, die Blutkrebs haben, wie er am Telefon erzählte. «Hier riecht es überall nach Tod. Wir können niemanden mehr operieren, hier sind überall Fliegen und Müll, nicht mal Chlor haben wir, um den Boden zu wischen», sagte der 40-jährige Chirurg. Patienten mit Knochenbrüchen könne er längst nicht mehr behandeln. Es gebe keine Schienen mehr, man arbeite mit Kartons, wenn überhaupt.

«Wissen Sie, was schlimmer ist als der Tod? Auf den Tod zu warten.»

Arzt des Al-Shifa-Spitals

Im Hintergrund hört man während des Telefonats immer wieder Raketeneinschläge. «Sie bomben uns in die Steinzeit», sagt der Arzt. Ob die Hamas Tunnel unter den Spitälern gebaut habe, könne er nicht sagen. Er wisse nur, dass hier Patienten seien, die geschützt werden müssten. Er selbst würde jedem Menschen ärztliche Hilfe leisten, auch verletzten israelischen Soldaten. «Aber wenn der Tod von Menschen in Spitälern nun in Kauf genommen wird, dann nenne ich das Kollektivbestrafung», sagt der Arzt des Al-Shifa-Spitals.

Wie sich die Lage mit Blick auf die kommenden Wintermonate verschlechtern werde, wolle er sich gar nicht erst ausmalen. «So viele Menschen hier sind mittlerweile obdachlos, das wird noch grausam enden», sagte er am Telefon. Schliesslich erzählte er auch von einem kleinen Mädchen, vielleicht 10 Jahre alt, das im Spital gebettelt habe, sie wolle nur Brot, soll sie gesagt haben. Wenige Tage später habe er ihre Leiche gefunden.

20 von 36 Spitälern sind nicht mehr funktionstüchtig

Dann will er noch etwas loswerden: «Niemand von meiner Familie ist pro Hamas. Meine Schwestern und Brüder sind Lehrerinnen, Ingenieure, ganz normale Leute. Wir haben das alles nicht verdient», sagt er und weint. «Wissen Sie, was schlimmer ist als der Tod? Auf den Tod zu warten.»

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen hat Alarm geschlagen: Sollten die Kämpfe nicht gestoppt oder zumindest die Patienten evakuiert werden, «werden die Spitäler zu Leichenhallen. Inzwischen sind nach UNO-Angaben 20 der 36 Spitäler im Gazastreifen «nicht mehr funktionsfähig». Und die restlichen Spitäler werden wohl nicht mehr lange durchhalten können. Es fehlt an allem.

An aerial view shows the compound of Al-Shifa hospital in Gaza City on November 7, 2023, amid the ongoing battles between Israel and the Palestinian group Hamas. (Photo by Bashar TALEB / AFP)

Das israelische Aussenministerium hatte am Wochenende berichtet, die im Gazastreifen herrschende Terrororganisation Hamas habe das Al-Shifa-Spital daran gehindert, 300 Liter Treibstoff zu nutzen, die israelische Soldaten am Samstagabend in Behältern neben dem Spital abgestellt hätten. Videos des israelischen Militärs zeigen tatsächlich, wie Soldaten mehrere Kanister tragen.

Der Leiter des Al-Shifa-Spitals, Mohammad Abu Salamia, bezeichnete den Bericht als «Lüge und Diffamierung». Allerdings wies er die Berichte über die abgestellten Kanister nicht zurück. Er sagte, die Menge reiche «keine Viertelstunde» für den Betrieb der Spitalgeneratoren. Zudem befürchte das Spitalpersonal, beschossen zu werden, sollte es die Klinik verlassen.

Gemäss Israel ist das Al-Shifa-Spital ein «absolut zentraler Mittelpunkt» der Hamas.

Wenn Israel wirklich Treibstoff habe liefern wollen, so der Spitalleiter, hätte es diesen in Kooperation mit dem Roten Kreuz oder einer anderen internationalen Organisation schicken können. Stattdessen warf er Israel einen «Krieg gegen die Krankenhäuser in Gaza-Stadt» vor.

Nach Darstellung der israelischen Armee ist das Al-Shifa-Spital ein «absolut zentraler Mittelpunkt» der Hamas. Das Ausmass ihrer Operationen von dort aus sei «riesengross» – in und unter dem Spital. «Wir pushen nach vorn, aber wir haben einen freien Zugang gelassen, den östlichen Ausgang», sagte ein Armeesprecher. Dort könnten die Menschen das Spital verlassen – Tausende hätten dies schon getan.

Marwan Abu Saada, ein leitender Arzt des Al-Shifa-Spitals, bestritt die Darstellung der israelischen Seite, dass sich Hamas-Kämpfer im Spital aufhielten. Das sei «eine grosse Lüge», sagte er der BBC. «Wir haben medizinisches Personal, wir haben Patienten und Vertriebene. Nichts anderes.»

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Im Keller des Rantisi-Kinderspitals in Gaza-Stadt haben israelische Soldaten gemäss eigenen Angaben zahlreiche Waffen palästinensischer Extremisten gefunden. Es gebe auch Anzeichen dafür, dass im Keller des Spitals Geiseln festgehalten worden sein könnten, sagte Militärsprecher Daniel Hagari.

Ein auf der Plattform X veröffentlichtes Video zeigt Sturmgewehre, Handgranaten, Sprengstoffwesten und Waffen zur Panzerabwehr. «Das ist Ausrüstung für schwere Kämpfe», sagte Hagari weiter. Ein Hamas-Sprecher erklärte dem Sender al-Jazeera, Israel werfe mit Falschbehauptungen um sich.