Gastbeitrag zur WohnungsnotEine Schande für unseren Denkplatz
Es gebe gar keinen «Mietpreisnotstand», behauptet Avenir Suisse in einer Studie. Doch diese ist keine Wissenschaft, sondern reine Propaganda.
Grundsätzlich ist es zu begrüssen, wenn sich Denkfabriken mit der Immobilienwirtschaft befassen. Denn die Hochschulen sind diesbezüglich ein Totalausfall. Nur: Die Avenir-Suisse-Studie «Mieten und Mythen» zur Wohnwirtschaft ist keine Wissenschaft, sondern reine Propaganda (Lesen Sie den Artikel zur Studie hier), bei der man sich einfach die gewünschten Zahlen heranzieht.
So gebe es gar keinen «Mietpreisnotstand», denn die Wohnkosten seien im Verhältnis zu den Einkommen stabil. Dazu nimmt die Studie Zahlen, in denen die Wohnkosten der Wohneigentümer miteingerechnet sind. Diese konnten aber ihre Wohnkosten in der Tiefzinsphase (2008–2021) halbieren, während die Mieten im gleichen Zeitraum massiv gestiegen sind und fast 40 Prozent oder gut 10 Milliarden Franken zu hoch sind gegenüber den gesetzlichen Vorgaben. Trotz stark gesunkener Zinsen und reger Bautätigkeit.
Die offiziellen Zahlen zeigen etwas ganz anderes: Über alle Einkommensklassen ist der Anteil der Wohnkosten am Einkommen gestiegen. Würde man noch seriöserweise die massiv gestiegene Erwerbsbeteiligung am Haushaltseinkommen rausrechnen, sähe es noch viel schlimmer aus.
Weiter wird behauptet, Wohngenossenschaften seien weniger nachhaltig, da ihre bauliche Dichte kleiner sei als bei den Kommerziellen. Dazu nimmt die Studie die Zahlen aus der Stadt Zürich, deren Bestand alt ist und aus einer Zeit stammt mit deutlich weniger erlaubter Ausnützung. Schweizweite Studien zeigen das Gegenteil. Nämlich dass Genossenschaften einen deutlich geringeren Wohnflächenverbrauch ausweisen.
Die Baurechtsvergabe ist ein äusserst lukratives Geschäft für die Gemeinden, das Gegenteil von Subvention also.
Und überhaupt, die Genossenschaften hätten deutlich tiefere Mieten, weil sie subventioniert seien. Mit zinsgünstigen Darlehen und «verbilligten Baurechtszinsen» – nicht etwa, weil sie auf Rendite verzichten. Nur, der Bund verdient (mit einem Ausfallrisiko von null) Geld mit den zinsgünstigen Darlehen, weil er das Geld billiger aufnimmt, als er es den Genossenschaften leiht. Und bei den indirekten Subventionen vergessen die Autoren einfach mal die Heimfallbedingungen. Also diejenige Entschädigung, die die Gemeinde bezahlt, wenn das Baurecht nach beispielsweise 66 Jahren ausläuft. In der Regel beläuft sich diese auf 50 Prozent des damaligen Bauwerts. Die entscheidende Bodenwertsteigerung bleibt also zu 100 Prozent im Eigentum des Gemeinwesens.
Bei jeder Renditeberechnung muss man Zinsen und Wertsteigerungen der Anlage zusammen berechnen. Das ist Erstsemester-Stoff zur Investitionsrechnung. Eine Barwertrechnung ergibt, dass die Baurechtsvergabe ein äusserst lukratives Geschäft ist für die Gemeinden, das Gegenteil von Subvention also. Subventioniert ist übrigens die ganze Immobilienbranche. Denn bei jeder Investition der öffentlichen Hand in Infrastrukturen steigt der Ertragswert der Immobilien. Das macht die Immobilienbranche zur meistsubventionierten Branche überhaupt. Im Fall von Baurechten subventioniert die Gemeinde sich wenigstens selbst.
Wir reden hier immerhin von unserem grössten volkswirtschaftlichen Gut: 4,5 Billionen Franken ist der Kapitalstock an Immobilien in der Schweiz. Dieser muss verzinst werden. Das zahlen die Mietenden und die Menschen, die Wohneigentum kaufen. Die Bodenrente (also die leistungsfreien Gewinne), die jährlich durch reine Umverteilung von den Mietenden und Kaufenden an die Eigentümer fliesst, beträgt mindestens 80 Milliarden Franken. Dann noch zu fordern, eigentlich müsse alles noch teurer werden, ist eine Schande für unseren Denkplatz und eine Misere für unsere Volkswirtschaft.
Jacqueline Badran ist Nationalrätin (SP/ZH).
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