Landwirtschaft in JapanFür den Reis ist künftig der Roboter zuständig
Eine Hightech-Firma plant die Revolution: Der Bauer oder die Bäuerin soll hauptberuflich in der Stadt arbeiten, während Roboter das Reisfeld bestellen.
![Viele Landwirte in Japan finden niemanden, der ihre Felder übernimmt. Jetzt wird an automatisierten Lösungen gearbeitet.](https://cdn.unitycms.io/images/2rtLRY1_4QQAwu1aq27EsR.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=q8K6bjEefQ4)
Die Ente ist ein Huhn. Das muss Yoichi Takamoto, Chef des Roboterherstellers Tmsuk aus Kyoto, dazusagen, wenn er ausländischen Besuchern das Reisfeldprojekt seiner Firma erklärt. Bei dem Projekt geht es darum, die Standards beim Anbau des japanischen Nationalgetreides umzugestalten. Um eine Revolution also. Um einen Bruch mit den herkömmlichen Methoden der Landwirtschaft in Japan, die heutzutage meistens mit schweren Maschinen zu tun haben – und manchmal auch mit Enten aus Fleisch und Blut.
Die Enten helfen umweltbewussten Bauern bei der Unkrautbekämpfung. Indem die Tiere durch die Reisfelder paddeln und mit ihren Schwimmhaut-Füssen den Grund aufwühlen, bekommen unerwünschte Pflanzen nicht genug Sonnenlicht zum Wachsen.
Schaufelräder statt Flossen
Die Roboterfirma Tmsuk will die schweren Maschinen durch Roboter ersetzen – und die Enten auch: Raicho I alpha sieht aus wie ein schwimmender Vogel, hat eine Solarzelle auf dem Rücken, Schaufelräder an den Seiten und Füsschen, mit denen er den Grund aufwühlen kann wie eine Ente. Aber: «Das ist keine Ente», sagt Takamoto.
«Raicho» ist das japanische Wort für Alpenschneehuhn, die Bezeichnung «Aigamo» für die typische Reisfeld-Ente haben andere Firmen nämlich schon für ähnliche Geräte benutzt. Tmsuks Ersatzente hat einen weissen, gedrungenen Körper und einen kleinen, spitzen Schnabel. Sie sieht tatsächlich wie ein Alpenschneehuhn aus. Dabei gehen echte Schneehühner gar nicht ins Wasser.
![Die Reisfeldroboter von Yoichi Takamoto (l.) sollen im Oktober zur Erntezeit zum Einsatz kommen.](https://cdn.unitycms.io/images/F63axJx5q2xAV-K95VGrJm.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=MNdtwHPcm-c)
Wahrscheinlich ist das der Humor, den Schöpferinnen und Schöpfer bei ihrer kreativen Arbeit brauchen. Mit Gewohnheiten kann man doch nur brechen, wenn man diese nicht zu ernst nimmt, und Yoichi Takamoto (67), ein schmaler Mann mit modischer Vollhaarfrisur, wirkt ziemlich vergnügt, wenn er von der grossen Aufgabe erzählt, die sein Unternehmen und die Stadt Nobeoka in der Präfektur Miyazaki in Angriff genommen haben.
Mit anderen aus seinem Team sitzt er im Büro eines Funktionsgebäudes, das im Norden Nobeokas oberhalb einer sattgrünen japanischen Felderlandschaft liegt. Es scheint ihn nicht zu bekümmern, dass Tmsuks Einstieg in die Reisfeldarbeit die geregelte Welt des mächtigen Landwirtschaftsverbandes JA infrage stellt. Er findet den Gedanken sogar lustig. «Vielleicht werde ich ermordet», sagt Takamoto und lacht.
Aber im Ernst: Japans Überalterung schreitet voran, im Hinterland wird die Bevölkerung immer kleiner. Viele alte Bauern finden keine Nachfolger mehr. In Nobeoka kann das der Landwirt Takao Kawano (53), bestätigen, der für eine örtliche Landwirtschaftsgenossenschaft arbeitet. Seine beiden Söhne und seine Tochter würden zwar auf dem Feld helfen. «Aber eigentlich haben sie andere Jobs», sagt er, «sollten sie eines Tages Landwirtschaft betreiben, dann allenfalls nebenbei.»
Reis aus Thailand? Nein, danke!
Deshalb braucht es autonome oder ferngesteuerte Lösungen für Japans Landwirtschaft. Gerade beim Reisanbau, denn wenn es um Reis geht, sind japanische Menschen heikel. Sie bevorzugen heimische Ware. Bis vor 30 Jahren gab es sogar ein Einfuhrverbot für Reis aus dem Ausland. Viele Japanerinnen und Japaner erinnern sich noch, wie das war, als die Regierung dieses 1993 nach einer aussergewöhnlich schlechten Ernte aufhob und man plötzlich auch mal Reis aus Thailand essen musste. Er schmeckte ihnen nicht.
Nobeoka ist ein typischer Schauplatz der schwindenden Landwirtschaft in Japan. Es leben knapp 114’000 Menschen hier, Tendenz fallend. Die Fahrt mit dem leeren Linienbus vom dicht bebauten Zentrum zum Stadtteil Kitauramachi, in dem das Treffen stattfindet, dauert 45 Minuten. Bergwälder ziehen vorbei, kleine Häfen, Muschelfarmen, bis sich die idyllische Ebene ausbreitet.
![Und die Ernte? «Das ist noch ein Geheimnis», sagt Takamoto. Herkömmlicher Reisanbau in Sasayama.](https://cdn.unitycms.io/images/AowGXjiT4rC9uGcudHL0BV.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=zLVkB6FFaM8)
Tmsuk kam hierher, weil Takamoto den Stadtfunktionär Hiroshi Nakama kannte – beziehungsweise Nakama ihn. Über Ideen für die Landwirtschaft habe er mit Nakama schon gesprochen, als dieser noch im Innenministerium für Telekommunikation zuständig war, erzählt Takamoto. «Dann wurde er Vizebürgermeister in Nobeoka und sagte, die Gegend sei interessant, ‹bitte kommen Sie›.»
Tmsuk hat schon die verschiedensten Roboter entwickelt, zum Beispiel einen zur Inspektion von Wasserleitungen oder einen Humanoiden fürs Erste-Hilfe-Training. Mit Landwirtschaft hatte die Firma bisher nichts zu tun, wenn man mal davon absieht, dass Yoichi Takamoto vor geraumer Zeit in Gunma ein Feld geerbt hatte und deshalb die Probleme auf dem Land kannte. Er war dankbar, dass die Stadt Nobeoka drei Felder für ein Experiment zur Verfügung stellte. Im April ging es los.
«Die Stufe mit den Setzlingen haben wir übersprungen.»
Der Reisanbau vollzieht sich in verschiedenen Schritten: Das Ansäen und das Einpflanzen der Keimlinge sind zum Beispiel zwei Schritte. Normalerweise werden die Keimlinge erst entwickelt und dann mit Spezialmaschinen in die gefluteten Felder gesetzt.
«Das wollten wir anders machen», sagt Takamoto, «die Stufe mit den Setzlingen haben wir übersprungen.» Die Tmsuk-Leute säten den Reis direkt an. Sie beschwerten das Saatgut mit Eisenpulver, damit es im Wasser absinken konnte, und verteilten es mit einer Drohne auf den Feldern. Bei der Unkrautbekämpfung halfen besagte Schneehuhn-Attrappen, die mit künstlicher Intelligenz wie autonome Staubsauger funktionieren.
«Sie sind billiger als echte Ente», sagt Takamoto. Natürlich, denn man muss sie nicht füttern, und sie halten länger. Laut Tmsuk reichen fünf Geräte für ein Feld von 1000 Quadratmetern. Es gibt auch eine ferngesteuerte Betaversion mit Kamera zur Feldüberwachung.
Und die Ernte? «Das ist noch ein Geheimnis», sagt Takamoto und schaut grinsend auf die beiden Mitarbeiter im Raum, die zuständig sind für das Projekt Raicho 2. Sie arbeiten an dem Roboter, der auch die normalen Erntemaschinen überflüssig machen soll. «Wenn es gut geht, können wir damit schon diesen Oktober ernten.» Wenn nicht? Auf drei Jahre hat Tmsuk das Experiment angelegt, 100 Millionen Yen, umgerechnet rund 622’602 Franken, kostet es nach Schätzungen der Firma.
Kein schöner Anblick für konservative Reisbauern
Im vierten Jahr soll das Hightech-Set für einen bequemeren Reisanbau reif für den Verkauf sein. Vielleicht gibt es bis dahin auch schnelles Internet auf den Feldern. «Das wäre für viele Dinge nützlich», sagt Takamoto. Derzeit müsse die Datenübertragung noch über das Mobilfunknetz funktionieren.
Das Ziel ist eine billigere, emissionsfreie Landwirtschaft aus der Ferne. Der Bauer oder die Bäuerin der Zukunft sollen hauptberuflich in der Stadt tätig sein können, während die Roboter auf dem Feld arbeiten. «Unser Projekt ist nicht für Leute, die normalen Reisanbau betreiben», sagt Takamoto, «sondern für die, die ans Aufhören denken und ihre Felder nicht mehr nutzen können.» Aus dem Agrarministerium in Tokio kommen erfreute Reaktionen.
«Diese Initiative liegt auf einer Linie mit unserem Aktionskurs zur Unterstützung der Landwirtschaft», zitiert die Zeitung «Asahi» einen Fachbeamten. Der Verband JA sagt dazu nichts. Auf Anfrage erklärt er: «Weil wir die Initiativen anderer Unternehmen nicht kommentieren können, möchten wir davon absehen, Ihre Frage zu beantworten.» Und Takamoto weiss natürlich, dass die Tmsuk-Methode noch Schwächen hat.
![Mit Landwirtschaft hatte seine Firma bisher nichts zu tun: Yoichi Takamoto, Chef des Roboterherstellers Tmsuk.](https://cdn.unitycms.io/images/8y58k8SD4aEA106gwmODbZ.jpg?op=ocroped&val=1200,800,1000,1000,0,0&sum=JIQ_L51OOIY)
Yoichi Takamoto steht mit Schlapphut und Gummistiefeln zwischen zwei Feldern. Es regnet, um die Berge wabern niedrige Wolken. Links von ihm erstreckt sich ein Feld, das mit herkömmlichen Maschinen bestellt wurde, rechts ein Feld, auf dem Tmsuk-Leute per Drohne gesät haben. Auf dem einen wachsen die Pflanzen in Reih und Glied. Das andere sieht aus wie eine überschwemmte Wiese – sicher kein schöner Anblick für einen konservativen Reisbauern.
Takamoto sagt: «Wir forschen noch, mit welchem Timing und welchen Flugmethoden man säen soll.» Für ihn ist der Anblick okay, Experimente sind nun mal nicht gleich perfekt. Yoichi Takamoto hat gute Laune. Er ist sicher: Eines Tages werden die Roboter Bauern sein.
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