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Überfüllte Metropole
Japan zahlt Familien 7000 Franken pro Kind – für den Wegzug aus Tokio

Jedes Jahr ziehen mehr Menschen nach Tokio als aus der Stadt heraus. Die Metropole ist überfüllt, wie hier beim Neujahrsshopping.
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Familien in Tokio erhalten von der japanischen Regierung neu eine Million Yen pro Kind, wenn sie die Metropole verlassen. Das sind umgerechnet 7000 Franken und entspricht in Tokio ungefähr zwei Monatslöhnen, gemäss dem Durchschnittsgehalt in der Stadt.

Mit der Zahlung will Japan zwei Ziele erreichen: den Bevölkerungsrückgang auf dem Land stoppen – und die überfüllte Millionenstadt Tokio entlasten. Das Programm läuft schon länger, bisher wurden 300’000 Yen pro Kind gezahlt. Doch die Zuwanderung nach Tokio konnte das offenbar nicht aufhalten, bis zur Corona-Pandemie zogen jährlich 80’000 Menschen mehr in die Stadt als weg.

39 Millionen Menschen im Grossraum Tokio

Dabei gibt es seit 2008 einen Bevölkerungsrückgang in Japan. Damals lebten 128,1 Millionen Menschen im ganzen Land, 2021 waren es noch 125,7 Millionen. Die Geburtenrate in Japan ist tief, seit 2005 sterben jährlich mehr Menschen als hinzukommen. Erst mit Corona hat dieser Effekt auch Tokio erreicht, 2021 lebten erstmals seit 25 Jahren weniger Menschen in der Stadt als im Vorjahr, die Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner schrumpfte um rund 50’000. Knapp 14 Millionen Menschen leben aber noch immer in der Stadt, rund 39 Millionen im gesamten Ballungsraum.

Corona hat auch in Tokio erstmals seit 25 Jahren zu einem Bevölkerungsrückgang geführt. Die Regierung möchte nun vor allem Familien in ländliche Regionen locken.

Wie vielerorts wurde das Leben im Städtedschungel für einige durch die Pandemie zu eng. Tokio ist zudem eine der teuersten Städte der Welt, die Wohnungen sind klein, es gibt nur wenig Kinderbetreuungsangebote. Und doch zieht es weiterhin Leute in die Stadt, und es braucht offenbar finanzielle Anreize, um Familien aufs Land zu locken.

Bis zu 35’000 Franken für eine Familie

Dort gäbe es mehr als genügend Platz, doch die Aussichten werden immer düsterer. In vielen Dörfern gibt es kaum noch Kinder, Schulen werden geschlossen, und es gibt Ortschaften, in denen die jüngste Person bereits über 50 Jahre alt ist.

Schon seit 2019 zahlt die Regierung deshalb Umzugswilligen, die seit mindestens fünf Jahren in Tokio leben und arbeiten, eine Prämie. 600’000 Yen oder 4200 Franken gibt es für Singles, 7000 Franken für ein Paar. Und für Familien wurden die Zahlungen nun mehr als verdreifacht. Eine Familie mit zwei Kindern kann sich im besten Fall bis zu fünf Millionen Yen für den Umzug aufs Land auszahlen lassen, das sind 35’000 Franken.

Ausserhalb Tokios locken nicht nur bessere Platzverhältnisse, sondern auch mehr Natur, wie hier in der Shizuoka-Präfektur.

Ob das reicht, um die ländlichen Gebiete wieder zu bevölkern, wird sich mit Fortdauer des Programms weisen, schliesslich hängen an einem Umzug auch andere Faktoren wie Job, Verwandte, Freunde. 2019 holten sich erst 71 Haushalte die Prämie ab, 2021 waren es dann bereits 1184. Das Ziel ist, dass bis 2027 rund 10’000 Personen dank des Programms umziehen werden.

Homeoffice bietet neue Möglichkeiten

Japan hat auch andere Anstrengungen unternommen, um den Bevölkerungsrückgang und die Landflucht zu stoppen. Mit einem seit 2015 laufenden Projekt wird versucht, Jobs auf dem Land zu schaffen, vor allem in der Landwirtschaft und im Tourismus. Die Kinderbetreuung wurde ausgebaut, mehr Wohnraum für Familien geschaffen, und teilweise zahlen Ortschaften gar Prämien, wenn Paare Kinder bekommen. Auch hier zeigt sich noch kein Effekt, mit einer Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau liegt Japan weit unter dem Wert von 2,1. Dieser ist notwendig, damit die Bevölkerungszahl nicht schrumpft.

Im Programm der Regierung mitmachen kann auch, wer seinen Job in Tokio behält, aber aufs Land zieht und dann mehrheitlich von zu Hause aus arbeitet – was auch in Japan seit Corona vermehrt möglich ist.

Die niedrigste Geburtenrate in ganz Japan hat Tokio. Umso mehr Grund für die Regierung, die Bevölkerung wieder in ländliche Gebiete zu locken. Und seit Corona gibt es auch in Japan mehr Homeoffice-Möglichkeiten, was den Umzug aufs Land erleichtert. Das beliebteste Ziel der Tokio-Flüchtenden war denn auch die Shizuoka-Präfektur, südwestlich von Tokio am Pazifik gelegen. Per Schnellzug Shinkansen ist die Hauptstadt nur eine Stunde entfernt.

Junge erhalten Geld für Renovationen und Geschäfte

Doch die Leute zögen auch weiter weg, sagte Hiroshi Takahashi dem «Guardian». Er ist Chef des Hometown Return Support Centre, einer Non-Profit-Organisation, die den Menschen dabei hilft, aus den Grossstädten aufs Land umzuziehen. Er sieht den Trend zum Leben in der Stadt als beendet, auch nach der Pandemie. Die Wertvorstellungen in Japan seien im Wandel. Sei zuvor vor allem die Arbeit wichtig gewesen, rücke gerade für Familien nun das Lebensumfeld in den Mittelpunkt. Er erhält viele Anfragen für einen Umzug von Tokio in die Fukuoka-Präfektur, diese liegt ganz im Südwesten Japans, weit weg von der Hauptstadt.

Dabei sind es nicht nur Familien, die das Landleben suchen. In einer Umfrage wurde herausgefunden, dass viele Junge Anfang 20 Interesse an einem Umzug aus der Stadt haben. Sie wollen mehr Natur, sauberere Luft – oder werden durch zahlreiche Angebote angelockt. Sie erhalten beispielsweise Geld, um ein verlassenes Haus zu renovieren, ein Auto zu kaufen oder ein Geschäft aufzubauen. Wer unsicher ist, kann eine Woche gratis im Ort wohnen, um diesen besser kennen zu lernen.

Die Angebote sind aber nur an ernsthafte Bewerberinnen und Bewerber gerichtet. Man kann die Prämien nicht einfach einsacken und zurück nach Tokio ziehen, dafür ist gesorgt. Im Programm der Regierung müssen die Familien beispielsweise mindestens fünf Jahre am neuen Ort leben, und jemand im Haushalt muss einer Arbeit nachgehen oder ein Geschäft eröffnen. Ansonsten muss das Geld zurückgezahlt werden.