Freie Bahn für Netanyahu
Nach dem grossen Auszählungschaos in Israel ist in der Nacht das Wahlergebnis veröffentlicht worden.
Der Wahlausgang ist ein Triumph für Benjamin Netanyahu: Er geht deutlich gestärkt und als Wahlsieger aus dem Urnengang hervor. Seine Partei, der rechtsnationale Likud, hat mit knappem Abstand gewonnen. Der Vorsprung gegenüber dem Parteienbündnis Blau-Weiss von Benny Gantz betrug bei 6,3 Millionen Wahlberechtigten zwar nur einige Tausend Stimmen, aber damit ist Netanyahu eindeutig Wahlsieger – zumal sein Likud einen Sitz mehr als Blau-Weiss hat. Likud erhielt mit einem Wahlergebnis von 26,45 Prozent 36 Sitze, Blau-Weiss mit 26,11 Prozent 35 Sitze.
Allen Korruptionsvorwürfen zum Trotz: Es ist das beste Ergebnis, das der Likud unter Netanyahus Führung erzielt hat. 2003 wurden unter Ariel Sharon 38 Sitze in der Knesset erobert. Damit kann Netanyahu seine fünfte Amtszeit als Ministerpräsident ansteuern.
Die vorläufigen Endergebnisse waren in der Nacht zum Freitag veröffentlicht worden – 60 Stunden nach Schliessung der Wahllokale. Die Auszählung war nach Angaben des Wahlkomitees bereits am Donnerstagvormittag abgeschlossen. Auf der Website des Komitees wurde veröffentlicht, dass die Partei Neue Rechte den Einzug knapp geschafft hatte. Vertreter erklärten jedoch, dies sei nicht der Fall. Es gebe technische Pannen. Eine Sprecherin dementierte einen Hackerangriff und versicherte, die Auszählung per Hand sei korrekt.
Nochmalige Überprüfung der Wahlergebnisse
Da die den Siedlern nahestehende Partei der bisherigen Minister Naphtali Bennett und Ajelet Shaked den Sprung in die Knesset um offenbar 1380 Stimmen verpasst hatte, verlangte sie eine Neuauszählung. Auch von Wahlbetrug war die Rede. Nach der Auszählung hatte es auch geheissen, ein Sitz sei von der Partei Vereinigtes Thora-Judentum zur linken Meretz gewandert. Schlussendlich hatte der Likud einen Sitz mehr. Das Oberste Gericht überprüft die Ergebnisse noch einmal, und erst nach der Übergabe an den Präsidenten am 17. April sind sie offiziell.
Das vorläufige Endergebnis sieht für den rechten Block wie folgt aus: Der Likud erobert 36 Sitze, die ultraorthodoxen Parteien Shas und Vereinigtes Thora-Judentum haben acht beziehungsweise sieben Sitze, Unser Haus Israel und die Union rechter Parteien je fünf und Kulanu vier Sitze. Blau-Weiss wird in der Knesset 35 Sitze besetzen, die Arbeitspartei ist mit sechs Sitzen auf einem historischen Tiefstand gelandet, die linke Meretz kann vier Sitze für sich verbuchen. Die zwei arabischen Listen mit je zwei Parteien kommen auf zehn Sitze: sechs für Hadash-taal und vier für Raam-Balad.
Schwierige Koalitionsbildung
Dass die ultraorthodoxe Partei Vereinigtes Thora-Judentum einen Sitz weniger und der Likud einen mehr hat, stärkt Netanyahu ebenfalls. Die ebenfalls ultraorthodoxe Shas-Partei hat dem Regierungschef kaum Probleme bereitet. Aber deren Vorsitzender Arye Deri dürfte einer neuen Regierung nicht mehr angehören. Der bisherige Innenminister muss mit einer Anklage wegen Korruption rechnen. Die Partei Vereinigtes Thora-Judentum löste mit ihren Forderungen nach Arbeitsverbot am Shabbat und der Befreiung der streng religiösen Juden vom Wehrdienst dagegen mehrere Koalitionskrisen aus. Wenn der Zuwachs für diese Partei nun etwas geringer ausfällt, dann hat das auch Einfluss auf ihr Gewicht in der Koalition.
Kompliziert wird nun allerdings die Bildung einer Koalition. 2015 startete Netanyahu mit einer Regierung aus fünf Parteien und einer knappen Mehrheit von 61 der 120 Sitze in der Knesset. Ein Jahr später nahm er Avigdor Lieberman und dessen Partei Unser Haus Israel mit in die Koalition, deren Mehrheit damit auf 67 Sitze anstieg. Als Lieberman, der Verteidigungsminister war, im vergangenen Herbst aus Protest gegen die seiner Ansicht nach zu laxe Reaktion Israels auf Raketen aus dem Gazastreifen zurücktrat, hielt sich die Koalition noch einige Wochen, ehe Netanyahu vorgezogene Wahlen bekannt gab.
Einer von Netanyahus Koalitionspartnern hat bereits angeboten, ein Gesetz einzubringen, das dem Regierungschef Immunität zusichert.
Netanyahu wird nun alles daran setzen, erneut mit sechs Parteien regieren zu können. Er könnte theoretisch nur auf die vier Sitze von Kulanu verzichten, dann hätte er eine knappe Mehrheit von 61 der 120 Sitze. Die potenziellen Koalitionspartner stellen bereits Bedingungen: Lieberman will Zusagen für eine härtere Gazapolitik, die Union rechter Parteien, die auch die extremistische Jüdische Stärke in ihren Reihen hat, beansprucht die Ministerposten für Bildung und Justiz. Der Poker hat schon begonnen, noch ehe Präsident Reuven Rivlin offiziell den Regierungsbildungsauftrag vergeben hat.
Wunsch nach Veränderung besteht
Benny Gantz hat am Mittwochabend seine Niederlage eingeräumt und angekündigt, er werde in den nächsten zehn Jahren in der Politik bleiben. Dass das vom ehemaligen Generalstabschef erst vor zehn Wochen gegründete Parteienbündnis aus dem Stand fast gleichauf mit dem Likud landete, zeigt, dass es einen Wunsch nach Veränderung bei vielen Israelis gibt. Der Abstand zwischen dem Likud und der zweitstärksten Partei ist viel geringer als nach der Wahl 2015. Die Zionistische Union aus Arbeitspartei und Tzipi Livnis Bewegung hatte 24 Sitze, der Likud 30. Die jetzige Opposition ist aufgrund ihrer Sitzanzahl gestärkt. Gantz erklärte mit Blick auf die Netanyahu drohenden Korruptionsanklagen: «Wir haben eine Alternative zur Regierung gebildet.»
Am Donnerstag übergab Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit den Anwälten von Netanyahu Belastungsmaterial in den drei Korruptionsfällen, in denen der Regierungschef mit einer Anklage wegen Bestechlichkeit, Untreue und Betrug rechnen muss. Damit sollen sie sich auf die spätestens im Juli erwartete Anhörung vorbereiten können. Dann wird endgültig über Anklagen entschieden. Ein Prozess könnte nach Ansicht von Rechtsexperten frühestens im Dezember beginnen.
Aber einer seiner Koalitionspartner in der von Netanyahu geschmiedeten Union rechter Partei hat bereits angeboten, ein Gesetz einzubringen, das dem Regierungschef Immunität zusichert. Dann könnte Netanyahu, der im Sommer Staatsgründer David Ben Gurion als längstdienender Regierungschef überholt, seinen Triumph noch länger auskosten.
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