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Freeskierin Giulia Tanno
«Ich habe lange gestürmt, bis meine Eltern eingelenkt haben»

BEIJING, CHINA - DECEMBER 14:  Giulia Tanno of Switzerland competes in the Women's Freeski Big Air finals during the 2019 Air+Style Beijing FIS SnowBoard World Cup at Shougang Park on December 14, 2019 in Beijing, China. The Big Air Shougang is a venue for the FIS Freestyle Ski and Snowboard World Cup competition from December 10 to 14, and Beijing 2022 Winter Olympic Games.  (Photo by Lintao Zhang/Getty Images)
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«Es fühlt sich immer noch unwirklich an, wie ein Albtraum.» Das waren die Worte Giulia Tannos in den sozialen Medien, als sie die zweiten Olympischen Spiele in Folge verpasste. Ein Kreuzbandriss war die Diagnose, just einen Monat vor Olympia 2022 in Peking. Die 25-jährige Freeskierin ist Rückschläge in ihrer Karriere gewohnt. Seit ihrem Debüt im Weltcup vor rund zehn Jahren musste sich die Bündnerin schon oft operieren lassen.

Schlüsselbeinbruch, Meniskusriss, Riss des Syndesmosebandes im Sprunggelenk, Bruch des Oberarmknochens und des Schulterblatts, oder eben Kreuzbandriss – dies ist nur eine Auswahl ihrer bereits neun Verletzungen in der letzten Dekade. «Als eine Verletzung nach der anderen kam, gab es schon Momente, in denen ich mich hinterfragt habe, weshalb ich das hier mache. Es war total frustrierend», sagt Tanno und fügt an: «Aber ich mache diesen Sport einfach zu gerne, als dass es eine Option gewesen wäre, einfach aufzuhören.»

Durch viel Überzeugungsarbeit ins Sportgymnasium

Tanno, aufgewachsen in Lenzerheide, ist das Skifahren quasi ortsgebunden in die Wiege gelegt worden. Sie fing mit Ski alpin an, doch schon bald zog es sie in Richtung Freeski. Auch wenn sie oft das einzige Mädchen war, minderte dies ihre Begeisterung für den Sport keineswegs, und so konnte sie ihre Eltern überzeugen, mit ihr eines Herbstes nach Saas-Fee zu gehen, um im Freeski-Park zu trainieren. Prompt wurde sie dort vom ehemaligen Schweizer Nationaltrainer gesichtet und in ein Probetraining eingeladen. Die Karriere von Giulia Tanno nahm ihren Lauf.

Mit ihrem starken Willen hat Giulia Tanno etliche Rückschläge überwunden.

Zum Selbstläufer wurde es dann aber nicht. Um professionell trainieren zu können, wollte die Bündnerin nach der zweiten Sekundarstufe nach Engelberg ins Sportgymnasium. Dafür musste sie bei ihren Eltern einige Überzeugungsarbeit leisten. Denn Freeski war in den Jahren 2012/13 noch weiter als jetzt davon entfernt, als Leistungssport breit akzeptiert zu sein, und das Sportgymnasium kostete dazu rund 15’000 Franken – jährlich. «Ich habe lange gestürmt, bis meine Eltern eingelenkt haben», sagt Tanno. Doch ihr Durchsetzungswille sollte sich schon in ihrem ersten Winter als Schülerin am Sportgymnasium auszahlen. Sie durfte mit dem Nationalteam an ihre ersten Weltcup-Events reisen und Erfahrungen auf höchster Stufe sammeln.

Die zwei ersten Weltcup-Podestplätze folgten dann rund zwei Jahre später im Januar 2016, nachdem sie sich im Juli 2015 noch eine Fraktur am Schlüsselbein zugezogen hatte. Über einen längeren Zeitraum verletzungsfrei zu trainieren, ist für Tanno alles andere als normal. Dementsprechend wichtig war es, dass sie seit ihrem Kreuzbandriss gesund blieb: «Ich habe das nun auch wirklich gebraucht, dass ich eine längere Zeit gesund bin und so auch das Vertrauen habe, um Neues auszuprobieren. Es hat recht lange gedauert, bis ich wieder mit hundertprozentiger Überzeugung Ski fahren konnte», sagt sie.

«Giulia, das ist für dich»

Stets zur Seite standen der zweifachen Weltcupsiegerin ihre Mentalcoachs. «Logischerweise hat man immer negative Gedanken, wenn man von einer Verletzung zurückkommt. Man weiss natürlich, dass man diese Gedanken nicht haben sollte», sagt Tanno und fügt an: «Aber es ist sehr schwer, selbst zu wissen, wie man damit am besten umgeht, und daher war es für mich sehr wichtig, dass ich mich mit jemanden austauschen konnte, der mir wichtige Tipps auf den Weg gab.»

Dass sie den Weg zurück immer wieder in eindrücklicher Manier meistert, zeigt Tanno auch in diesem Winter. Mit dem fünften Platz im Big-Air-Wettkampf im amerikanischen Copper Mountain und dem vierten Platz in Peking beweist sie, dass sie längst wieder mit der Weltspitze mithalten kann. Auch schon in früheren Jahren demonstrierte sie ihre Klasse: Sie ist mit vier X-Games-Medaillen, 14 Weltcup-Podestplätzen und dem zweifachen Gewinn der Disziplinenwertung in der Kategorie Big Air eine der erfolgreichsten Schweizer Freeskierinnen.

Ihre 23-jährige Teamkollegin Mathilde Gremaud ist mit drei Olympiamedaillen, zwei WM-Medaillen und 19 Weltcup-Podestplätzen die Frau, die es aktuell zu schlagen gilt. Die Freiburgerin gewann 2022 in Peking Olympiagold im Slopestyle und widmete dieses mit den Worten «Giulia, das ist für dich» ihrer verletzten Teamkollegin.

«Bei uns helfen alle einander, und wir sind bestens befreundet. Alle geben sich gegenseitig Tipps, wie man die Tricks besser ausführen kann, auch wenn wir auf dem Berg kurz Konkurrenten sind», sagt Tanno zum Spirit im Schweizer Team. Die Bündnerin, welche mit ihren 25 Jahren schon zu den Routiniers gehört, möchte noch einige Jahre ein Teil dieser Gruppe bleiben.

Und da ist auch noch der unerfüllte Olympiatraum. Die nächsten Spiele folgen 2026 in Mailand und Cortina. Tanno sagt: «Mit Olympia habe ich noch nicht ganz abgeschlossen, da muss ich ehrlich sein. Auch wenn ich über die Zeit realisiert habe, dass es nicht das Einzige ist, das zählt, und mich auch nicht definiert. Aber ich würde lügen, wenn ich sage, dass mir das nichts bedeuten würde, da einmal teilzunehmen.»

Es ist Giulia Tanno durchaus zuzutrauen, dass sie es bei ihrem dritten Versuch an die Olympischen Spiele schafft. Denn durch ihre Leidenschaft für den Sport und ihren Kampfgeist ist sie nach jedem Rückschlag wieder aufgestanden.