Tour de France FemmesDer Frauen-Radsport boomt – doch Löhne und Sicherheit gefährden den Aufschwung
Die Fahrt auf die Alpe d’Huez heute bedeutet einen historischen Höhepunkt. Andererseits zeigt eine Umfrage: Noch immer sind Fahrerinnen mit Helmen der falschen Grösse und ohne Entlöhnung unterwegs.
Dieser Sonntag ist ein historischer Tag – zumindest für den Frauenradsport: Die Tour de France Femmes endet auf der Alpe d’Huez. In den legendären 21 Kehren haben grosse Namen wie Fausto Coppi, Bernard Hinault und Gianni Bugno Sportgeschichte geschrieben – 1982 auch Beat Breu und zuletzt Tom Pidcock. Jede Kehre trägt den Namen eines Siegers auf der Alpe. Und nun erreicht das weibliche Peloton erstmals diese geschichtsträchtige Velostätte – und der Frauenradsport damit einen Höhepunkt.
Die Alpe d’Huez ist der Party-Berg der Radwelt, besonders die Kehre 7 hat es in sich: der berühmt-berüchtigte «Dutch Corner». Wo die niederländischen Fans die männlichen Radstars stets frenetisch anfeuern. Auch heute werden Tausende am knapp 14 Kilometer langen Anstieg erwartet – allen voran die Niederländer. Schliesslich gehört ihre Landsfrau Demi Vollering zu den Topfavoritinnen. Zudem hat die Tour der Frauen anlässlich der ersten Etappen in den Niederlanden bereits Zuschauerrekorde verzeichnet.
Doch nicht nur im traditionellen Veloland ist die Aufmerksamkeit des Frauenradsports gestiegen: Wo auch immer die Sportlerinnen auf ihren Landesrundfahrten haltmachen, stehen sie Schlange – ihre grossen und kleinen Fans. Viele davon sind Mädchen, die ihre Idole aus der Nähe sehen und mit Vollering oder ihrer Konkurrentin Kasia Niewiadoma ein Selfie machen wollen.
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Diese Begeisterung kennt auch Cybèle Schneider, obwohl die Baslerin weder an der Frankreich-Rundfahrt noch wie Vollering für eine Elite-Equipe der Worldtour fährt. Die 28-Jährige ist für Bepink-Bongioanni, ein Continental-Team, unterwegs und fährt damit in der zweiten Liga. «Es kommen viele Kinder zu uns, fragen nach Autogrammen oder Bidons», sagt sie. Andere schreiben und bitten um ein signiertes Trikot.
Erst seit wenigen Jahren ist es Mädchen möglich, sich an Radsportlerinnen ein Vorbild zu nehmen. Zuvor waren ihre Idole Männer, nur für sie gab es Landesrundfahrten, nur sie genossen mediale Aufmerksamkeit.
Die Medien: Von «kaum existent» zum fixen Bestandteil des Programms
Heute können Fans in 190 Ländern mitfiebern, wenn Vollering versucht, im Aufstieg zur Alpe das Ruder im Gesamtklassement noch herumzureissen. 22 Stunden dauert die Liveübertragung, seit die Tour gestartet ist. Davon konnten die Sportlerinnen vor einem Jahrzehnt nur träumen: Wie Daam van Reeth, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der belgischen Universität Löwen, in seinem Buch «The Economics of Professional Road Cycling» analysiert, war das weibliche Peloton an den Bildschirmen bis vor kurzem kaum existent. Bis 2014 waren in europäischen Ländern «bestenfalls» drei Frauenrennen pro Jahr live am TV zu sehen.
Das änderte sich langsam, dafür stetig. Laut Van Reeth hat der Sender Eurosport im Jahr 2018 15 der 22 Worldtour-Rennen der Frauen übertragen und damit 5 Millionen Zuschauer erreicht. Inzwischen zeigen auch öffentliche TV-Sender ausgewählte Frauenrennen, zum Beispiel in der Schweiz.
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Während das SRF 2021 die Tour de Suisse Women nur im Livestream zeigte, strahlt es dieses Rennen seit 2022 auf seinen Sendern aus. Und zwar immer länger: 2022 waren es 5,9 Stunden, dieses Jahr bereits 7 Stunden. Die Tour de Suisse der Frauen ist zu einem fixen Bestandteil des Programms geworden, und so ist 2025 «die Berichterstattung analog zu diesem Jahr geplant». Das teilt eine SRF-Sprecherin auf Anfrage mit.
Die Löhne: Positiver Trend und eine grösser werdende Schere
Seit 2017 führt die Organisation The Cyclists’ Alliance (TCA) jährlich eine anonyme Umfrage durch. Damit fühlt die Vereinigung, welche die Interessen der Fahrerinnen vertritt, den Frauen im Radsport den Puls. Die Antworten zeigten punkto Lohnentwicklung «seit 2018 einen positiven Trend», wie TCA-Direktor Jean-François Reymond sagt. Was wohl mit dem festgelegten Mindestlohn bei den Worldtour-Teams – der höchsten Liga – zusammenhängt. Eingeführt im Jahr 2020, betrug er 15’000 Euro, dieses Jahr sind es 35’000, und 2025 wird er auf 38’000 Euro angehoben. Zum Vergleich: Bei den Männern beträgt er ab 2025 44’000 Euro, nach heutigem Kurs rund 42’000 Franken.
Eine gute Nachricht ist auch, dass inzwischen die ersten Rennställe, die sowohl ein Männer- als auch ein Frauenteam am Start haben, beiden denselben Mindestlohn bezahlen. So beispielsweise ab 2025 das niederländische Team dsm-firmenich PostNL, in dessen Farben Charlotte Kool die beiden ersten Etappen der Tour gewann.
Sorge bereitet Reymond allerdings, dass sich die Lohnschere innerhalb des weiblichen Pelotons immer weiter öffnet. Gerüchten zufolge wird Superstar Vollering für das nächste Jahr ein Vertrag in Höhe von einer Million Euro angeboten. Währenddessen bestreitet ausserhalb der Worldtour-Teams jede vierte Fahrerin ihre Velokarriere ohne Lohn, 55 Prozent erhalten weniger als 10’000 Franken jährlich. Das hat die TCA-Umfrage ergeben.
Cybèle Schneider ist eine der Fahrerinnen, die keinen Lohn erhält. Allerdings gilt das nicht für alle in ihrem Team. Das hat Schneider aber erst erfahren, als ihr Vertrag unterzeichnet war. Bei den Verhandlungen habe der Manager der Equipe angegeben, dass keine der Fahrerinnen entlöhnt werde. «In Gesprächen mit meinen Kolleginnen fand ich später heraus, dass das nicht stimmt», sagt Schneider.
Trotzdem hat Schneider, die internationales Recht studiert hat, in diesem Frühsommer beschlossen, alles auf die Karte Sport zu setzen. Sie hat ihren 60-Prozent-Job gekündigt und hofft, bis Ende Jahr einen Vertrag bei einem neuen Team zu erhalten.
Die Sicherheit: Abgebrochene Rennen, zu grosse Helme
Für Schneider besteht bei der Lohnschere der grösste Handlungsbedarf im Frauenradsport: «Es geht um viel mehr als um Geld, es geht auch um die Sicherheit im Fahrerinnenfeld», sagt sie. Anders als etwa beim Fussballnachwuchs fährt bei Radrennen immer auch ein hohes Risiko mit. Das belegen fatale Unfälle sogar auf höchstem Niveau. «Athletinnen, die nebenher arbeiten müssen, kann es an Routine fehlen», sagt Schneider. Doch Erfahrung braucht es in den immer schnelleren Rennen mit grossen Feldern. «Sonst sind nicht nur die betroffenen Fahrerinnen gefährdet, sondern das ganze Peloton.»
Tatsächlich sinkt das Sicherheitsempfinden im Frauenpeloton laut TCA-Umfrage: Die Zahl der Fahrerinnen, die sich nicht sicher fühlen, hat sich seit 2023 verdoppelt. Das liegt auch an Rennen, bei denen der Sicherheit nicht genug Beachtung geschenkt wird. Wie dieses Jahr bei der dreitägigen Tour Féminin des Pyrénées, wo dem Feld Fahrzeuge entgegenkamen und auf den letzten, meist hektischen und schnellen Kilometern Autos abgestellt waren.
Es liegt aber auch am Material, das den Sportlerinnen in der zweiten Liga zur Verfügung gestellt wird. In der Umfrage von 2023 schreiben Befragte von «Helmen ohne Schutz gegen Gehirnerschütterung» oder vom «Helm, den man mir zur Verfügung stellt, der aber die falsche Grösse hat».
TCA-Direktor Reymond bilanziert: «Auch wenn noch nicht alles rund läuft, geht vieles in die richtige Richtung.» Dazu gehört auch, dass die heutige Siegerin in einer Kurve der Alpe d’Huez verewigt wird. Das teilt der Veranstalter auf Anfrage mit. Unklar ist nur, ob ihr Name bei der Kehre 21 neben Fausto Coppis Inschrift (er war der erste Gewinner einer Alpe-Etappe) stehen wird oder neben jener von Giuseppe Guerini in der ersten Kehre.
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