Frankreichs Präsident in neuer RolleMacron hat den Blues – ihm bleibt nur noch die internationale Bühne
Innenpolitisch zum Statisten geschrumpft, wird die Welt Emmanuel Macron nun öfter als Aussenpolitiker erleben. Die einzige Weise, nicht unterzugehen im Ende seiner Regentschaft.
Von Emmanuel Macron heisst es, er habe den Blues, Schwermut habe sich auf seine Präsidentschaft gelegt. Zumindest erzählen das Leute, die ihn im Palais de l’Élysée besucht haben und dann gleich alles den Reportern rapportierten. «Les visiteurs du soir», die Besucher des Abends, sind ein eigenes Genre im politischen Betrieb Frankreichs und in aller Regel redselig. Anonym, natürlich.
Man hört den Präsidenten seit einigen Wochen auch viel seltener öffentlich reden. Das wenige ist natürlich immer noch recht viel, aber eben kein Vergleich mit dem Verlautbarungsschwall, den er in den sieben Jahren vor den verhängnisvoll vorgezogenen Parlamentswahlen in diesem Sommer zu entfesseln pflegte. Für seine Verhältnisse ist Macron geradezu still geworden.
Der Präsident findet sich nur leidlich ab mit seiner neuen, gestutzten Rolle. Seit er in Michel Barnier einen Premier aus einer anderen Partei als der seinen berufen musste, weil sein Lager bei den Wahlen dramatisch eingebrochen war, ist ihm nämlich die gesamte Innenpolitik entglitten, auch die Finanzpolitik. Die verantwortet nun Barnier.
Michel Barnier gibt den Ton vor
Das ist Praxis in Frankreich, wenn der Premier nicht einfach der verlängerte Arm des schier allmächtigen Präsidenten ist. Und der konservative Barnier ist zwar nicht gerade ein Gegner von Macron, dafür sehen sie viele Dinge zu ähnlich. Sie bilden also keine klassische «cohabitation» an der Spitze der Exekutiven, wie man in Frankreich sagt, wenn der Präsident und der Premier aus grundsätzlich unterschiedlichen Lagern kommen und auch mal gegeneinander regieren.
Doch ein harmonisches Duo sind sie auch nicht, wie nun die Diskussionen über den Budgetplan für 2025 zeigen. Barnier stellte einen Etat zusammen, samt höheren Steuern, der mit den zentralen Prinzipien des Macronismus bricht – so sehr, dass der Präsident fürchtet, der Premier könnte sein Vermächtnis gefährden, zweieinhalb Jahre vor dem Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit.
Wenn es keine «cohabitation» ist, was ist es denn? Macron nennt es ein «anspruchsvolles Nebeneinander». Das ändert aber wenig an der Ausgangslage, dass dem Präsidenten und Oberbefehlshaber der Armee ab sofort nur das Internationale bleibt: die Aussen- und die Verteidigungspolitik Frankreichs. Und auch die nicht exklusiv, wie ihm Barnier schon kurz nach dessen Berufung bedeutete. Man teile sich die Kompetenzen, sagte der Premier, die Verfassung sehe nämlich überhaupt keine «domaine réservé» des Präsidenten vor, also keine Exklusivbefugnisse. Die viel debattierte Regel ist nur eine Tradition und deshalb interpretierbar.
Sogar die Bühne in Brüssel muss Macron nun teilen, ein bisschen wenigstens, und das kann ihm nicht gefallen. Er ist es gewohnt, dass er allein im Lichtkegel der Scheinwerfer steht. Wenn Macron an diesem Donnerstag am Gipfel der Europäischen Union teilnimmt, ist auch sein Premier in Brüssel.
Barnier trifft sich mit den prominenten Persönlichkeiten seiner politischen Familie, der Europäischen Volkspartei, auch mit Ursula von der Leyen, der obersten Europäerin. Das machen alle Parteien so, vor grossen Gipfeln stimmt man sich ab. Macron gehört dem kleiner gewordenen zentristischen Lager von Renew Europe an. Für Barnier, früher EU-Kommissar und entsprechend gut vernetzt in Brüssel, ist die Reise auch ein stolzes Comeback, in neuer Weste. Er wolle Macron keinen Schatten machen, liess er ausrichten.
Die Erinnerung an Chirac und Mitterrand, 1986
Doch im Élysée sieht man das anders. Die Präsenz des Premiers in Brüssel irritiert den Präsidenten. Er wies seine Berater an, mal die Devise durchzugeben: Frankreich, hiess es, habe einen Platz am Tisch des EU-Gipfels, und auf diesem Platz sitze der Präsident.
Man erinnert sich in Frankreich jetzt wieder daran, wie das jeweils war, als das Land in einer wahren «cohabitation» regiert wurde und sich auch mal zwei Franzosen auf einem Platz drängten. Besonders einprägsam war die Szene an einem Gipfel in Den Haag 1986, als der damalige Premier Jacques Chirac, ein Gaullist, neben dem sozialistischen Präsidenten François Mitterrand vor die Presse trat – feixend, die Arme vor der Brust verschränkt, nahe an der Majestätsbeleidigung.
Die französischen Medien analysierten jede Geste und jedes Wort, um sich einen Reim auf die neuen Machtverhältnisse zu machen. Mitterrand machte danach allerdings bald klar, dass er die Aussenpolitik des Landes vertritt, er allein. Domaine réservé!
Macron wird nun wahrscheinlich in Zukunft noch viel öfter die internationale Bühne suchen, um nicht ganz unterzugehen im angelaufenen Fin de règne, dem Ende seiner Regentschaft. Er hat schon damit begonnen, seine Termine sind prioritär nach seinen Zuständigkeitsbereichen ausgewählt. Vor ein paar Tagen etwa reiste er in den Osten Frankreichs, wo die Franzosen an einem einigermassen geheim gehaltenen Ort eine Brigade ukrainischer Soldaten ausbilden. Eine Zeitung schrieb danach: «Der Besuch zeigt, dass sich der Präsident in seine neue Rolle fügt.»
Dissonanzen selbst im Élysée
Auffällig ist auch, wie er sich zuletzt mit Macht in die Debatten zu Nahost einbrachte, zu Gaza und zum Libanon, und sich dabei mit dem israelischen Premier Benjamin Netanyahu anlegte. Macron mahnte einen Lieferstopp für Waffen an, die Israel in Gaza einsetze, nur so könne man glaubwürdig einen Waffenstillstand fordern. Die Kritik galt in erster Linie den USA, doch Netanyahu reagierte dermassen vehement, dass sich das Élysée um Schadenbegrenzung bemühen musste und Israel die «unerschütterliche Freundschaft» Frankreichs versicherte.
An der französischen Staatsspitze, schreibt «Le Figaro» in einer langen Analyse, driften die Meinungen zu den kriegerischen Wirren im Nahen Osten weit auseinander, ähnlich wie in der Gesellschaft. Und Macrons Linie ist noch immer nicht klar, auch ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023 nicht. Die Welt sollte sich also auf viele aussenpolitische Voten und Volten aus Paris einstellen.
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