Fragen an Hans Ulrich ObristWelcher Museumsbesuch hat Sie geprägt?
Für unseren Kolumnisten begann alles im Louvre.
Ganz klar der Louvre. Als ich als Teenager das erste Mal nach Paris kam, hatte ich vor allem eines vor: dieses gigantische Museum zu besuchen, so lang und so intensiv es nur ging. Doch ich brauchte eine Orientierungshilfe.
In einer Pariser librairie fand ich dann ein Buch des französischen Kunstkritikers Pierre Schneider. Es hiess «Les dialogues du Louvre» und enthielt Gespräche über Werke des Louvre, die Schneider mit einigen der damals interessantesten zeitgenössischen Künstler wie Giacometti oder Miró führte, während er mit ihnen durch das Museum ging. Ich war von der Idee begeistert, dass gegenwärtige Künstler einem den Weg in die Kunstgeschichte weisen, und ich verschlang das Buch in einer einzigen Nacht. Nächstentags ging ich dann ins Museum und lief die Werke ab, von denen die Künstler sprachen.
Vielleicht keimte schon damals die Überzeugung in mir, dass uns niemand mehr über die Kunst lehren kann als die Künstlerinnen und Künstler selbst. Diese Überzeugung wurde zu einer Art Lebensprinzip von mir, weshalb ich in meinem Audioarchiv inzwischen Tausende Stunden von Gesprächen mit Künstlern gespeichert habe.
Weil die Künstlerführung durch den Louvre ein so einschneidender Moment für mich war, hatte ich auch seit langem den Wunsch, eine Neuauflage der Louvre-Konversationen zu machen. Nun endlich ist es so weit: Viele Wochen lang bin ich mit elf Künstlerinnen und Künstlern kreuz und quer durch den Louvre gegangen, immer abends, nachdem das Museum für das Publikum geschlossen hatte, oder dienstags, am Ruhetag des Hauses.
Mir war wichtig, dass sie unterschiedliche geografische und kulturelle Prägungen haben. Und dass sie einen Bezug zu Paris und dem Museum mitbringen, um erklären zu können, welche Säle, Bilder und Skulpturen ihnen wichtig sind, warum sie von ihnen fasziniert sind, was die Werke erzählen, wie sie von ihnen lernen.
Es waren magische Momente, wenn man, fast völlig allein, mit grossen zeitgenössischen Künstlerinnen wie Simone Fattal, Annette Messager oder Dominique Gonzalez-Foerster durch die Hallen und Korridore ging, mit Anselm Kiefer oder dem koreanischen Künstler Lee Ufan, um mit ihren Augen Delacroix und Rembrandt, aber auch uralte, fantastische Stücke aus Alaska und Afrika zu entdecken.
Das Buch ist meiner Mutter, Ella Obrist, gewidmet. Als ich mich für Kunst zu interessieren begann, sagte sie mir: Dann musst du einmal in den Louvre gehen. So hat alles begonnen.
Und welcher Museumsbesuch hat Sie geprägt? Schreiben Sie uns!
Hans Ulrich Obrist: Les Conversations du Louvre, Éditions Seuil 2023.
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