Fragen an Hans Ulrich ObristZerstört die Globalisierung die Kunst?
Und was ist eigentlich «lokale» Kunst? Eine Antwort von dem künstlerischen Leiter der Serpentine Galleries, London
Unter den vielen weisen Dingen, die der von mir so verehrte Philosoph Édouard Glissant geschrieben hat, ist auch dies: dass von der Globalisierung die Gefahr ausgehe, alles zu homogenisieren, regionale Traditionen und Rituale auszulöschen, ganze Kulturen. Wenn Globalisierung dazu führe, dass am Ende alles überall gleich aussieht, dann sei sie ein imperialer kultureller Feldzug, der nur Verlierer kenne. Andererseits, sagt Glissant, sei die Globalisierung aber auch selbst in Gefahr, wenn nämlich Länder und Regionen sich ihr verschliessen und nationalistisch werden. Denn auch das ist die Globalisierung: eine Öffnung der Welt, durch die Kulturen durchlässig werden und alle Menschen miteinander ins Gespräch kommen können.
Beide Bewegungen kann man auch in der Kunst beobachten: Kunst, die weltweit gleich aussieht. Und Länder, aber auch individuelle Kunst, die sich der gegenseitigen Befruchtung verschliessen. Und dann gibt es die Glücksfälle, in denen eine Künstlerin ihre lokale Kultur aufnimmt, ihr aber eine Form gibt, die überall Anschluss finden kann. Eine solche Künstlerin ist die Südafrikanerin Esther Mahlangu, die im hohen Alter von 87 Jahren und nach Ausstellungen auf der ganzen Welt noch immer in ihrem Heimatdorf in der Provinz Mpumalanga lebt und arbeitet.
Von ihrer Mutter und ihrer Grossmutter lernte Mahlangu die Traditionen des Ndebele-Volks kennen, dem sie auch selbst angehört. Eine besonders auffällige Tradition, die schon fast am Verschwinden war, ist das bunte Bemalen von Hausfassaden, Kleidern und Gegenständen mit geometrischen Motiven. Mahlangu übernahm das Prinzip und die Farbigkeit, doch schuf sie ein Repertoire immer wiederkehrender Formen, die von den Wänden schliesslich auch auf Leinwände und Skulpturen wanderten. Diese Formen bilden die Zeichen einer ganzen Kosmologie, und Mahlangu verdichtete sie zu einer künstlerischen Sprache, die aus ihrem Dorf geboren wurde, aber auf der ganzen Welt verstanden wird.
Mit einer Hühnerfeder, wie schon ihre Vorfahren, jedoch mit strahlender Acrylfarbe, webt sie aus Kreisen, Dreiecken und Linien Muster, die suggestiv und energiegeladen sind, aber auch eine gewisse Spannung haben. Sie oszillieren zwischen Abstraktion und Figuration, Tradition und Postmoderne, positiv und negativ. Ein Motiv ihres Formenarsenals ist die stilisierte Rasierklinge. Die ist schön und akkurat – und gefährlich. Und man kennt sie auf allen Kontinenten.
themelrosegallery.com/artists/44-dr-esther-mahlangu
Hans Ulrich Obrist ist künstlerischer Direktor der Serpentine Galleries in London.
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