Indigener Koch und Food-AktivistZutaten aus Europa – bloss nicht
Sean Sherman ist im Sioux-Reservat aufgewachsen. Seine Rezepte beruhen auf Überlieferungen der Vorfahren – damit trifft er einen Nerv der Zeit.
Koch und Food-Aktivist Sean Sherman ist ein gefragter Mann: Sein Restaurant Owamni in Minneapolis wurde 2022 zum besten neuen Restaurant der USA gewählt und er selber vom «Time Magazine» zu einer der 100 einflussreichsten Personen weltweit, es regnet fortlaufend Preise auf den Botschafter eines neuen indigenen Selbstbewusstseins.
Klapperschlange und Biber auf dem Grill
Am Anfang von Sean Shermans Erfolg stand ein Burn-out. 1974 geboren, wuchs er in einem Sioux-Reservat in South Dakota auf. Die Zeit und die Gegend beschreibt er im Vorwort zu seinem Kochbuch so: «Die Pine Ridge Reservation – weite, offene Prärien, der Duft von weissem Salbei und wilder Bergamotte, hochstehende Gräser, der Himmel weit und gross, und trockene, windige, staubige Hitze.»
Als Kind habe er mit Gleichaltrigen «so wild wie die Hunde, mit denen wir umherstreiften», nach Antilopen, Maultierhirschen, Fasanen oder Klapperschlangen Ausschau gehalten. «Auf dem Fernsehapparat liefen bloss drei Programme.»
Als Mitglieder der Lakota Oglala nahm die Familie an Powwows, Sonnentänzen und anderen Veranstaltungen von Native Americans teil. Seine Grosseltern sprachen mit ihm Lakota – eine Sioux-Sprache.
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Mit 13, als seine alleinerziehende Mutter ein Studium aufnahm, begann er für sie und seine Schwester zu kochen. Im Resort, in dem er nebenbei arbeitete, legte er Klapperschlange und Biber auf den Grill. Schon damals, schreibt er, habe er den Wert der Pflanzen, «von denen wir umgeben sind und die unter unseren Füssen wachsen», erkannt: Portulak, Schafgarbe, Minze, wilde Bergamotte, Ahorn.
Sean Sherman stieg in der Küchenhierarchie auf, obwohl er keine Ausbildung hatte, und führte mit 29 mehrere Imbisse und Bio-Cafés in Minneapolis. Bis es ihm zu viel wurde – er musste sich eine Auszeit in Mexiko nehmen. Erst dort besann er sich so richtig auf die Küche seiner Vorfahren.
Was ist indigene Küche?
«Der erste Schritt war, dass ich mich auf die Nahrungsmittel konzentriert habe, die immer schon da waren.» Für Sean Sherman bedeutete das eine Art umgekehrte lokale Küche, wie wir sie kennen, also: Bloss nichts aus Europa verwenden! Er hat sich, wie er schreibt, zuerst einmal «durch einige Schichten europäischer Kulturhinterlassenschaften kämpfen» müssen. Und sei erst dann auf seine einheimischen Blattgemüse, Kräuter oder Wildbretarten, «die den Jahrhunderten getrotzt hatten», gestossen.
Indigene Ernährung ist sicher bestens bestückt mit lagerfähigen Früchten, Gemüsearten, Fischen, Fleischsorten und Gewürzen. Die wichtigsten Zutaten, die in den Rezepten immer wieder vorkommen, finden sich teilweise auch in hiesigen Gerichten. Zum Beispiel Eier, nur braucht Sherman vorwiegend Enten- und Wachteleier. Honig. Öle und Fette (in der Regel Sonnenblumenöl). Räuchersalz, Salbei, Wacholder. Maisgriess und überhaupt die drei Schwestern (Mais, Kürbis, Bohnen), daraus macht er etwa Maiskuchen (Polentataler gebraten). Shermans Beilagen dazu könnten wir auch aus einheimischen Produkten kreieren: Wildkräuter-Pesto, gedörrtes Kaninchenfleisch, Himbeer-Hagebutten-Sauce, gerösteter Kürbis.
Anderes ist hier schwer erhältlich. Zum Beispiel die Zeder, bei den Sioux ein heiliger Baum. Es handelt sich um die Western Red Cedar. In Europa kann man bei entsprechenden Rezepten gut auf Nadelhölzer zurückgreifen, Fichte, Kiefer oder Lärche.
Eine Besonderheit ist das nordamerikanische Sumach. Es ist nicht das Gewürz (aus der türkischen Küche), das wir hier kennen, der Hirschkolbensumach wächst zwar in unseren südlichen Gefilden, ist aber eher Zierstrauch. In den Rezepten, schreibt Sherman, kann man ihn mit Zitronensaft ersetzen. Auch Ahornessig (er wird durch Fermentierung aus dem letzten Ahornsaft der Saison gewonnen) kennen wir nicht, und Ahornzucker müsste man in unserer regionalen Ernährung mit braunem Zucker ersetzen – der seinerseits aber auch wieder von weit her kommt.
Auffallend sind die vielen Mehle in der indigenen Ernährung. Neben Mais «lässt sich praktisch jedes Gemüse, jedes Obst, jeder Samen und jedes Korn zu Mehl verarbeiten». Dazu entzieht man Gemüse und Obst zuvor die Flüssigkeit, Samen und Nüsse röstet man kurz.
Zum Beispiel Haselnüsse: Auf einem Backblech 3 bis 5 Minuten bei 175 Grad im Ofen rösten, die Nüsse in ein Küchentuch geben und hin und her rollen, um die Schalen abzulösen. Dann die Nüsse mit einer Küchenmaschine oder einem Mixer zermahlen.
Man kann natürlich auch gemahlene Haselnüsse kaufen!
Sean Sherman führt neben seinem Restaurant ein Bildungsunternehmen für indigene Lebensmittel und das Catering The Sioux Chef. Seine «ultralokale und ultrasaisonale» (so beschreibt er sie) Küche liegt voll im Trend. Das Essen kommt ohne raffinierten Zucker aus, ohne Gluten und ohne Milchprodukte.
Deshalb findet sich ein vermeintlich traditionelles Gericht der amerikanischen Ureinwohner nicht auf seinem Speiseplan: Fry Bread – frittiertes Brot. Laut Sherman ein «simples Nahrungsmittel», aber verantwortlich für viel Leid. Das Weissmehl dafür (wie unter anderem auch Dosenfleisch und Schweineschmalz) erhielten Shermans Vorfahren von der US-Regierung Mitte des 19. Jahrhunderts, als sie aus ihren angestammten Lebensräumen, wo sie fischten und jagten, verdrängt wurden. Die Folge: Fettleibigkeit und kaputte Zähne bei der indigenen Bevölkerung. Um nur zwei Übel zu nennen.
Auf Sean Shermans Website ist zu lesen: «Control your food and you control your destiny» – frei übersetzt: Lenke dein Essen, und du lenkst dein Schicksal. Für den Sioux-Koch heisst das: Maiskuchen mit in Zeder geschmortem Bisonfleisch oder geräucherter Ente, Wildapfelsauce, Amarant-Cracker oder eine Creme aus Räucherfisch und weissen Bohnen.
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