Fluchtroute über RusslandFinnland macht die Grenze dicht – trotz extremer Kälte
Finnland hat bis auf einen alle Grenzübergänge zu Russland vollständig geschlossen, da trotz Minusgraden immer mehr Menschen ankommen. Helsinki wirft Moskau vor, diese Migration gezielt zu steuern.
Nachdem in der vergangenen Woche die vier südlichen Grenzübergänge von Finnland nach Russland geschlossen wurden, sind ab Freitag null Uhr auch die drei weiter nördlich gelegenen nicht mehr passierbar. Nur die allernördlichste Station nahe der nordnorwegischen Grenze bleibt weiterhin geöffnet. Das gab der finnische Premierminister Petteri Orpo am Mittwochnachmittag bekannt.
Die finnischen Grenzbehörden haben ausserdem die EU-Grenzschutzbehörde Frontex um Hilfe gebeten. 60 Beamte sollen der finnischen Polizei dabei helfen, die jeweilige Umgebung der Grenzstationen mit Stacheldraht zu befestigen. Die Schliessung der nördlichen Übergänge soll fürs Erste bis zum 23. Dezember gelten.
Viele von ihnen waren nur leicht bekleidet und in Turnschuhen unterwegs. Nachts sinkt die Temperatur in Salla momentan auf minus 15 Grad.
In den vergangenen Wochen waren täglich mehr Asylsuchende ohne gültige Papiere an den südfinnischen Stationen Vaalimaa und Nuijamaa angekommen. Nach deren Schliessung verlagerte sich das Geschehen umgehend nach Norden. Am Montag und Dienstag waren insgesamt 76 Menschen aus Marokko, Syrien, Somalia, dem Irak und Indien am Grenzübergang Salla in Lappland aufgetaucht. Viele von ihnen waren nur leicht bekleidet und in Turnschuhen unterwegs. Nachts sinkt die Temperatur in Salla momentan auf minus 15 Grad.
Die finnische Regierung ist davon überzeugt, dass Russland diese Migrationsbewegungen gezielt steuert oder sogar aktiv dabei hilft, all die Menschen an die Grenze zu schaffen. «Russland hat diese Situation herbeigeführt und ist deshalb auch in der Lage, sie wieder zu beenden», sagte Orpo. «Wenn diese instrumentelle Einwanderung weitergeht, müssen wir weitere Massnahmen ergreifen.»
Russland winkt die Migranten durch
Bis vor kurzem hatte Russland Reisenden mit unvollständigen Dokumenten die Weiterreise zu finnischen Grenzübergängen verweigert. Nun aber gestatten die russischen Behörden den Grenzübertritt auch ohne die erforderlichen Einreisedokumente; keiner der Reisenden war im Besitz eines Schengen-Visums.
2015/16 waren an den nordfinnischen Grenzübergängen insgesamt 1700 Menschen aus 36 Nationen aufgetaucht, die um Asyl baten und allesamt ins Land gelassen wurden. Später stellte sich heraus, dass viele von ihnen seit mehr als zehn Jahren in Russland gelebt hatten.
FSB bringt Migranten an die Grenze
Der norwegische «Barents Observer» schreibt, dass die Grenztruppen des russischen Inlandgeheimdienstes FSB die Migranten die 170 Kilometer von Kandalakscha auf der Kola-Halbinsel an die Grenze von Salla fahren. Die Zeitung ist immer sehr gut informiert über das, was auf der russischen Halbinsel vor sich geht, mehrere der Mitarbeiter sind von dort ins nordnorwegische Kirkenes geflohen. Zuvor hatten finnische Zeitungen Augenzeugen zitiert, die davon erzählten, in russischen Kleinstädten nahe der Grenze seien einige Hotels komplett mit Migranten belegt.
Zunächst wollte die Regierung alle Grenzen schliessen. Das scheiterte am Einspruch des stellvertretenden Justizministers Mikko Puumalainen, der darauf pochte, es müsse weiterhin die Möglichkeit geben, Asyl in Finnland zu beantragen. Deshalb bleibt nun der Übergang Raja-Jooseppi geöffnet – in der tiefsten Wildnis der Taiga; die nächste grössere Siedlung ist viele Autostunden entfernt.
«Es ist sehr wichtig, ein menschliches Gesicht zu wahren, und ich hoffe, die finnischen Behörden vergessen das nicht».
Der finnische Präsident Sauli Niinistö vermutet, die Operation sei eine Reaktion Russlands auf das Abkommen zur Verteidigungskooperation (DCA) zwischen Finnland und den USA, das wohl kurz vor der Unterzeichnung steht. Es würde den Bau von US-Militärinfrastruktur auf finnischem Territorium und die kurzfristige Stationierung von amerikanischen Truppen, Marineschiffen und Flugzeugen ermöglichen. Finnland ist im vergangenen April der Nato beigetreten.
Andrei Tschibis, der Gouverneur der russischen Oblast Murmansk, beschuldigte am Mittwoch Finnland, für die «humanitäre Krise» ganz allein verantwortlich zu sein. Die russische Verwaltung tue alles, um den an der finnischen Grenze gestrandeten Menschen zu helfen, schrieb er auf Telegram und verbreitete Bilder von frierenden Menschen in Zelten. Es sei «sehr wichtig, ein menschliches Gesicht zu wahren, und ich hoffe, die finnischen Behörden vergessen das nicht».
Auch Norwegen droht, seine Grenze zu Russland zu schliessen
Finnland steht nur vor dem Problem, dass es an EU-Recht gebunden ist und die Europäische Menschenrechtskonvention unterzeichnet hat, es muss also weiterhin die Möglichkeit geben, Asyl zu beantragen. In Lappland dürfte es bald minus 20 Grad werden, und nach den Schilderungen verschiedener Grenzbeamter lassen die russischen Grenzer die Migranten nicht zurück auf russisches Staatsgebiet.
Auch in Nordnorwegen beobachtet man die Situation genau. 2015 kamen rund 5500 Asylsuchende von Murmansk aus nach Storskog, an den nördlichsten Grenzübergang des Schengen-Raums. Im November 2015 wurde Storskog dann geschlossen. Premierminister Jonas Gahr Støre sagte am Mittwochabend, dass Norwegen seine Grenze zu Russland komplett schliessen werde, sollte sich die Situation verschlechtern.
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