Vor dem Final an der Handball-EMDas Phänomen jagt einen weiteren Rekord
Nikola Karabatic gehört zu den besten Handballern der Sportgeschichte. Am Sonntag kann er mit Frankreich zum vierten Mal Europameister werden.
Er hat im Handball alles gewonnen, was man gewinnen kann. Nikola Karabatic ist dreifacher Olympiasieger, vierfacher Weltmeister und dreifacher Europameister. Doch ein solches Ende eines Spiels hat auch der 39-jährige Franzose noch nie erlebt. Das sagte er zumindest nach dem Halbfinal am Freitagabend.
Frankreich lag gegen Schweden 26:27 zurück. Das Spiel war eigentlich schon vorbei, den Franzosen blieb aber noch ein Freiwurf aus rund zwölf Metern. Elohim Prandi steht alleine vor dieser schwedischen 6-Mann-Mauer. Und dahinter ist auch noch Torhüter Andreas Palicka, der in der zweiten Halbzeit so überragend gehalten hatte und Schweden erst ermöglichte, zurück ins Spiel zu kommen. Noch diesen einen Versuch müssen die Schweden abwehren, um in den Final einzuziehen. Doch Prandi trifft. Er lehnt sich auf die rechte Seite, schleudert den Ball mit einer Urgewalt unter die Latte, von dort prallt er an den Rücken von Palicka und ins Tor. Ausgleich, Verlängerung. Dort war Frankreich überlegen. «Ich habe viele Tore gesehen in meiner Karriere, aber ein solches in einem EM-Halbfinal, das ist etwas Verrücktes», sagte Karabatic danach.
Er hat nicht nur viele Tore gesehen, sondern auch viele selbst erzielt. Zwar ist er bei dieser EM nur noch Ergänzungsspieler, doch Karabatic ist ein Phänomen. Natürlich gibt es noch ältere Spieler als den 39-Jährigen. Der Schweizer Andy Schmid zum Beispiel oder Hans Lindberg vom Finalgegner Dänemark. Doch Karabatic ist als einziger der drei Veteranen ein kompletter Spieler. Er wird im Angriff und in der Defensive eingesetzt. Und er ist dank fünf Toren in der Hauptrunde gegen Kroatien EM-Rekordtorschütze. 292 Tore hat er bislang an Europameisterschaften erzielt.
Daraus mache er sich aber nicht viel, sagt er gegenüber dem Europäischen Handballverband (EHF). Vielmehr sei es seine Mutter gewesen, die ihn vor dem Turnier mehrfach auf diese Zahl aufmerksam gemacht habe. «Sie hat mich vor ein paar Tagen angerufen und mir immer wieder gesagt: ‹Du musst noch acht Tore machen›», erzählte Karabatic. Sie sei über den Rekord wohl glücklicher als er selbst.
Rücktritt im Sommer
Einen weiteren Rekord kann Karabatic am Sonntag egalisieren. Er könnte mit Frankreich zum vierten Mal Europameister werden. Das haben vor ihm nur die Schweden Ola Lindgren, Staffan Olsson, Stefan Lövgren, Magnus Wislander und Martin Frandesjö geschafft. Dafür braucht Karabatic einen Sieg gegen Dänemark, das im anderen Halbfinal Deutschland bezwang.
Es ist die letzte Chance für den dreifachen Welthandballer Karabatic. Nach den Olympischen Spielen im Sommer wird er seine Karriere beenden. Es werden seine sechsten Spiele sein – auch das ein Rekord im Handball. Zudem werden es Heimspiele. Der Rückraumspieler steht beim französischen Krösus Paris Saint-Germain unter Vertrag.
Seit über 20 Jahren an fast jeder Endrunde
Acht Spiele haben die Franzosen an dieser EM bestritten, gegen sechs der aktuellen gegnerischen Trainer hat Karabatic bereits an einer EM gespielt, als diese noch Spieler waren. Mit dem siebten, seinem eigenen Coach Guillaume Gilles, stand er jahrelang zusammen auf dem Feld. Zum ersten Mal war Karabatic 2003 bei einer Endrunde, er kam damals aber nicht zum Einsatz. Seither hat der Superstar genau ein einziges Turnier verpasst – die WM 2021 in Ägypten wegen eines Kreuzbandrisses. Dass die Karriere bald zu Ende geht, realisiert auch er. «In meiner ganzen Karriere war ich immer auf der Jagd nach Rekorden und Titeln, aber jetzt denke ich ein bisschen anders. Ich denke mehr daran, diese Spiele und diese Momente zu geniessen, denn ich weiss, dass sie nicht ewig dauern werden.»
Diese Jagd hat ihn zu einem der besten Handballer überhaupt gemacht. Karabatic gewann als einer von nur fünf Spielern mit drei verschiedenen Teams die Champions League und wurde zwischen 2002 und 2023 mit seinen Mannschaften immer nationaler Meister – bis auf einmal. Es war nicht nur sportlich der Tiefpunkt in seiner Karriere. Karabatic war 2012 in eine Wettaffäre verwickelt, mehrere Spieler haben über ihre Angehörige auf einen Halbzeitrückstand des designierten Meisters Montpellier HB gegen einen Abstiegskandidaten gewettet. Karabatic wurde dafür verurteilt. Im Zuge dieser Wettaffäre wechselte er zum Aufsteiger Aix, mit dem er den Meistertitel verpasste.
Dem Ansehen des Superstars schadete dies kaum. Ganz ähnlich ist es mit dem Tor von Prandi gegen Schweden. Auch das war inkorrekt, denn der linke Fuss des Torschützen war bei der Ballabgabe nicht mehr am Boden. Es hätte nicht zählen dürfen, doch auch das dürfte schnell in Vergessenheit geraten. Die Schweden legten zwar noch Protest ein, dieser wurde jedoch abgewiesen. Darum hat Karabatic am Sonntag die Chance auf seinen elften Titel mit der Nationalmannschaft – auch das wäre Rekord.
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