Solothurner FilmtageVier neue Schweizer Filme, die überraschen
Fragende Asylbewerberinnen, mysteriöse Physiker, gemeine Städterinnen und fluchende Emmentaler: Das Filmfestival hält spannende Entdeckungen bereit.
Die Solothurner Filmtage sind in vollem Gang, nicht selten mit ausverkauften Abendvorführungen, sodass sich vor der Kinokasse eine längere Schlange bildet. Vielleicht kriegt man ja noch ein Ticket? Wir haben vier Highlights aus den ersten Tagen ausgewählt, viele davon starten in nächster Zeit regulär in den Kinos.
«Die Anhörung»
«Die Anhörung» von Lisa Gerig gehört zu den eindrücklichsten Dokumentarfilmen an den Filmtagen. Wir sehen, wie Angestellte des Staatssekretariats für Migration (SEM) Asylsuchende befragen, um zu beurteilen, ob sie in der Schweiz bleiben können. Das ist etwas, das man eigentlich nie zu sehen bekommt, und diese Anhörungen sind auch besonders: Sie sind gespielt.
Die Asylsuchenden aus Ländern wie Afghanistan oder Indien sind bereits abgewiesen worden und bringen ihre Fluchtgründe nun noch einmal vor der Kamera vor. Interviewt werden sie von echten SEM-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern. Die Kluft zwischen traumatisierenden Erlebnissen und bürokratischen Prozessen – ins Protokoll werden Sätze wie «Sie tupft sich Tränen aus den Augen» geschrieben – ist enorm.
Erstaunlich ist, wie schnell man das Gefühl bekommt, einer realen Befragung beizuwohnen: «Die Anhörung» zeigt ganz undidaktisch, wie sehr die Inszenierung zum Dokumentarischen dazugehört. Bis sich die SEM-Leute irgendwann von den Asylsuchenden befragen lassen müssen und wir merken: Die, die von offizieller Stelle die Fluchtgründe abklären, haben auch nicht immer die überzeugendsten Antworten.
Ab 25. Januar in den Kinos.
«Füür brännt»
Rund um Zürich treffen sich Jugendliche und junge Erwachsene. Es ist Sommer, sie sitzen um ein Feuer am Fluss oder um einen Grill in einem Garten; sie reden und lachen. Michael Karrer, Regieabsolvent der Zürcher Hochschule der Künste, hat für sein Spielfilmdebüt unspektakuläre Szenen erfunden. Eher Skizzen sind es, die in Zusammenarbeit mit den Darstellerinnen und Darstellern an Lebendigkeit gewinnen: Oft wussten sie nicht, was sie erwartete; Karrer flüsterte ihnen gewisse Ideen ein und nahm dann das Resultat auf.
Aus der Distanz beobachtet «Füür brännt» die Gruppendynamik von Heranwachsenden in der Stadt, und in der Leichtigkeit zeigen sich immer wieder Brüche. Ein Gespräch wird aggressiver, ein Scherz wirkt brutaler, als er gemeint war. Jederzeit kann sich das Gefüge verschieben, und Michael Karrer verfolgt das Geschehen detektivisch und mit grossem Herz für diese jungen Menschen.
«Omegäng»
Aldo Gugolz hat sich vorgenommen, einen Dokumentarfilm über die Schweizer Mundart zu drehen. Wie soll das gehen? Als Protagonisten und Protagonistinnen kommen ja so ziemlich alle infrage, die einen Dialekt reden. Die Lösung ist einerseits klassisch – Besuche beim Chefredaktor des «Schweizerischen Idiotikons» oder bei einem sehr vifen Franz Hohler –, anderseits treten auch recht knorrige Originale aus Diepoldsau und von anderswo auf und sagen Dinge, die man nicht immer versteht.
Schmissig montiert ist «Omegäng» auch, der Film nutzt die Sprachkraft und das Kolorit der Dialekte. Im Landhaus in Solothurn ging das Publikum jedenfalls von Anfang an begeistert mit, links und rechts wurden eigene Ansichten über die Semantik von besonders seltsamen Beispielen aus dem Emmentaler Fluch-Archiv gemurmelt. Und was das ominöse berndeutsche Wort «omegäng» wirklich bedeutet, das dem Film den Titel gibt, wurde nach der Vorführung noch länger diskutiert.
Ab 18. April in den Kinos
Die Theorie von allem
Wo sind wir hier gelandet, im Heimatfilm der 50er-Jahre? Es sieht ganz danach aus, denn Timm Kröger betreibt in seinem verrückten Schwarzweissdrama in den Schweizer Alpen ein lustvolles Spiel mit Genres und Stimmungen, vom Hitchcock-Suspense bis zur Science-Fiction-Begeisterung der Nachkriegsjahre.
1962 findet ein Physikkongress statt, und der Doktorand (Jan Bülow) droht sich in den Thesen seiner Universaltheorie zu verlieren. Noch mysteriöser verläuft die Begegnung mit einer Pianistin, die Geheimnisse aus seiner Vergangenheit zu kennen scheint. Es geschehen Zeichen und Unfälle: Timm Kröger beschwört ein Gefühl für die alte Kinomagie herauf, oft hergestellt mit digitalen Tricks. Der Effekt ist hypnotisch: «Die Theorie von allem» erweist sich als Werk eines zitatfreudigen Regisseurs, der sich nicht bloss im Zitieren gefällt, sondern mit grossem Vergnügen fabuliert.
Ab 1. Februar in den Kinos
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