Filmkritik «A Quiet Place: Tag eins»Die Stille nach dem Schrei
Michael Sarnoskis Horrorthriller «A Quiet Place: Tag eins» ist grossartig. Der eigentliche Star aber ist Kater Frodo.
Alles, was dieser Frau noch gefehlt hat, ist eine Invasion aus dem All. Am Anfang von «A Quiet Place: Tag eins» sitzt die New Yorker Schriftstellerin Sam (Lupita Nyong’o) in einer Selbsthilfegruppe im Hospiz und trägt ihren Mitsterbenden ihr neuestes Gedicht vor, das man am besten mit «Eine Ode an die schlechte Laune» betiteln würde. Ihr Betreuer Reuben möchte sie ablenken, aber Sam hat mit dem Leben abgeschlossen, sie interessiert sich nur noch für Morphiumpflaster und ihren duldsamen Kater Frodo, den sie immer mit sich herumträgt.
Als Reuben sie dann doch unter Vorspiegelung falscher Unterhaltungsmöglichkeiten auf einen Tagesausflug nach Manhattan lockt, stolpert sie schnell, Frodo auf dem Arm, aus dem Marionettentheater. Bald fängt Reuben sie wieder ein, der Ausflug wird abgebrochen, aber Sam will vorher Pizza, weil es wohl die letzte ihres Lebens wäre. Da sieht man am Himmel schon zerberstende Meteoriten, aus denen riesige, spinnenartige Körperfresser auf die explodierende Stadt hinabprasseln.
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Es ist eine ungewöhnliche Entscheidung, einen Horrorthriller an einer Todgeweihten aufzuhängen. Aber «Tag eins» bewegt sich ohnehin recht weit weg vom Original. John Krasinskis «A Quiet Place» war 2018 ein Überraschungshit: Es ging um eine Familie, die in einer postapokalyptischen Welt zurechtzukommen versucht. Lee Abbott, den Krasinski darin selbst spielte, und seine Kinder schlichen barfuss durch Wälder und verlassene Kleinstädte, um den mörderischen Aliens zu entgehen.
Der Film begann am 89. Tag der Invasion, an dem die Abbotts ihr jüngstes Kind verlieren, weil es Krach macht mit einem verbotenen Spielzeug und von den Monstern gefunden wird. Die Viecher sind blind, aber sie hören gut und schiessen blitzschnell aus dem Nichts herbei. Überleben wird nur, wer es schafft, cool und still zu sein – im Prequel «Tag eins» taucht ein solcher Mann auf, der im zweiten Teil noch da ist.
Um es vorwegzunehmen: Es gelingt Michael Sarnoski, der auch das Drehbuch geschrieben hat, eine richtig spannende Geschichte zu erzählen, die die Kenntnis von «A Quiet Place» überhaupt nicht braucht und einen ökonomische anderthalb Stunden lang in Atem hält. Und das – ein ziemliches Kunststück –, obwohl es ja nicht ums Überleben der Hauptfigur gehen kann. Und obwohl der Film naturgemäss, wie seine Vorgänger, seine Figuren aus Blicken und kleinen Gesten, fast ohne Dialog formen muss. Reden geht ja nicht, zu laut.
Das ist eine echte Herausforderung, und man kann hier mühelos sehen, warum Lupita Nyong’o gleich für ihren ersten Filmauftritt, in Steve McQueens «12 Years a Slave», einen Oscar bekommen hat. Sam flüchtet ins Marionettentheater. Sie kann dort nicht bleiben, die Katze braucht Futter, und sie braucht ein neues Pflaster. Auf ihrem Weg durch die Stadt bewegt sie sich gegen den Strom: Die anderen wollen raus, ans Ufer, Sam will nach Hause, in ihre Wohnung nach Harlem.
Und dabei liest sie einen jungen Mann im Anzug auf, der ihr folgt, weil er einfach nicht weiss, was er sonst tun soll. Eric (Joseph Quinn) ist Engländer, er hat niemanden hier. Sam erbarmt sich seiner – es bleibt ihr ja auch nicht viel zu tun in ihren letzten Tagen. Vielleicht kann sie ihn ans Wasser bringen, der einzige Zufluchtsort sind die Boote, denn die Aliens können nicht schwimmen.
Der Star ist die Filmkatze
Sarnoski schafft eine Atmosphäre der permanenten Bedrohung, die Stille in der Zerstörung wird immer wieder durchbrochen von dem schnatternden Geräusch, dass die Aliens in der Ferne machen. Der Horror in «Tag eins» lebt wieder von den Soundeffekten. Dass man aber dranbleibt, liegt vor allem an Lupita Nyong’os Sam, deren Bärbeissigkeit sich in angespannte Ruhe verwandelt und der man bald wünscht, sie möge ihren Frieden finden; und am eigentlichen Star, dem Kater Frodo.
Seine Trainerin, Jo Wrangler, behauptet, Kater Schnitzel würde als Frodo die beste Katzenperformance abliefern, die sie je gesehen habe, und möglicherweise hat sie recht. Katzen sind von Haus aus leise, aber sie schleichen sich auch leise davon, und Frodo sorgt für ein paar echte Nailbiter-Momente. Ohnehin hat er schon seit Wochen das Internet in Atem gehalten, seit seinem Auftauchen im ersten Trailer zu «A Quiet Place: Tag eins», weil man sich im Hollywood von heute ja nicht mehr darauf verlassen kann, dass niedliche Tiere oder kleine Kinder überleben.
Jedenfalls entstehen so noch einmal ganz andere Emotionen, entwickelt sich eine ganz andere Dynamik als im ersten Teil, in dem die Eltern, Krasinski und Emily Blunt, ihre Kinder dauernd in eine wenig kindgerechte Disziplin treiben müssen, um sie zu schützen. Sam und Eric halten nicht zusammen, weil sie einander verbunden sind, sondern weil sie Solidarität mit Fremden im Angesicht des Todes als normales menschliches Verhalten empfinden.
«A Quiet Place: Tag eins» ist ein Genrefilm, und gut gemacht und gut gespielt ist das, was man von ihm verlangen kann – dem ersten Teil ist er jedenfalls nicht unterlegen. Die Details der Invasion der blinden Körperfresser aus dem All versteht man am Ende allerdings immer noch nicht.
Das grosse Finale wirkt dann so, als wolle Sarnoski Alfonso Cuaróns grossartige, visionäre Dystopie «Children of Men» (2006) zitieren, den Slavoj Žižek für die beste Diagnose des Spätkapitalismus hält, und man weiss nicht so recht, ob das nun humorvolle Ehrfurcht ist oder cineastische Blasphemie. Es wären zu grosse Schuhe. Die Aliens sind zwar so mystisch wie Cuaróns unfruchtbare Menschheit, aber über den Zustand der Welt, über die sie hereinbrechen, macht sich «A Quiet Place» keine Gedanken. Und bewegend ist es dann doch – weil in «Tag eins», inmitten eines Infernos, jede Seele zählt.
A Quiet Place: Day One – USA, 2024. Regie und Buch: Michael Sarnoski. Mit: Lupita Nyong´o, Joseph Quinn, Alex Wolff, Djimon Hounsou, Schnitzel. Kamera: Pat Scola. Paramount 99 Minuten. Kinostart: 27. Juni 2024.
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