Frühstes Out in HalleFederer: «Einen solchen dritten Satz kann ich nicht akzeptieren»
Am deutschen Rasenturnier scheitert der zehnfache Sieger erstmals in den Achtelfinals, taucht dann ab und gibt Rätsel auf.
Es dauerte zweieinhalb Stunden, bis sich Roger Federer nach dem 6:4, 3:6, 2:6 gegen den Kanadier Felix Auger-Aliassime (ATP 21) in Halle hinter das Mikrofon setzte. Noch ungewohnter: Der Moderator schickte voraus, dass in diesem Videointerview nur englische Fragen erlaubt sein würden. Er wolle es kurz und einfach halten, begründete Federer diesen bei ihm fast noch nie vorgekommenen Entscheid. «Und ich wollte nicht überhitzt in die Pressekonferenz kommen und etwas Falsches sagen.»
Der erste Satz sei gut gewesen, der zweite okay, schaute er zurück. Aber nach dem ersten Break – zum 2:4 im zweiten Durchgang – habe er sich gehen lassen. «Einen solchen dritten Satz kann ich nicht akzeptieren. Ich war enttäuscht, dass ich es erlaubte, dass die Punkte so verliefen. Dass es am Schluss so schnell ging, hatte viel mit mir zu tun.» Er beklagte, dass er nicht längere bessere Phasen gehabt habe, dass er einfach nicht die notwendige Konstanz finde, «Punkt für Punkt». Zumindest wisse er, was er über diese Vorstellung zu denken habe und was er besser machen müsse. «Aber Felix spielte auch einen grossartigen Match und war besser als ich, vielleicht hätte ich ohnehin verloren.»
«Die Schwierigkeiten des Comebacks setzen mir zu»
Fragen nach allfälligen körperlichen Problemen wich Federer aus. Er gab aber zu, wie schwer ihm sein Comeback fällt mit der steten Ungewissheit, wie wohl der Körper reagiert. «Die Schwierigkeiten des Comebacks setzen mir etwas zu. Du hinterfragst dich ziemlich schnell, leider, und das ist manchmal das Problem. Du fragst dich, wie du dich am nächsten Tag fühlen wirst, wie du dich nach dem Aufstehen fühlen wirst.»
Zugesetzt hatte ihm auch, wie hart er um jeden Punkt kämpfen musste. «Ich realisierte, es ist nicht mein Tag, und wurde negativ.» Dabei entspräche ihm dies keineswegs: «So bin ich nicht, auf keinen Fall. Aber in über 1500 Matches kann es einmal passieren.» Fast grimmig fügte er an: «Das Gute ist, dass ich weiss, dass es das nächste Mal nicht mehr passieren wird – und auch das übernächste und überübernächste Mal nicht.»
Der Coup gegen das frühere Idol
Auger-Aliassime gehört zu den meist gelobten jungen Tennisprofis, und als 20-Jähriger ist er bereits auf Rang 21 klassiert. «Federer war stets mein Vorbild», sagt der Kanadier, der auf den Tag 19 Jahre jünger ist als der Baselbieter. Den Wimbledon-Final 2008 habe er aufgenommen und immer und immer wieder geschaut. Umso mehr freute sich der 1,93 m grosse Modellathlet aus Montreal, der inzwischen in Monte Carlo lebt, auf seine erste Partie gegen Federer, mit dem er erst einmal trainiert hatte, in Dubai. «Das wird ein guter Test», mutmasste er.
Test gelungen, durfte er danach festhalten. Und wie. Der Kanadier schaffte es, seinen Vorsatz umzusetzen und die Partie über weite Strecken zu diktieren mit seinen mächtigen Schlägen. Der verdiente Lohn war sein grösster Sieg, gegen den achtfachen Wimbledonsieger, der bei seinem 18. Start in Ost-Westfalen so früh verlor wie noch nie. Schon bei seinen ersten Anläufen war Federer 2000 und 2001 in die Viertelfinals vorgestossen, danach hatte er immer mindestens die Halbfinals und 13 Mal das Endspiel erreicht.
Mitte 2. Satzes kam der Einbruch
Federer wirkte zu Beginn etwas spritziger als am Montag gegen den Weissrussen Ilya Iwaschka. Den ersten Satz gewann er allerdings etwas glücklich, dank seiner Kaltblütigkeit und Effizienz bei den Big Points. So entschied er alle fünf gespielten Breakbälle für sich – vier als Rückschläger, dazwischen nutzte er seine einzige Chance zum 4:3.
Während Federer vergebens auf weitere Breakbälle hoffte, kam er auch im zweiten Durchgang früh unter Druck und wurde zum 2:4 erstmals gebreakt, mit dem neunten Breakball des Kanadiers. Der Durchbruch befreite diesen, und zum Start in den Entscheidungssatz schaffte er gleich das Doppelbreak und zog 4:0 davon. Dann ging alles schnell – und am Ende, nach 1:45 Stunden, hatte Federer 10 der letzten 13 Games verloren. Auch andere statistische Werte verblüfften. So schlug er mit der Vorhand mehr Fehler als Winner (14:12), musste er in 14 Aufschlagspielen gleich 15 Breakbälle abwehren und kam als Rückschläger nur zu 14 Punkten und einem einsamen Breakball.
Federer taucht ab und befeuert damit Spekulationen
Bei Federer war klar sichtbar, dass ihm die Matchpraxis fehlt – im Gegensatz zu Auger-Aliassime, der in Stuttgart am Sonntag erst im Endspiel gegen Marin Cilic verloren hatte und eine beeindruckende Leistung zeigte, getragen von seinem Aufschlag. Gelegenheit, sein Wettkampf-Manko vor Wimbledon wettzumachen, hat Federer nun nicht mehr. Übernächste Woche beginnen die Championships schon, und in der Woche vor einem Grand Slam pflegt er seit Jahren keine Turniere mehr zu bestreiten.
«Ich war immer davon ausgegangen, nie gegen Federer spielen zu können»
Auger-Aliassime sprach von einem verblüffenden Erfolg. «Es war eine Ehre, dass ich gegen ihn spielen konnte. Das werde ich mit meinen Enkeln teilen können. Ich war immer davon ausgegangen, dass ich nie gegen Federer würde spielen können. Denn ich war etwa fünf, und er gewann schon Grand-Slam-Turniere.» Im ersten Satz sei er sehr beeindruckt gewesen: «Ich spielte so gut, wie ich konnte, und verlor ihn trotzdem 4:6.» Wäre dies ein Final und nicht erst ein Achtelfinal gewesen, würde er sich am Abend mit Champagner belohnen.
Unterschiedlicher hätten die Gefühlswelten der beiden an diesem Tag nicht sein können.
Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.
An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.