Wegen Kritik an Richterin«Ein unzulässiger Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz» – Bundesgericht rügt SVP
Das Bundesgericht wirft der SVP vor, die Gewaltenteilung zu missachten. Die Partei hatte sich im Parlament gegen die Wahl einer Richterin gestellt – wegen eines Urteils zu Afghaninnen.
- Die SVP hat Richterin Contessina Theis als «unwählbar» bezeichnet.
- Das Bundesgericht zeigt sich deshalb besorgt.
- Bundesgerichtspräsident Yves Donzallaz gehörte früher selbst der SVP an.
- Hintergrund ist der Streit um die Asylpraxis für Afghaninnen.
Es war ein Routinegeschäft: Die Vereinigte Bundesversammlung wählte am Mittwoch Claudia Cotting-Schalch zur Präsidentin des Bundesverwaltungsgerichts und Contessina Theis zur Vizepräsidentin. Dass sich die SVP-Fraktion gegen die Wahl von Theis stellte, hat nun aber ein Nachspiel.
Am Donnerstag drückte das Bundesgericht in einer Mitteilung seine Besorgnis aus – die Besorgnis darüber, «dass von einer parlamentarischen Fraktion die Wählbarkeit eines Gerichtsmitglieds des Bundesverwaltungsgerichts ausschliesslich wegen seiner Haltung im Rahmen der Rechtsanwendung infrage gestellt wird». Das stelle einen «unzulässigen Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz» dar.
Die Mitteilung hat Bundesgerichtspräsident Yves Donzallaz zu verantworten, der Ende Jahr zurücktritt. «Das Bundesgericht wird gegen aussen von seinem Präsidenten vertreten», schreibt das Gericht auf Anfrage. Er ziehe bei Äusserungen wie im konkreten Fall die weiteren Mitglieder der dreiköpfigen Verwaltungskommission bei. Pikant: Donzallaz war früher selbst SVP-Mitglied. Er trat aus der Partei aus, nachdem diese ihm wegen unliebsamer Urteile die Unterstützung entzogen hatte.
Streit um Asylpraxis für Afghaninnen
Hintergrund des SVP-Protests gegen Theis ist der Streit um die Asylpraxis für Afghaninnen, der das Parlament vor einem Jahr beschäftigte. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte im Sommer 2023 die Asylpraxis angepasst: Afghaninnen erhielten fortan in der Regel Asyl statt nur eine vorläufige Aufnahme. Das SEM war zum Schluss gekommen, dass sie die gesetzlichen Kriterien dafür erfüllen – weil sie religiös motiviert verfolgt werden und weil ihnen grundlegende Rechte verwehrt werden.
Viele andere Länder kamen zum selben Schluss – inzwischen gibt es auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das ihnen recht gibt. Die SVP und die FDP forderten jedoch, der Bund müsse die Praxisänderung rückgängig machen. Das Parlament lehnte die Forderung schliesslich ab – im Nationalrat mit 92 zu 91 Stimmen bei 10 Enthaltungen.
SVP: «Keine Urteilskritik»
Vor dem Parlamentsentscheid hatte das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil zu zwei Afghaninnen gefällt. Es war eine der beiden Asylabteilungen, die das Urteil fällte – die von Richterin Theis (Grüne) präsidierte Abteilung. Deshalb hielt die SVP Theis für unwählbar, wie SVP-Nationalrat Pascal Schmid am Mittwoch darlegte. «Es liegt mir fern, hier Urteilskritik üben zu wollen», versicherte Schmid. Das Ratsprotokoll vermerkt an dieser Stelle «teilweise Heiterkeit» im Saal. Schmid fuhr fort: «Ja, da können Sie gerne lachen auf der linken Seite – wir respektieren die Gewaltenteilung.» Zu kritisieren sei aber, dass das Urteil nicht mit der zweiten Asylabteilung koordiniert worden sei.
Theis wäre verpflichtet gewesen, sich mit allen Asylrichtern abzustimmen, argumentierte Schmid. «Mit dem Afghaninnen-Urteil wurde die Koordinationspflicht klar missachtet, dies offenkundig deshalb, um vorzupreschen und um eine Praxisänderung zu erzwingen.» Schmid berief sich auch auf Medien, die kritisiert hatten, drei Richter allein dürften kein Grundsatzurteil fällen.
Bundesverwaltungsgericht: Kein Grundsatzurteil
Ausgerechnet ein Parteikollege widersprach Schmid: SVP-Nationalrat Pirmin Schwander. Er äusserte sich als Präsident der parlamentarischen Gerichtskommission. Diese habe Anhörungen mit den Kandidatinnen durchgeführt. Richterin Contessina Theis habe zur Frage Stellung genommen, ob eine Koordinationspflicht bestanden habe. Nicht nur sie, sondern auch der zuständige Spruchkörper habe dies klar verneint.
Beim Afghaninnen-Urteil war in den Medien zunächst von einem Grundsatzurteil die Rede gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht sagte jedoch schon damals, es handle sich nicht um ein Grundsatzurteil, sondern um eine Einzelfallbeurteilung. Das Gericht habe entschieden, dass die Schweiz zwei Afghaninnen Asyl gewähren müsse, nicht aber die Praxis des Staatssekretariats für Afghaninnen beurteilt. Allerdings argumentierte das Gericht in der Urteilsbegründung unter anderem mit der Situation der Frauen in Afghanistan – aller Frauen. Ihnen wird in Afghanistan nicht nur Bildung verwehrt. Die Taliban verbieten ihnen auch öffentliche Äusserungen oder das Singen.
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