Debatte im NationalratHandelte der Bund bei den Afghaninnen gesetzeswidrig?
SVP-Nationalrat Gregor Rutz behauptet, das Staatssekretariat für Migration verstosse mit seinem Vorgehen gegen das Gesetz. Und er sagt, die Medien hätten über ein Gerichtsurteil falsch berichtet. Wo er richtig liegt – und wo nicht.
Die Debatte dauerte nur wenige Minuten. Dann beschloss der Nationalrat, den Entscheid über den Vorstoss von SVP-Nationalrat Gregor Rutz zu verschieben. Rutz fordert, dass der Bund einen Entscheid rückgängig macht. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte im Sommer die Asylpraxis für Frauen aus Afghanistan geändert. Seither erhalten Afghaninnen in der Regel Asyl statt nur eine vorläufige Aufnahme.
Soll dies wieder geändert werden? Der Nationalrat will, dass sich seine Staatspolitische Kommission mit der Frage befasst, bevor er entscheidet. Das beschloss er auf Antrag von Gerhard Pfister. Als Grund nannte der Mitte-Präsident zwei neue Entwicklungen. Erstens werde ab Januar ein neuer Bundesrat – Beat Jans – zuständig sein. Er soll Gelegenheit erhalten, sich damit auseinanderzusetzen. Zweitens habe das Bundesverwaltungsgericht in der Zwischenzeit ein Urteil gefällt, das es zu berücksichtigen gelte.
Gregor Rutz plädierte dafür, sofort zu entscheiden. Das Vorgehen des SEM sei «gesetzeswidrig», sagte er. Zudem sei das Urteil des Gerichts falsch dargestellt worden. Es handle sich nämlich nicht um einen Grundsatzentscheid zur Praxis, sondern um einen Einzelfallentscheid.
Kein Grundsatzurteil, aber «glasklare» Begründung
Was das Gerichtsurteil betrifft, hat Rutz recht: Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt, dass es sich nicht um ein Grundsatzurteil handle, sondern um eine Einzelfallbeurteilung. Das Gericht hat entschieden, dass die Schweiz zwei Afghaninnen Asyl gewähren muss, nicht aber die Praxis des SEM für Afghaninnen beurteilt.
Allerdings argumentiert das Gericht in der Urteilsbegründung vor allem mit der Situation der Frauen in Afghanistan – aller Frauen. «Das Urteil ist glasklar», sagt Migrationsrechtsexperte Alberto Achermann von der Universität Bern. Es sei schwer vorstellbar, dass ein Grundsatzurteil anders ausfallen würde. Das ergebe sich auch aus anderen bisherigen Urteilen.
Falsch liegt Rutz mit dem Vorwurf, das Vorgehen des SEM sei gesetzeswidrig. Dass das SEM für Herkunftsländer oder bestimmte Gruppen eine Asylpraxis festlegt, leitet sich laut Achermann aus dem Asylgesetz und der Organisationsverordnung des Departements ab. Im Gesetz steht: «Das SEM entscheidet über Gewährung oder Verweigerung des Asyls.»
Um sicherzustellen, dass Personen mit ähnlichem Hintergrund gleich behandelt werden, muss das SEM die Lage in den Herkunftsländern analysieren und eine Praxis für Personen aus diesen Ländern festlegen. Geprüft wird weiterhin jedes Gesuch einzeln, es handelt sich nicht um eine pauschale Aufnahme. Als beispielsweise Jesiden aus Syrien unter der Herrschaft des IS als kollektiv Verfolgte anerkannt worden seien und Asyl erhalten hätten, habe dies keine Diskussionen ausgelöst, sagt Achermann.
Am Mittwoch befasst sich der Ständerat mit der Praxisänderung für Afghaninnen. Auch in der kleinen Kammer wird aber beantragt, den Entscheid zu verschieben. Sollte die Praxisänderung am Ende rückgängig gemacht werden, könnten Afghaninnen ans Bundesverwaltungsgericht gelangen. Seit der Machtübernahme der Taliban im Sommer 2021 haben 3350 Afghaninnen in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt.
Eritreer nicht nach Ruanda abschieben
Der Nationalrat hat sich am Dienstag auch mit anderen umstrittenen Asyl-Vorstössen befasst. Mit 96 zu 91 Stimmen lehnte er eine Motion von FDP-Ständerat Damian Müller zu Eritrea ab. Müller forderte, dass der Bundesrat ein Pilotprojekt lanciert, um abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea in einen Drittstaat wie Ruanda abzuschieben. Laut dem Bundesrat lässt sich das aus rechtlichen und praktischen Gründen nicht umsetzen.
Angenommen hat der Nationalrat einen anderen Vorstoss Müllers. Dieser steht im Zusammenhang mit der Rückkehr abgewiesener Asylsuchender nach Algerien. Der Bundesrat wird beauftragt, beim europäischen Justiz- und Innenminister-Treffen Massnahmen gegen Algerien zu beantragen. Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider argumentierte vergeblich, die Zusammenarbeit mit Algerien funktioniere sehr gut. Das zeigen auch die Zahlen: Abgesehen von der Ukraine kehrten 2022 in kein anderes Land so viele zurück wie nach Algerien. Auch zwangsweise Rückführungen sind möglich.
Ebenfalls angenommen hat der Nationalrat einen Vorstoss seiner Staatspolitischen Kommission, wonach Ukrainerinnen und Ukrainern mit Schutzstatus S der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden soll: Anstelle einer Bewilligungspflicht soll es nur noch eine Meldepflicht geben. Der Bundesrat ist damit einverstanden.
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