Lockerung des LockdownFachgeschäfte ziehen den Kürzeren
Grossverteiler dürfen ab 27. April wieder alles verkaufen, Fachgeschäfte müssen dagegen geschlossen bleiben. Der Handel und der Gewerbeverband laufen Sturm.
Velofreunde werden sich freuen: Wer einen neuen Drahtesel kaufen will, steht bisher wegen des Lockdown vor geschlossenen Läden. Das ändert sich nun – aber nur zum Teil. Und das sorgt für Ärger. Denn während Fachgeschäfte weiterhin geschlossen bleiben müssen, bietet Jumbo mit bundesrätlichem Segen ab dem 27. April wieder Velos in grosser Auswahl an.
Und nicht nur das: Denn Baumärkte, die ebenfalls wieder öffnen werden, haben von Wohntextilien, Möbeln bis hin zu Sportartikeln alles, was die Kundschaft begehrt. Dagegen bleiben Möbelläden, Sportfachgeschäfte wie die Veloshops weiterhin geschlossen.
Ab dem 27. April dürfen auch Migros, Coop und Aldi in ihren Supermärkten die rot-weissen Bänder wieder entfernen, mit denen sie ihre Regale mit Nicht-Lebensmitteln abgesperrt hatten. Kleider, Koffer, Schmuck, Büromaterial und vieles mehr können Konsumenten dann wieder kaufen – zumindest in den Supermärkten.
Davon können Kleiderläden, Schmuckgeschäfte, Papeterien und andere Fachgeschäfte nur träumen. Ihre Läden bleiben bis voraussichtlich zum 11. Mai weiter geschlossen.
Der Gewerbeverband tobt
«Das ist eine eklatante Wettbewerbsverzerrung», ärgert sich Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV). Seit der bundesrätlichen Ankündigung vom Donnerstag poppen auf seinem Handy die erbosten Reaktionen von Verbandsmitgliedern nonstop auf.
«Entstehen denn keine Besucherströme, wenn das Coop-Warenhaus St. Annahof an der Bahnhofstrasse in Zürich wieder auf allen Etagen offen hat?»
Als Affront empfindet der oberste Gewerbler die bundesrätliche Begründung in dieser Sache: So sollen KMU-Detailhändler weiterhin geschlossen bleiben, weil man so Besucherströme verhindern wolle. «Entstehen denn keine Besucherströme, wenn das Coop-Warenhaus St. Annahof an der Bahnhofstrasse in Zürich wieder auf allen Etagen offen hat?» fragt Bigler rhetorisch.
Auch das Argument fehlender Schutzmassnahmen mag Bigler nicht akzeptieren. Er verweist auf die Lebensmittelläden, die mit Dosierung der Kundenzahl, Aufforderung zum Distanzhalten und Desinfektionsflaschen am Eingang Kunden sowie die Angestellten zu schützen suchen. Auf der Website des SGV finden sich zudem Schutzkonzepte, die von den angeschlossenen Verbänden für ihre Mitglieder erarbeitet worden sind.
Für Bigler ist die bevorzugte Behandlung der Grossverteiler bereits das zweite Mal, dass KMU benachteiligt werden.
Zur denkbar schlechten Laune bei den Verbandsverantwortlichen hat auch beigetragen, dass sie dem Bundesrat angeboten hatten, bei der Entscheidungsfindung in Sachen Lockerung des Lockdown beratend zu helfen, auch über die Osterfeiertage. Laut Bigler traf aus Bern nie eine Antwort auf diese Offerte ein.
Was ihn noch mehr ärgert: Für Bigler ist die bevorzugte Behandlung der Grossverteiler bereits das zweite Mal, dass KMU benachteiligt werden. Denn bei der Verhängung des Lockdown hatte der Bundesrat Migros, Coop und Co. verboten, nicht-lebensnotwendige Güter zu verkaufen.
Doppelte Diskriminierung
In einigen Läden liess man sich aber viel Zeit mit der Befolgung dieser Vorgabe, wie Kundinnen und Kunden mit Erstaunen bemerkt hatten. «Die Landesregierung hat das nie umgesetzt», kritisiert Bigler. Und verweist auf die Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren, welche den Bundesrat damals zu einer besseren Kontrolle auffordern musste. Hart ins Gericht geht Bigler noch heute mit Staatssekretärin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch. Die Chefin des Staatsekretariats für Wirtschaft (Seco) taxierte damals die Ungleichbehandlung als Lappalie.
Für Bigler ist klar, was Bern zu tun hat: Am 27. April soll auch der KMU-Detailhandel wieder offen haben. Sollte der Bundesrat auf diese Forderung nicht eintreten, so verlangt Bigler, dass die Grossverteiler den Non-Food-Bereich weiterhin geschlossen halten müssen.
«Es ist nicht am Seco, die Entscheide des Bundesrates zu kommentieren.»
Von einer ungerechten Bevorteilung der Grossverteiler spricht auch Handel Schweiz, dem 33 Branchenverbände angeschlossen sind. Ab 27. April sollen deshalb auch alle kleinen Läden öffnen können, «sofern sie die Schutzmassnahmen einhalten».
Eine Anfrage dieser Zeitung beim Seco blieb ergebnislos: «Es ist nicht am Seco, die Entscheide des Bundesrates zu kommentieren», teilte das Amt nur mit.
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