Genozid-ProzessFacebook muss gelöschte Hetzbotschaften aus Burma herausgeben
Die Plattform spielte bei der Ermordung Tausender und Vertreibung Hunderttausender Rohingya im Jahr 2017 eine wichtige Rolle. Nun soll sie zumindest bei der Aufklärung helfen.
Hetzbotschaften von den sozialen Medien zu entfernen und die Konten ihrer Urheber zu sperren, reicht nicht aus. Das weltweit führende soziale Netzwerk Facebook muss dafür sorgen, dass aussenstehende Berechtigte auf die gelöschten Informationen zugreifen können.
Ein US-Bundesrichter urteilte am Mittwoch, Facebook könne sich nicht auf ein Gesetz über gespeicherte Kommunikation (SCA) von 1986 berufen und gelöschtes Material aus Burma unter Verschluss halten. Zia Faruqui, Magistrate Judge in Washington, schrieb zur Begründung: «Die verlangten Inhalte wegzuschliessen, würde die Chance zum Verständnis vereiteln, wie Desinformation zum Völkermord führte.»
Das Urteil hilft Gambia. Der westafrikanische Staat klagt im Namen der 57 Mitgliedstaaten der Islamischen Kooperation vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen Völkermords gegen Burma. In der 2019 eingereichten Klage wird hohen Militärs des Staats in Südostasien vorgeworfen, sie hätten die muslimische Minderheit der Rohingya mit einer gezielten Kampagne zur Flucht gedrängt.
«Dass Facebook den Mantel des Datenschutzes überstreift, ist reich an Ironie. News-Sites widmen ganze Rubriken der schmutzigen Geschichte von Facebooks Datenschutzskandalen.»
Nach dem Befund von UNO-Ermittlern überschritt die Kampagne, in deren Verlauf 2017 mindestens 10’000 Menschen getötet wurden und 700’000 über die Grenze nach Bangladesh flohen, die Stufe zum Genozid. Es handle sich um ein «Lehrbuchbeispiel ethnischer Säuberung», schrieben die UNO-Experten.
Facebook machte vor Gericht geltend, das Unternehmen könne wegen eines Zivilprozesses keine vertraulichen Dokumente über Anwender und deren Kommunikation herausrücken. Dies widerspreche amerikanischen Datenschutzgesetzen.
Richter Faruqui bemerkte dazu: «Dass Facebook den Mantel des Datenschutzes überstreift, ist reich an Ironie. News-Sites widmen ganze Rubriken der schmutzigen Geschichte von Facebooks Datenschutzskandalen.»
Burma ist für Facebook eines der schlimmeren Kapitel. Das arme, lange von einer Militärjunta regierte Land war über Jahrzehnte von der Welt abgeschnitten. Telefone waren rar, und noch 2012 hatten bloss 1,1 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet. Das änderte sich, als 2013 eine quasizivile Regierung das Fernmeldewesen deregulierte und die Preise für SIM-Karten purzelten. 2016 verfügte fast die Hälfte der Bewohner über Handyabos.
Das Internet war und ist in Burma praktisch gleichbedeutend mit Facebook. Dessen App lieferte News, Messaging, Video-Zugang und Unterhaltung in einem Paket. Auf Facebook zu sein, wurde zum Statussymbol. Das Unternehmen half kräftig nach: Verwendeten User Facebook, mussten sie bei ihren Mobilfunkbetreibern für Daten nichts bezahlen.
Propagandisten unter den Militärs nutzten aus, dass für zwanzig der über fünfzig Millionen Einwohner Facebook die einzige News-Quelle war. Über ihre Konten machten sie Stimmung gegen die Rohingya, verschrien sie zu Unrecht als illegale Einwanderer. Und allzu lange liess der US-Konzern zu, dass auf seinem Netz extreme Hetzbotschaften kursierten. Eine Reuters-Recherche stiess 2018 auf über 1000 Sätze wie: «Schneidet den Hundesöhnen die Hälse ab und kickt sie ins Wasser.» Oder: «Übergiesst sie mit Benzin und zündet sie an, damit sie schneller bei Allah sein können.»
Dieses Mal schneller reagiert
Im gleichen Jahr räumte Facebook ein, es sei «zu langsam gewesen beim Verhindern von Desinformation und Hass». Dem Chef der Streitkräfte Burmas und fast zwanzig weiteren Personen und Organisationen wurde der Zugang zur Plattform gesperrt. Dieses Jahr reagierte Facebook schneller: Wenig mehr als drei Wochen nach dem Putsch vom 1. Februar verbannte der Tech-Gigant das Militär von seiner Plattform und verbot mit ihm verbundenen Firmen, auf Facebook Werbung zu schalten.
Je nachdem wie sich der Fall vor dem Internationalen Gerichtshof entwickelt, könnten Enthüllungen im Zusammenhang mit der Klage Gambias Facebooks Ruf schaden. Die Firma hat ohnehin mit zunehmend negativen Schlagzeilen zu kämpfen.
So führte das «Wall Street Journal» mit Berufung auf Whistleblower in einer mehrteiligen Serie unlängst aus, dem Unternehmen sei intern durchaus bekannt, wie schädlich Instagram für viele junge Frauen sei, wie Hetzrede auf Facebook in der Dritten Welt Konflikte schüre, wie Menschenhandel begünstigt und wie einseitig Zensur gehandhabt werde. Doch Reaktionen auf dieses Wissen, schreibt das «Journal», liessen allzu oft auf sich warten.
Zum aktuellen Gerichtsfall teilt Facebook mit, man werde das Urteil jetzt genau prüfen. Das Unternehmen kann dagegen beim übergeordneten Bundesgericht Berufung einlegen.
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