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Mordanklage gegen Polizisten
Extremer Fall von Polizeigewalt wühlt Indien auf

Verstösse gegen Corona-Regeln werden hart bestraft: In Delhi prügelt ein Polizist mit einem Stock auf einen Mann ein.
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Der Furor in Indiens sozialen Medien ebbt nur langsam ab, auch wenn es nun so aussieht, als würde die Justiz doch endlich handeln. Fünf Polizisten in Südindien werden des Mordes angeklagt, weil sie mutmasslich gefoltert und zwei wehrlose Menschen getötet haben.

Die Namen der Opfer sind im ganzen Land bekannt: Jayaraj, 62, und Fenix, 32. Ein Vater und sein Sohn, die im Distrikt Tuticorin lebten. Sie betrieben dort einen Mobilfunkladen, bevor sie mit der Polizei in Streit gerieten und schliesslich über Nacht auf der Wache festgehalten wurden. Dort erlitten sie so schwere Verletzungen, dass sie zwei Tage später starben.

Das Schicksal der beiden Männer hat die Inder aufgewühlt, Bürger drücken online ihren Zorn aus über das mutmassliche Verbrechen. Und es herrscht Frust darüber, dass Polizisten trotz brutaler Gewalt fast immer ohne Strafe davonkommen.

Indiens Polizisten haben Strafen selten zu fürchten. Es wird getrickst und vertuscht zulasten der Gerechtigkeit.

Seit Jahrzehnten tut der Staat sehr wenig, um daran etwas zu ändern. Die indische Kriminalstatistik listet zwischen 2001 und 2018 im Polizeigewahrsam 1721 Todesfälle auf, doch hat es im gleichen Zeitraum nur 26 Verurteilungen von Tätern in diesen Fällen gegeben. Gleichzeitig beklagt das Bündnis «National Campaign against Torture», dass 3 von 4 Todesfällen in Polizeiwachen auf Folter zurückzuführen sind. Das zeigt: Indiens Polizisten haben Strafen selten zu fürchten, es wird getrickst und vertuscht zulasten der Gerechtigkeit.

Im Falle von Jayaraj und Fenix soll es nun anders kommen, was dem wachsenden öffentlichen Druck zu verdanken ist, nachdem sich auch Filmstars und bekannte Cricketspieler einmischten und Gerechtigkeit für die beiden Männer forderten. Nach den Protesten gegen Polizeigewalt in den USA weitet sich also auch in Indien die Debatte über die Exzesse aus. Tag für Tag haben die Medien neue Details über das Verbrechen an den Männern Jayaraj und Fenix ans Licht gebracht, die öffentlich nur mit je einem Namen genannt werden.

Gerechtigkeit für Jayaraj und Fenix: Kampagne gegen Polizeigewalt im Internet.

Alles begann offenbar mit einer Nichtigkeit am Abend des 18. Juni. Eine Polizeipatrouille hatte die beiden dabei ertappt, dass ihr Geschäft 15 Minuten nach der offiziellen Corona-Ladenschlusszeit noch geöffnet war. Die Polizisten verwarnten die Händler, was den beiden nicht gefiel. Es heisst, Jayaraj habe begonnen, auf die Ordnungshüter zu schimpfen, was diese zunächst nicht mitbekamen, dann aber erfuhren, als es ein Zeuge der Polizei meldete.

So kamen die Beamten tags darauf wieder und nahmen Jayaraj mit auf die Wache. Als dessen Sohn davon erfuhr, eilte er hinterher. Bald schaukelte sich die Lage weiter auf, wie aus anonym zitierte Polizeiquellen hervorgeht. Angeblich begann einer der Polizisten, den Vater zu schlagen. Der Sohn versuchte, ihn zu schützen. «Das hat das Polizeiteam provoziert», zitierte der «Indian Express» einen Polizisten, der Kenntnisse von den Vorgängen hat. Er sprach dann auch darüber, wie es weiterging: «Sie prügelten Vater und Sohn stundenlang.»

Morgens wurden die Geschundenen schliesslich einem Richter vorgeführt, der wegen Corona offenbar grossen Abstand hielt und auf seine Pflicht verzichtete, die beiden auf Verletzungen untersuchen zu lassen. Ihm reichte es, dass sie noch laufen konnten. Sie wurden wegen «Ungehorsam und Einschüchterung» in ein Gefängnis eingewiesen.

Wie schwer ihre äusseren und inneren Verletzungen am Unterleib zu diesem Zeitpunkt schon gewesen sein müssen, liess sich daran erkennen, dass sie mindestens siebenmal die Kleidung wechseln mussten, weil sie so stark rektal bluteten. Erst zwei Tage später brachte man die beiden Männer in ein Spital, doch da war es schon zu spät, um ihr Leben zu retten. Nach Angaben ihrer Familie wurden sie im Polizeigewahrsam brutal gefoltert.

Rivalität zwischen Kasten könnte Rolle gespielt haben

Die Polizei im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu hatte anschliessend vier an der Festnahme beteiligte Beamte versetzt und dann zwei suspendiert, aber keine weiteren Massnahmen getroffen. Nach Protesten in der Bevölkerung schaltete sich dann eine Justizbehörde ein. Fünf Polizisten sind nun angeklagt worden. Die Autopsieberichte reichten aus, um eine Mordanklage zuzulassen, wie ein höheres Gericht inzwischen erklärte. Eine Beamtin, die als Zeugin über die grausamen Taten aussagen soll, wurde unter Schutz gestellt.

Ein rassistisches Motiv wie in den USA war im Fall von Jayaraj und Fenix zunächst nicht zu erkennen, allerdings gibt es Hinweise, dass womöglich die Rivalität zwischen Kasten eine Rolle gespielt haben könnte. Brutalität und Überheblichkeit der Polizei im Bundesstaat Tamil Nadu seien notorisch, und diese spiele sie vor allem gegen «hilflose Arme und Marginalisierte» aus, schrieb das Onlinemagazin «The Wire» über den Fall.