ETH-Professor bekämpft städtische Hitze«Man muss sehr genau überlegen, wo man Bäume pflanzen sollte»
Bäume können nicht nur kühlen, sondern auch zur Erwärmung beitragen. Jan Carmeliet ermittelt mit Simulationen die genaue Wirkung von Pflanzen, Gebäuden, Oberflächentypen und Winden aufs Klima.
An manchen Orten war die städtische Hitze in den vergangenen Tagen für Anwohner, Fussgängerinnen und Velofahrende fast unerträglich. Was liesse sich dagegen tun? Wie genau sich Luftschneisen, Bäume und Beschattung auf das lokale Stadtklima auswirken, ist schwierig zu modellieren. Denn das Stadtklima ist sehr komplex. Und ausschlaggebend sind oft die Details.
Exemplarisch zeigt das die Wirkung von Bäumen. Sie spenden Schatten, verdunsten Wasser und bewirken dadurch lokal eine Abkühlung. Kaum bekannt ist hingegen, dass Bäume auch zur Erwärmung von Städten beitragen können: Sie blockieren die Luftströme und schränken dadurch beispielsweise die Zufuhr kühler Luft vom Stadtrand ein. Bäume reduzieren auch die Wärmeabstrahlung des Bodens bei Nacht und halten so die Wärme des Tages in Bodennähe fest.
Bisher war es nicht möglich, die genaue Wirkung von Bäumen und anderen wärmerelevanten Prozessen in Städten explizit vorherzusagen. «Die Ergebnisse der Modelle waren zu allgemein, um für Stadtplaner und Stadtbehörden bei der Planung von Massnahmen zur Hitzeminderung wirklich nützlich zu sein», sagt Jan Carmeliet, Bauphysiker von der ETH Zürich. «Dazu braucht es präzise physikalische Simulationen des lokalen Stadtklimas, wie wir sie nun entwickelt haben.»
Diese Simulationen berücksichtigen unter anderem die von der Tageszeit abhängige Sonneneinstrahlung, die Beschattung durch Gebäude und die Wärmestrahlung zwischen den Gebäuden. Sie simulieren die Verdunstung und damit den Kühleffekt von Vegetation und von Flächen, die Wasser aufnehmen und wieder abgeben können. Bäume werden beispielsweise als poröses Material modelliert, durch deren Blätterdach Luft strömen kann. Auch die Luftströmungen und die Turbulenzen, die Gebäude und Bäume verursachen, werden im Detail simuliert.
Der Temperaturkomfort gibt an, wie heiss sich ein Ort anfühlt
Letztlich bestimmen die Forschenden mithilfe der Simulationen den sogenannten Temperaturkomfort. Er gibt an, wie heiss es sich an einem Ort anfühlt. Dabei werden neben der Lufttemperatur auch die relative Luftfeuchtigkeit, die Windgeschwindigkeit sowie die Solar- und Wärmestrahlung berücksichtigt, der Personen ausgesetzt sind. In der Fachsprache wird der Temperaturkomfort «Universal Thermal Climate Index» (UTCI) genannt.
«Wir haben entsprechende Modelle zur Bestimmung des UTCI entwickelt und können damit wirksame Hitzeschutzszenarien für ein Stadtquartier entwerfen», sagt Carmeliet. «Insbesondere Bäume, Beschattung und Belüftungskorridore können sehr wirksam sein, aber man muss dabei die Details und mögliche Zielkonflikte beachten.» Ein Beispiel für einen Zielkonflikt: Lücken in der Bebauung lassen die Luft zwar gut zirkulieren. Aber allzu offene Häuserzeilen entlang befahrener Strassen können bezüglich Lärmschutz problematisch sein.
Im Auftrag der Stadt Zürich haben Carmeliet und Mitarbeitende unter anderem eine Fallstudie für das Zürcher Quartier Altstetten durchgeführt. Die Stadt wollte wissen, wie Bäume im Quartier zur Kühlung beitragen. So bestimmten die Forschenden für Altstetten den UTCI einmal mit und einmal ohne Bäume.
Wie die Simulation gezeigt hat, würden sich Bäume im Durchschnitt in der ganzen Nachbarschaft positiv auf den Temperaturkomfort auswirken, der UTCI sank stellenweise um rund drei Grad – das ist nicht viel, aber immerhin. «In anderen Bereichen beeinträchtigen die Bäume aber den Temperaturkomfort», sagt Carmeliet. «Denn durch die Veränderung des Strömungsfeldes können Bäume das Belüftungspotenzial in diesen Bereichen verringern, was zu einem lokalen Anstieg der Lufttemperatur führen würde. Man muss daher sehr genau überlegen, wo man Bäume pflanzen sollte und wo besser nicht.»
Bei der Altstetterstrasse ging es aber nicht nur um Bäume. In einem imaginären Szenario wurde auch eine Verdichtung der Bebauung betrachtet, wo einige Gebäude durch grössere ersetzt werden sollen. Wie wirkt sich das auf die Lufttemperatur in der Nacht aus? Auch das haben die ETH-Forschenden simuliert.
Ein hypothetisches mehrstöckiges Gebäude an der Ecke Altstetter-/Rautistrasse wäre demnach von zentraler Bedeutung: Es würde den Windfluss bremsen und zu einer deutlichen Erwärmung angrenzender Bereiche führen. Wie die Simulation zeigt, würde sich in diesem Fall eine lokale Bepflanzung der Altstetterstrasse positiv auswirken: Die Bäume würden den Windfluss am mehrstöckigen Gebäude vorbei in die Altstetterstrasse sowie in angrenzende Wohnquartiere lenken und dort für kühlende Frischluft sorgen. «Das zeigt, dass hier verdichtetes Bauen möglich ist», sagt Carmeliet. «Es braucht aber begleitende Massnahmen wie das Pflanzen von Bäumen, damit die Hitzebelastung nicht ansteigt.»
Herkömmliche Modelle überschätzen das Potenzial von Bäumen
Wie Carmeliet sagt, liefern die präzisen, «mikroskalig» genannten Modelle teils deutlich andere Werte für den UTCI als die herkömmlichen und grobmaschigeren «mesoskaligen» Modelle. «Der berechnete UTCI kann sich zwischen den komplexen und den einfachen Modellen lokal um acht bis zehn Grad unterscheiden», sagt Carmeliet. «Daher bezweifeln wir den Nutzen der mesoskaligen Stadtklimamodelle, um die Auswirkungen lokaler Veränderungen in der Stadt zu bewerten.» Eine kürzlich von chinesischen und australischen Forschenden im Fachmagazin «Sustainable Cities and Society» publizierte Studie hat gezeigt, dass herkömmliche Klimamodelle das Potenzial von Bäumen, während Hitzewellen zu kühlen, um 60 Prozent überschätzt haben.
«Sehr detaillierte Modellierungen des Stadtklimas, welche in der Lage sind, Gebäude, Vegetation, verschiedene Oberflächentypen und insbesondere auch den kleinskaligen Wind explizit zu simulieren, sind bei projektspezifischen Fragestellungen oder Fallstudien für kleinere räumliche Gebiete sehr nützlich», sagt Corinne Hörger von der Stadt Zürich. Sie leitet dort das Team Messung Luftqualität und ist verantwortlich für die Stadtklimamessungen. Hochaufgelöste Modellierungen seien für die Stadt insbesondere dann interessant, wenn es um Fragen der Durchlüftung gehe.
Hochaufgelöste Simulationen sind laut Hörger allerdings ressourcenintensiv. «Die Rechenleistung für solche Simulationen steht nicht immer zur Verfügung», sagt Hörger. «Für die Stadt als Nutzerin solcher Daten ist es aber wichtig, dass die Simulationen zu einem bestimmten Termin zur Verfügung stehen, damit Entscheidungen getroffen werden können. Das könnte zum jetzigen Zeitpunkt noch eine Einschränkung darstellen.»
Zudem hänge die Qualität einer Modellierung sehr von der Qualität der Eingangsdaten ab. «Da kaum je alle nötigen Informationen in der geforderten Qualität vorhanden sind, sind Annahmen zu treffen, die ebenfalls einen Einfluss auf die Repräsentativität der Resultate haben», sagt Hörger. «Die Gefahr einer Scheingenauigkeit ist dadurch real.»
Carmeliet ist sich dieser Probleme durchaus bewusst. «Daher versuchen wir derzeit, die Nutzung des Simulationsmodells einfacher, schneller und anwendungsfreundlicher zu machen.»
3-D-Visualisierung der Resultate soll Entscheidungen erleichtern
Dazu gehört auch eine dreidimensionale Visualisierung der Resultate, die Carmeliet zusammen mit kanadischen Kollegen am Beispiel einer mit Bäumen bepflanzten Strassenschlucht zeigt: Die Bäume und angrenzende Bereiche sind in eine grosse, hellblaue Blase gehüllt, als wären sie von einer gigantischen Seifenblase umgeben. Innerhalb der Blase reduzieren die Bäume die Lufttemperatur um mindestens 0,5 Grad Celsius. «Derartige Visualisierungen sollen es Verantwortlichen einfacher machen, sich für oder gegen eine bestimmte Massnahme zur Hitzeminderung zu entscheiden», sagt Carmeliet.
Entsprechende Entscheidungen werden laut Carmeliet immer wichtiger. Viele Studien hätten in den letzten Jahren gezeigt, dass die Hitzebelastung in Städten durch die Erderwärmung und durch die Bildung von städtischen Hitzeinseln deutlich erhöht wird. Wie Forschende vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut kürzlich in einer Studie gezeigt haben, sterben an einem Hitzetag mit 35 Grad Celsius Maximaltemperatur in den städtischen Hitzeinseln der grösseren Schweizer Städte 26 Prozent mehr Menschen als in den übrigen Stadtgebieten.
Dagegen lässt sich laut Carmeliet etwas tun. Langfristig müsse der Klimawandel durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen eingedämmt werden. Und kurzfristig helfen präzise Simulationen des Stadtklimas. «Das wird es uns ermöglichen», sagt Carmeliet, «in den Städten die Luft- und Oberflächentemperaturen zu senken und den Temperaturkomfort zu verbessern.»
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