Ex-US-Präsident in BernUnd dann wird Bill Clinton persönlich
Am Galaabend der «Initiative Schweiz» erhält Skifahrer Marco Odermatt den Prix Suisse. Aber vorher analysiert Clinton den Nahostkonflikt. Und lässt durchschimmern, wie sehr ihn sein Scheitern schmerzt.
Interviewer Urs Gredig braucht die Stichworte gar nicht zu nennen, Bill Clinton fängt gleich selbst damit an. Es ist Samstagabend im Kursaal Bern, im Publikum sitzen 400 Schweizer Polit- und Wirtschaftsgrössen, Sportministerin Viola Amherd soll später den Prix Suisse an Skifahrer Marco Odermatt verleihen, der Dresscode ist «Black Tie».
Ein festlicher, fröhlicher Abend soll es werden.
Aber jetzt sitzt da der 42. Präsident der USA auf der Bühne, man hat ihn für viel Geld eingeflogen, und er will über Israel und Gaza reden. Seine Stimme kratzt, und das Mikrofon zittert ein wenig in den Händen des inzwischen 77-Jährigen. Es schmerze ihn sehr, über das Thema zu sprechen, weil es ihn so persönlich treffe, sagt er zu Beginn.
Da scheint sich was aufgestaut zu haben. Die folgenden Minuten geraten zur Nahost-Erzählstunde: Clinton berichtet vom Beginn seiner Amtszeit, von seinen Verhandlungen mit dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin und Palästinenserführer Jassir Arafat. Wie oft man nahe an einer Einigung gestanden sei, wie aber jeder Deal wieder auseinandergefallen sei. Wie Rabin und er unter vier Augen noch Witze gerissen hätten, dass Rabin in Gefahr sei, wenn er einer Einigung zustimmen würde – und wie dieser dann, im Herbst 1995, erschossen wurde.
Heute, sagt Clinton nicht ohne Bitterkeit, sei nach dem Überfall der Hamas jede Lösung in weite Ferne gerückt. Nach den Gräueltaten vom 7. Oktober sei klar, dass die heutige israelische Regierung nie mehr mit der Hamas verhandeln werde.
Zwischen den Zeilen ist herauszuhören, wie wenig Clinton von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und dessen Politik hält. Mehrfach betont er, dass er nach wie vor für eine Zweistaatenlösung sei, aber dass sich beide Seiten davon verabschieden müssten, «den Kampf zu 100 Prozent zu gewinnen». Schliesslich seien die Anteile der Bevölkerung «ziemlich genau fifty-fifty» verteilt.
SRF-Mann Gredig versucht dann noch, Clinton zu provozieren, indem er ihn auf das Alter von Joe Biden und Donald Trump anspricht. Die beiden Kandidierenden der US-Präsidentschaftswahl 2024 sind älter als der Ex-Ex-Ex-Ex-Präsident. Worauf Clinton zur Verteidigung seines Parteikollegen ansetzt und sagt, Biden sei «in better shape», als allenthalben berichtet werde. Klar, «in theory» wären ihm jüngere Kandidierende lieber, und seine Frau Hillary wäre ohnehin die beste Präsidentin gewesen, «but we don’t live in theory, we live in the real world.»
Wer die Gala gesponsert hat
Damit verlässt Clinton die Bühne. Und an die Stelle der Weltpolitik tritt die Schweizer Innensicht. Auf der grossen Leinwand sind wechselnde Panoramafotos aus den Bergen zu sehen, die Koch-Nationalmannschaft hat einen Auftritt, und die beiden Prix-Suisse-Organisatoren Stefan Linder und Rudolf Obrecht erklären den Gästen, was der Preis in ihren Augen bezweckt. Es gehe ums Zelebrieren der hiesigen Innovationsfähigkeit, «wir wollen, dass die Schweiz auch in 30 Jahren noch so erfolgreich ist wie heute», sagt Linder.
Was die beiden nicht sagen: Der aufwendige Galaabend ist vor allem deshalb möglich, weil der letzte Patron des bekannten Möbelhauses Pfister sein Unternehmen in eine Stiftung gelegt hat, statt es seinen Nachkommen zu vermachen. Fritz Gottlieb Pfister verstarb 1984.
Das ist fast 40 Jahre her. Inzwischen hat die Stiftung die Möbelhäuser verkauft. Übrig geblieben ist ein enormes Vermögen – die «Bilanz» schreibt von über einer halben Milliarde Franken. Linder und Obrecht sind die beiden zentralen Figuren, die prägen, was mit dem Geld gemacht werden soll.
Ein Ansatz ist, kleine und mittlere Unternehmen zu übernehmen, die keine Nachfolgelösung haben. Sechs sind es inzwischen, das bekannteste ist der Appenzeller Mineralwasserhersteller Goba.
Ein weiterer Ansatz ist die «Initiative Schweiz», zu welcher der Prix Suisse gehört. Seit drei Jahren verleihen Linder und Obrecht den Preis jährlich an eine herausragende Persönlichkeit. Bisherige Träger waren SVP-Unternehmer Peter Spuhler und Wissenschaftlerin Martine Clozel. Aus dem Topf dieser Stiftung stammt nicht nur das Geld für das Galadinner, sondern auch das Honorar für Bill Clinton, der für einen Auftritt in der Regel zwischen 100’000 und 750’000 Dollar verrechnet.
«Odi» musste ins Bett
Beim eigentlichen Stargast des Abends ist allerdings mit Geld nichts zu erreichen. Moderatorin Sandra Studer muss ziemlich früh verkünden, dass Prix-Suisse-Gewinner Marco Odermatt gar nicht anwesend sein wird. Der Skifahrer ist zwar nicht weit weg, nämlich in Zermatt, aber das Problem ist, dass die geplante Abfahrt am Samstag abgesagt werden musste, und am Sonntag gibt es noch eine kleine Chance, das Rennen durchzuführen. Also muss Odermatt am Samstag früh ins Bett, um vorbereitet zu sein. (Am Sonntagmorgen wird klar: Auch das sonntägliche Rennen muss abgesagt werden.)
«Wir haben alles versucht», erzählt Stefan Linder am Rande der Gala, mit dem Präsidenten von Swiss-Ski habe er telefoniert, mit Marco Odermatt ebenso, aber am Ende gehe der Sport vor. Es bleibt darum bei einer Videobotschaft. Was bei vielen Gästen überhaupt nicht schlecht ankommt: Da ordnet einer offensichtlich alles dem sportlichen Erfolg unter, selbst eine Ehrung samt Laudatio der Sportministerin. «Odi» der Profi.
Und so bleibt die Stimmung im Saal den ganzen Abend hindurch gut, auch wenn der Zusammenhang zwischen den einzelnen Programmpunkten etwas vage bleibt – und das gilt nicht nur für Bill Clinton, der vor allem seiner Prominenz wegen eingeladen worden zu sein scheint.
Zu sehen sind eine Drohnenshow, ein Überraschungsauftritt einer Eurovision-Song-Contest-Gewinnerin und ein Interview mit Thomas Zurbuchen. Der Schweizer Ex-Forschungsdirektor der Nasa rattert seinen Weg aus Heiligenschwendi im Berner Oberland bis an die Spitze der weltgrössten Weltraumagentur in 15 Minuten herunter, charmante Anekdoten inklusive. Auch er: offensichtlich ein Profi.
Wie Sportministerin Amherd. Kurz nach ihrer Ansprache, noch vor dem Dessert, verabschiedet sie sich am Ehrentisch. Kommentar von Moderatorin Studer: «Bill Clinton sitzt im Privatjet, und Viola Amherd nimmt den Zug. So geht das bei uns.»
Heiterkeit im Kursaal. Auf diesen Satz können sich alle einigen.
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