Mobbing-Urteil gegen NestléEx-Kaderfrau zwingt Konzern zur Kapitulation
Wegen Mobbings muss Nestlé eine ehemalige Mitarbeiterin mit viel Geld entschädigen. Laut der Waadtländer Justiz war sie im Nahrungsmittelkonzern «hinterhältigem Mobbing» ausgesetzt.
Aus. Vorbei. Gewonnen. Und doch: Yasmine Motarjemi verspürt weder Freude noch Genugtuung. Siebzehn Jahre habe ihr Kampf gegen den Nahrungsmittelkonzern Nestlé gedauert, zwölf davon vor Gericht, bilanziert die 67-jährige Expertin für Nahrungsmittelsicherheit. Sie fühle noch immer eine riesige Wut in sich und könne kaum schlafen.
Doch seit Mittwoch ist klar: Nestlé muss seine ehemalige Kaderfrau wegen Mobbings finanziell entschädigen. Der Konzern akzeptiert ein entsprechendes Urteil des Kantonsgerichts und verzichtet auf einen Weiterzug ans Bundesgericht. Das hat der Nahrungsmittelmulti am Mittwoch via die Zeitung «Le Temps» bekannt gegeben.
Wie viel Geld Nestlé Yasmine Motarjemi überweisen muss, darüber will sie nicht reden: «Um Geld ist es mir nie gegangen. Ich habe mit den jahrelangen Prozessen im Gegenteil viel Geld verloren.» Eine Million Franken habe sie allein für Gerichts-, Anwalts- und Arztkosten ausgegeben. Vor Gericht verlangte sie von Nestlé einen symbolischen Franken Genugtuung und 2,1 Millionen für Ausgaben und Erwerbsausfälle, auch weil sie ab ihrem 55. Altersjahr eine Rente für Berufsinvalidität beziehen musste.
Beispiellose Justizsaga
Was Yasmine Motarjemi widerfuhr, ist eine für Schweizer Verhältnisse beispiellose Justizsaga. Im Januar 2020 anerkannte das Waadtländer Kantonsgericht, dass die 2011 entlassene Nestlé-Kaderfrau von ihrem direkten Vorgesetzten jahrelang herabgesetzt und gemobbt wurde. Im Urteil war von «hinterhältigem Mobbing» die Rede, das die Gesundheit der zuvor kerngesunden Klägerin bis an ihr Lebensende beeinträchtige.
Das Kantonsgericht kritisierte auch den Konzern selbst. Das Gericht bezeichnete eine von Nestlé bei einer Beratungsfirma in Auftrag gegebene Untersuchung als «Scheingutachten». Der Konzern hätte seine Mitarbeiterin besser schützen müssen. Stattdessen habe man versucht, sie intern an einen neuen Arbeitsort zu verschieben, ohne den Missständen auf den Grund zu gehen oder sie zu beheben.
So klar das Urteil ausfiel: Nestlé liess nicht von seiner ehemaligen Kaderfrau ab. Der Konzern focht das Urteil vor dem Bundesgericht an, unterlag erneut und stritt in der Folge erneut vor der Waadtländer Justiz, diesmal aber über die Höhe der Entschädigungszahlung. Heute bedauert Nestlé die lange Dauer des Rechtsstreits und hofft, dass «Frau Motarjemi endlich nach vorn schauen und ihr Leben wieder in die Hand nehmen kann».
«Wo ist eigentlich der Hirte, der die Herde beschützt, der den Mobber identifiziert, zur Rede stellt und ausschliesst?»
«Die Verletzungen bleiben», sagt sie. Man könne sich nicht vorstellen, in welchem geistigen und seelischen Zustand sie gelebt, wie viele Freunde sie verloren habe und wie selbst Familienmitglieder sich vor ihr abgewandt hätten, weil der Rechtsstreit mit Nestlé ihr ganzes Leben beherrscht habe. Nach den Gerichtsurteilen wisse man zwar nun, wer der Wolf sei, aber sie frage sich: «Wo ist eigentlich der Hirte, der die Herde beschützt, der den Mobber identifiziert, zur Rede stellt und ausschliesst?» Als Opfer habe sie einen unglaublich hohen Preis bezahlt, während den Verantwortlichen bei Nestlé, ihrem direkten Vorgesetzten und vielen weiteren involvierten Kadern, nicht das Geringste widerfahren sei, man habe sie sogar noch befördert, sagt Yasmine Motarjemi. Das dürfe nicht sein. Ihr Erfolg vor Gericht allein werde daran nichts ändern.
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