Analyse zu Mittelmeer-StreitEuropa muss mit Erdogan reden – und Härte zeigen
Im Streit mit Griechenland lässt sich der türkische Präsident in martialischen Propagandavideos inszenieren. Wie sollen die Europäer einem solchen Politiker entgegentreten?
Erst galoppieren mittelalterliche Osmanen übers Schlachtfeld, dann stürmen türkische Weltkriegssoldaten an den Dardanellen gegen den Feind. Es folgen: Kampfhelikopter, die aus allen Rohren schiessen, Fregatten, die wie wild Raketen verfeuern, und Piloten, die in rot-weissen Jets die irrsten Loopings fliegen.
Mal reitet der seit fast 600 Jahren tote Eroberer Sultan Mehmet II. durchs Bild, dann schreitet Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vorbei. Gegen Ende des Videos betreten die Helden die Hagia Sophia. Sie beten. Als Abschlussbild kommt die Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem. Und angerichtet ist der Propaganda-Eintopf Erdogans.
Das Vier-Minuten-Video des türkischen Kommunikationsamts ist die Begleitmusik zur Mittelmeer-Krise zwischen Türken und Griechen. Das Video sagt einiges aus über Erdogans Verständnis von Gewicht und Rolle der Türkei. Vor allem aber legt es offen, was der daheim nicht mehr ganz so populäre Präsident seinen Bürgern suggeriert, um die nächsten Wahlen zu gewinnen: Die Türkei ist seit Hunderten Jahren eine Macht von Weltgeltung. Sie ist der Herold und der Leibgardist des Glaubens. Sie ist ein Versprechen an die Zukunft aller Türken.
Europas Regierungen müssen einen entschlossenen Umgang mit Erdogan finden.
Wie soll Europa so einem Land, so einem Staatsmann entgegentreten? Etwa so bullig wie der französische Staatschef Emmanuel Macron? Der stellt sich an die Seite der Griechen, schickt Fregatten, macht sich stark gegen die Türken im Bürgerkriegsland Libyen. Aber ist das die richtige Antwort Europas auf Erdogan?
Paris hat in Libyen wirtschaftliche Interessen. Auch Macron kämpft mit seinen martialischen Gesten gegen sinkende Umfragewerte, ähnlich wie Erdogan denkt er an die nächste Wahl. Bei beiden ist taktischer Opportunismus im Spiel. Vielleicht können sich die beiden Präsidenten auch deshalb so wenig leiden – weil sie sich nicht ganz unähnlich sind.
Trotzdem gilt es für Europas Regierungen, einen entschlossenen Umgang zu finden mit Erdogan. Der ist ein Politiker vom Naturell Wladimir Putins. Ähnlich wie dieser betrachtet er diplomatisches Nachgeben als Ausdruck von Schwäche, geht lieber voll ins Risiko, verstösst gegen alle Konventionen. Pokern, bluffen, gewinnen.
Die Türken müssen einsehen, dass sie bei Gesprächen mehr bekommen als in einem Ägäis-Krieg.
In vielen islamischen Staaten haben die Menschen wenig Erfahrung mit Demokratie und Meinungsfreiheit, sie fallen noch leichter auf Säbelrassler, Sprücheklopfer und religiöse Zündler herein als in den USA oder neuerdings in Deutschland. Das kommt Erdogan zugute. Aber auch in der Türkei – die nicht nur ein islamisches Land ist, sondern bis heute eine säkulare Republik – funktioniert das oft. Türken wird bereits in der Schule ein ungestümes Nationalgefühl, ein manchmal irrationaler Nationalismus eingetrichtert. Das ist unter Erdogan nicht anders als zu Zeiten der Putschisten ab den Sechzigerjahren.
Erdogan reichert diesen modernen türkischen Nationalismus mit den Verbeugungen vor den Osmanen an. Die Sultane haben einst Anatolien und Konstantinopel erobert, das Christenreich Byzanz bezwungen. Deshalb macht der Präsident die Hagia Sophia zur Moschee, spricht von «der Befreiung der Al-Aqsa-Moschee»: Seine Botschaft ist die Fusion aus einem globalen Muslimbruder-Islam und dem türkischen Nationalismus.
Und mit so einem Staatsmann soll man reden? Ja. Weil man es muss. Die Türkei ist für Europa ein wichtiger Handelspartner, aber das sei hier geschenkt. Das Flüchtlingsproblem aber lässt sich ohne Ankara einfach nicht lösen. Ausserdem leben in Europa, insbesondere in Deutschland, Millionen Bürger türkischer Herkunft. Die fühlen europäisch, aber zum Teil auch türkisch. Was ihr Recht ist. Ihretwegen darf man aber nicht einknicken.
Den Griechen muss man klarmachen, dass sie sich ebenfalls bewegen müssen im Mittelmeer-Streit.
Das alles reicht nicht? Im Kriegsfall könnten sowohl die Nato als auch die EU jede Glaubwürdigkeit verlieren. Ein bewaffneter Konflikt zwischen den Nato-Staaten Türkei und Griechenland würde das Militärbündnis infrage stellen, dann erst wäre die Nato im macronschen Sinn «hirntot».
Die EU wird wegen ihrer Mitglieder Griechenland und Zypern nicht schlagartig die militärisch-aussenpolitische Entschiedenheit zeigen, die sie schon seit Jahren vermissen lässt. Das absehbare Versagen von Nato und EU würde Erdogan nur stärken. Und wäre nebenbei ein Riesenerfolg für seinen Geistesgenossen Putin.
Solange die Chance besteht, die Gegner zu Gesprächen zu bewegen, sollten die Europäer das versuchen. Mit Härte. Aber die Türken müssen auch sehen, dass sie bei Gesprächen mehr bekommen als in einem Ägäis-Krieg. Dafür muss mehr auf den Tisch als das Versprechen einer modernisierten Zollunion: Europa muss den Griechen klarmachen, dass sie sich ebenfalls bewegen müssen im Mittelmeer-Streit. (Lesen Sie dazu den Kommentar «Gefährliche Solidarität».)
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