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Zweite Amtszeit für Ursula von der Leyen
Sie überzeugt mit Plädoyer für ein «starkes Europa» und mit Kritik an Orban

epaselect epa11484850 Outgoing European Commission President and candidate for re-election Ursula von der Leyen delivers a speech during a plenary session of the European Parliament in Strasbourg, France, 18 July 2024. MEPs will vote on Von der Leyen's nomination for Commission President on 18 July. If she is elected, she will serve as European Commission President for the next five years. If she does not get the required majority, the European Council will have to propose a new candidate within one month.  EPA/RONALD WITTEK
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Ursula von der Leyen hat es geschafft. Am Ende ist die Zustimmung stärker ausgefallen als erwartet. 401 der insgesamt 720 Abgeordneten sprachen sich bei der geheimen Wahl für eine zweite Amtszeit der Kommissionspräsidentin aus. Die Christdemokratin bekam damit 40 Stimmen mehr als nötig. Den grössten Applaus bekam die 65jährige während ihrer einstündigen Bewerbungsrede, als sie Viktor Orban für dessen selbst ernannte Friedensmission in Moskau kritisierte. Was Ungarns Regierungschef betreibe, sei Appeasement oder Beschwichtigungspolitik. Zwei Tage nach Orbans Besuch bei Wladimir Putin habe Russland das Kinderspital in Kiew bombardiert. Das sei kein Irrtum gewesen, sondern eine klare Botschaft, eine «abschreckende Botschaft an uns alle».

Die Empörung über Orban ist etwas, was die Fraktionen der proeuropäischen Mehrheit im EU-Parlament nach wie vor verbindet. Es ist der gemeinsame Nenner von Konservativen (EPP), Sozialdemokraten (S&D), den Liberalen (Renew Europe) und Grünen.

Ursula von der Leyen musste in ihrer Bewerbungsrede möglichst viele Abgeordnete der vier Fraktionen gewinnen, ohne gleichzeitig zu viele vor den Kopf zu stossen. Eine klare Mehrheit war bis zuletzt unsicher, weil es nicht nur bei den Sozialdemokraten und Liberalen, sondern auch bei der eigenen konservativen Parteienfamilie mögliche Abweichler gab. Und als Absicherung war Ursula von der Leyen auch auf die Stimmen der Grünen angewiesen. Die Gratwanderung ist ihr ganz gut gelungen, allerdings auf Kosten der Substanz ihrer Rede, in der die Konservative versuchte, es irgendwie allen recht zu machen.

Verteidigung statt Green Deal

Klar, Verteidigung und Sicherheit haben den Green Deal gegen den Klimawandel im Vergleich zum letzten Mal vor fünf Jahren als grosses Thema abgelöst. Russland sei im Osten der Ukraine immer noch in der Offensive, so Ursula von der Leyen. Wladimir Putin setze auf einen Zermürbungskrieg. Die EU werde an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer im Kampf für ein freies und souveränes Land stehen, solange es nötig sein werde.

Doch auch die Freiheit Europas insgesamt sei in Gefahr: «Wir müssen alles tun, um unsere Bürgerinnen und Bürger zu schützen.» Etwa mit einem europäischen Schutzschild gegen Raketen und Drohnenangriffe, wie ihn Polen und Griechenland fordern. Der Schutz Europas müsse Aufgabe der Europäer sein. Mehr Investitionen in Verteidigung seien nötig, es sei Zeit, eine europäische Verteidigungsunion zu gründen, sagte Ursula von der Leyen. Europa gebe zu wenig aus und vor allem ineffektiv: «Wir kaufen zu viel im Ausland, wir müssen einen Binnenmarkt für Verteidigung schaffen.»

epa11484896 Outgoing European Commission President and candidate for re-election Ursula von der Leyen receives applause after delivering a speech during a plenary session of the European Parliament in Strasbourg, France, 18 July 2024. MEPs will vote on Von der Leyen's nomination for Commission President on 18 July. If she is elected, she will serve as European Commission President for the next five years. If she does not get the required majority, the European Council will have to propose a new candidate within one month.  EPA/RONALD WITTEK

Beim eigentlichen Streitpunkt, wie Europa die gemeinsamen Anstrengungen finanzieren soll, blieb Ursula von der Leyen allerdings vage. Die ehrgeizigen Ziele liessen sich wohl nur mit neuen gemeinsamen Schulden erreichen, doch Eurobonds sind ein Reizthema vor allem für ihre deutschen Landsleute, aber auch etwa für die Liberalen und Konservativen aus den Niederlanden.

So ging das quer durch die Bewerbungsrede: Die 65-Jährige kreuzte jede Box an, die von links bis rechts erwartet wurde. In Richtung der Sozialdemokraten kündigte sie an, einen «europäischen Plan für erschwinglichen Wohnraum» auszuarbeiten. Ein EU-Kommissar soll zudem erstmals mit dem Dossier betraut werden.

Zückerchen für die Bauern

In Richtung der Konservativen versprach sie unter anderem, kleine und mittlere Unternehmen von Bürokratie zu entlasten. Bürokratieabbau haben allerdings schon viele vor ihr versprochen, ohne dass es da spürbare Fortschritte gegeben hätte. Bedacht wurden auch die Landwirte, die mit ihren Protesten für Aufsehen gesorgt und die traditionellen Parteien unter Druck gesetzt hatten. Die Bauern brauchten ein faires Einkommen, kein Betrieb müsse gezwungen sein, Lebensmittel unter den Produktionskosten zu verkaufen, sagte Ursula von der Leyen recht allgemein.

Beim Reizthema Migration beschränkte sich die Kandidatin darauf, dass nun die Reform mit den strengeren Regeln für die Kontrollen an den Aussengrenzen umgesetzt werden müsste. Neu ist ein Vorschlag, die Grenzschutzbehörde Frontex auf 30’000 Beamte zu verdreifachen. Dies wäre ein Ausbau, den auch die Schweiz als Schengenmitglied tangieren und womöglich eine erneute Volksabstimmung nötig machen würde.

Bedeckt hielt sich Ursula von der Leyen zur Forderung der Konservativen, die Migrationsregeln weiter zu verschärfen und Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. Ein klares Bekenntnis hingegen zu den Migrationsdeals wie zuletzt mit Tunesien, Ägypten und dem Libanon. Die Christdemokratin kündigte zudem an, einen Kommissar speziell für den Mittelmeerraum zu benennen. Dies auch als Angebot an die Abgeordneten von Giorgia Melonis Fratelli d’Italia, deren Stimmen Ursula von der Leyen gerne auch gehabt hätte.

Kein Mann auf dem Mond mehr

Bei ihrer ersten Bewerbungsrede vor fünf Jahren hatte die Kandidatin den Green Deal als Europas «Mann-auf-dem-Mond-Moment» hochstilisiert. Nun liege der Fokus auf der Umsetzung der Klimamassnahmen und in Investitionen in klimaneutrale Technologien, sagte sie. Ob das Verbrennerverbot verschoben werden soll, wie es die Konservativen fordern, sagte Ursula von der Leyen nicht. Das hätte sie Stimmen der Grünen gekostet.

Klimaschutz und eine gesunde Wirtschaft müssten unter einen Hut gebracht werden. Von der Leyen versprach viel, etwa auch einen Wettbewerbsfonds, damit Europa nicht weiter hinter den USA und Asien zurückfällt. Die Agentur Europol soll ähnlich wie das amerikanische FBI zu einer vollwertigen Polizeibehörde ausgebaut werden. Neu im Angebot ist auch ein «Schutzschild für die Demokratie». Europa brauche Instrumente, um die Manipulation von Informationen bekämpfen und ausländische Einflussnahme unterbinden zu können.

Von den rechtsextremen Fraktionen der «Patrioten für Europa» und den Souveränisten konnte Ursula von der Leyen keinen Applaus erwarten. In den eigenen Reihen hielt sich die Begeisterung in Grenzen, keine Standing ovations zum Schluss jedenfalls. Für eine klare Mehrheit hat es am Ende doch gerecht.