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Agrarpolitik in der EU
Europa steht vor einer radikalen Kehrtwende

STOCKHOLM, SWEDEN - JANUARY 30: France's President Emmanuel Macron and King Carl XVI Gustaf of Sweden arrive at Stockholm Palace on January 30, 2024 in Stockholm, Sweden. The French president and his wife are making a two day visit to Stockholm and Sweden, at the invitation of the King of Sweden. (Photo by Michael Campanella/Getty Images)
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Beim Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs soll es an diesem Donnerstag in Brüssel eigentlich um Finanzhilfen für die Ukraine gehen. Die Frage, ob Viktor Orban weiterhin sein Veto dagegen einlegt, dass die EU aus ihrem Haushalt 50 Milliarden Euro an die Ukraine zahlt, steht allerdings nun nicht mehr allein im Mittelpunkt. Die europäischen Bauern haben es mit ihren Protesten gegen die EU-Agrarpolitik geschafft, diesem Treffen ihre eigene Agenda aufzuzwingen. Und die richtet sich zum Teil gegen die Ukraine.

Vor allem der französische Staatspräsident Emmanuel Macron wird in Brüssel alles tun, um sich vor den wütenden Bauern in der Heimat als Mann der Tat zu inszenieren. In einem persönlichen Gespräch will Macron offenbar EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen überzeugen, die Pläne für das Freihandelsabkommen mit der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur ad acta zu legen. Mercosur umfasst fünf Länder: Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela.

Die Sorge vor einer Bewegung wie den Gelbwesten

Während in Deutschland viele Landwirte für Steuerprivilegien beim Agrardiesel auf die Strasse gehen, fürchten die französischen Bauern vor allem die Konkurrenz von billigem Fleisch aus Argentinien und Brasilien. Die Sorge des Präsidenten ist gross, dass sich ihre Proteste so kurz vor den Europawahlen im Juni zu einer Bewegung auswachsen könnten wie vor fünf Jahren jene der Gelbwesten, getrieben von der extremen Rechten um Marine Le Pen.

Für Ursula von der Leyen ist Mercosur ein heikles Thema. Sie hat die Verhandlungen nach jahrelangem Stillstand wieder in Gang gebracht und sieht das Abkommen als Mittel, um Europa unabhängiger von China und den USA zu machen. Eine Einigung scheint greifbar nahe zu sein.

Macron erweckte in den vergangenen Tagen den Eindruck, von der Leyen habe sich seinem Willen gebeugt und die Verhandlungen beendet – aus Brüsseler Kreisen wurde das jedoch dementiert. Freihandelsverträge abzuschliessen, liegt in der Kompetenz der EU-Kommission. Frankreich könnte sich im Nachhinein verweigern. Die Frage wird sein, wie Macron und von der Leyen einen offenen Konflikt in einer derart zentralen Frage vermeiden.

A chicken walks in a lane as farmers block a highway Tuesday, Jan. 30, 2024 in Jossigny, east of Paris. With protesting farmers camped out at barricades around Paris, France's government hoped to calm their anger with more concessions Tuesday to their complaints that growing and rearing food has become too difficult and not sufficiently lucrative. (AP Photo/Christophe Ena)

Paris war immer schon skeptisch, was das Abkommen mit Mercosur angeht, nicht zuletzt, weil sich die Wahrnehmung durchgesetzt hat, dass andere Länder, insbesondere Deutschland, mehr davon profitieren würden als Frankreich. «Argentinische Rinder für deutsche Autos», heisst es gern.

Jenseits von Karikaturen und Klischees gehen die Meinungen über die Freihandelsabkommen auch in Frankreich weit auseinander. Das Beispiel der Vereinbarung mit Kanada zeigt, dass französische Agrarexporteure seit der Marktöffnung 2017 ihren Absatz dort stark ausbauen konnten, während viele kanadische Firmen den europäischen Normen nicht genügen und deshalb ihre Importquoten nicht ausschöpfen. Aber solche Argumente zählen derzeit wenig.

Ökologie gegen die Bauern?

Mit mehreren Beschlüssen hat die EU-Kommission am Mittwoch versucht, Macron ein Entgegenkommen zu signalisieren. So ging sie auf eine Hauptforderung der französischen Landwirte ein, indem sie vorschlug, die Verpflichtung zu Flächenstilllegungen um ein weiteres Jahr auszusetzen. Die Subventionsrichtlinien der EU sehen seit 2023 aus ökologischen Gründen vor, dass Landwirte die vollen Beihilfen nur erhalten, wenn sie vier Prozent ihrer Fläche zur Brache machen.

Die Regel wurde erst ausgesetzt mit dem Hinweis, Europa müsse während des Kriegs in der Ukraine für globale Ernährungssicherheit sorgen. Diesmal lautet die Begründung, die europäische Landwirtschaft befinde sich in einer allgemeinen Notlage.

Und dann sind da noch die Hühner aus der Ukraine

Ein weiterer Streitpunkt, den Macron aus den Debatten in Frankreich nach Brüssel trägt, sind die sprunghaft gestiegenen Importe aus der Ukraine, vor allem von billigen Hähnchen und Eiern. Auch hier hat die EU-Kommission am Mittwoch reagiert. Ukrainische Produkte sollen zwar generell bis Juni 2025 weiterhin zollfrei in die EU exportiert werden können.

Zugleich plädiert die Kommission aber für Schutzmassnahmen für EU-Bauern, vor allem in «empfindlichen» Agrarbereichen. Für Geflügel, Eier und Zucker ist eine «Notbremse» vorgesehen für den Fall, dass mehr importiert werde als im Schnitt der Jahre 2022 und 2023. Dann könnten wieder Zölle eingeführt werden. Bei den «Schutzmassnahmen» sollen die Mitgliedsländer der EU mehr Mitspracherecht als bisher haben.

Auch die belgischen Bauern demonstrieren

Das alles bedeutet eine radikale Kehrtwende in der EU-Politik. Im Vorjahr hatte die Kommission noch Strafmassnahmen gegen osteuropäische Länder eingeleitet, die sich gegen Getreideimporte aus der Ukraine wehrten.

Die Vorschläge der EU-Kommission müssen nun von den 27 Regierungen und vom Europaparlament gebilligt werden. Ob sie reichen, die wütenden Bauern zu besänftigen, ist fraglich. Belgische Bauernorganisationen haben angedroht, anlässlich des EU-Gipfels an diesem Donnerstag mit ihren Traktoren Teile von Brüssel lahmzulegen.