Affenpocken in der Schweiz«Es gibt auch Fälle ganz ohne die klassischen Haut-Pocken»
In der Schweiz wurden bisher rund 40 Fälle nachgewiesen. Der Zürcher Infektiologe Benjamin Hampel betreut mehrere Patienten. Er beobachtet unerwartete Verläufe.
Herr Hampel, Sie betreuen beim Checkpoint Zürich fünf Affenpocken-Patienten. Wie geht es ihnen?
Es geht ihnen gut. Vier Fälle waren deutlich leichter, als es sonst beschrieben wird. Der fünfte fühlte sich mit Fieber schon etwas krank. Die fünf Patienten lassen sich natürlich nicht verallgemeinern, aber wir tauschen uns unter den Infektiologinnen und Infektiologen intensiv aus. Wir erwarten eine grosse Bandbreite. Der Verlauf hängt auch von der Pockenimpfung ab, die in der Schweiz noch bis 1972 gemacht wurde. Ein Teil der Geimpften erkrankt trotzdem, allerdings milder. Auch der Zustand des Immunsystems spielt natürlich eine wichtige Rolle.
Es heisst, dass beim aktuellen Affenpocken-Ausbruch die Verläufe generell mild seien.
Es kam schon vor, dass der eine oder andere Fieber hatte oder sich ein paar Tage krank fühlte. Aber wir hatten meines Wissens schweizweit noch keinen Fall, bei dem eine stationäre Behandlung im Spital nötig gewesen wäre. Das aktuelle Krankheitsbild ist nicht ganz so klassisch, wie es im Lehrbuch oder im Internet steht. Die Verläufe sind nicht nur deutlich milder, wir sehen auch sehr unterschiedliche Symptome, wie man sie aus der Literatur nicht unbedingt kennt, zum Beispiel ein anderes Verteilungsmuster der Hautveränderungen oder auch Fälle ganz ohne die klassischen Haut-Pocken.
War bei Ihren Patienten eine spezifische Therapie notwendig?
Nein. Es gibt das Medikament Tecovirimat, das nicht in der Schweiz, aber in den USA zugelassen ist – allerdings nicht wie üblich aufgrund von klinischen Studien, sondern nur mit Labordaten. Bei einer Erkrankung, die in aller Regel nicht tödlich ist, muss man in einer solchen Situation zurückhaltend sein. Das heisst, das Medikament sollte Patienten nur im Rahmen von einer Studie verabreicht werden. Wir bemühen uns in der Schweiz deshalb darum, dass wir künftig bei einem entsprechenden Projekt der Universität Oxford mitmachen können.
Im Normalfall wird aber einfach symptomatisch behandelt.
Genau. Wenn jemand Fieber hat, gibt man ein übliches fiebersenkendes Mittel. Bei den Hautläsionen kann man etwas gegen den Juckreiz geben. Die allermeisten Patienten brauchen nichts.
«Es stimmt nicht, dass sich die Leute ausschliesslich bei Sexpartys angesteckt haben.»
Laut Berichten geschahen die allermeisten Ansteckungen auf Partys für Männer, die mit Männern Sex haben, MSM. War das auch bei Ihren Patienten so?
Ja. Was aber nicht stimmt, man aber häufig liest, ist, dass sich die Leute ausschliesslich bei Sexpartys angesteckt haben. Wir haben Patienten, die waren auf einer dieser Veranstaltungen, hatten dort aber keinen Sex. Bei den Affenpocken ist es eben nicht wie mit dem HI-Virus, bei dem die Übertragung im Wesentlichen beim Geschlechtsverkehr geschieht. Es gibt auch keine medizinische Erklärung, warum es MSM mehr treffen sollte als andere. Es ist einfach Zufall, dass das Virus in ein Netzwerk gekommen ist, das eng verknüpft ist.
Haben sich die über 40 Schweizer Patienten alle im Ausland angesteckt?
Bis vor kurzem war das so. Mittlerweile haben wir, soviel ich weiss, mindestens eine Ansteckung in der Schweiz. Es ist gut möglich, dass es gerade nach dem Pride Festival noch ein paar mehr werden.
Bis jetzt isoliert man Infizierte, nicht aber Kontaktpersonen. Reicht das?
Das machen wir seit Beginn so. Wenn jemand Kontakt mit einer infizierten Person hatte, soll sie sich die nächsten 21 Tage gut beobachten und sofort melden, wenn sie Fieber hat oder einen Hautausschlag bemerkt. Zum Glück sind wir nicht in der Situation wie mit dem Coronavirus, bei dem man sich auch im Tram oder im Einkaufsladen anstecken kann. Wir sehen, dass es für eine Ansteckung wirklich engen Körperkontakt braucht.
Kann man sich auch einfach durch Berührung von kontaminierten Oberflächen infizieren, einem Geländer oder Glas?
Von dem, was wir wissen, wäre das theoretisch möglich. Allerdings, wenn das tatsächlich passieren würde, sähen wir ganz andere Infektionszahlen.
Wie steht es mit Ansteckungen über Aerosole? Beispielsweise führen die US-amerikanischen Behörden diesen Übertragungsweg auf.
Wenn wir ganz ehrlich sind, wissen wir das nicht. Ich glaube aber nicht, dass Aerosole eine Rolle spielen. Wir kennen das Virus seit den 1950er-Jahren und hätten viel häufigere und heftigere Ausbrüche gehabt, wenn dieser Übertragungsweg relevant wäre. Aber Tröpfcheninfektionen über kurze Distanzen sind wahrscheinlich möglich. In einer Krankheitsphase mit hoher Viruslast kann es sein, dass der Erreger auch im Speichel ist. Dann reicht es aber nicht wie bei Covid, eine halbe Stunde im gleichen Raum zu sein. Bei Affenpocken muss man wirklich sehr nahe aneinander stehen.
Könnte sich das Virus nicht angepasst haben und neu durch Aerosole übertragbar sein?
Von dem, was man bis jetzt bei Genanalysen gesehen hat, deutet nichts darauf hin. Meiner Ansicht nach hat der gegenwärtige Ausbruch viel mit Zufall zu tun. Das Affenpockenvirus trifft auf eine Population, die nach Covid glücklich ist, dass wieder Partys stattfinden. Und das ausgerechnet im Pride-Monat Juni mit zahllosen Grossveranstaltungen. Vor einem halben Jahr während Covid wäre der Affenpocken-Ausbruch innerhalb von zwei, drei Wochen vorbei gewesen.
«Wir hätten viel häufigere und heftigere Ausbrüche gehabt, wenn Aerosole als Übertragungsweg relevant wären.»
Aktuell scheint es schwierig, über Affenpocken zu sprechen, ohne zu stigmatisieren. Wie erleben Sie das?
Zurzeit ist es tatsächlich schwierig. Hier in der Schweiz versuchen wir über die Aids-Hilfe Schweiz direkt die Zielgruppe anzusprechen. Das läuft sehr gut, finde ich. Das Virus trifft auf eine Community, die durch HIV wahnsinnig erfahren ist mit Epidemien und Virenkrankheiten. Das haben wir schon bei Covid gemerkt. Die Impfrate war viel höher als in der allgemeinen Bevölkerung. Auch das Bewusstsein und der Zugang zu Information sind sehr gut. Die Leute verfallen weniger in Panik, sind einfach nüchtern und informieren sich.
Denken Sie, dass es reicht, sich auf MSM zu fokussieren?
Wir müssen den Fokus sicher noch auftun. Es haben sich global schliesslich nicht nur MSM angesteckt. Das muss man schon nochmals betonen. Deshalb ist es auch wichtig, dass nicht nur Mitarbeitende von Einrichtungen wie dem Checkpoint Zürich, sondern auch Hausärztinnen, -ärzte und andere Gesundheitsfachpersonen Bescheid wissen.
Haben Sie Sorge, dass es trotz Bemühungen zu Stigmatisierungen kommt?
Das ist eine reelle Gefahr. Diese besteht immer, wenn es Randgruppen trifft. Es gibt ja auch regelmässig irgendwelche Infektionsausbrüche bei zum Beispiel religiösen Gruppen, die eng aufeinander sind. Das Problem ist immer, dass eine Erkrankung dann mit einem gewissen Outing einhergeht. Bei den Affenpocken ist deshalb auch die Frage, ob ein Bestehen auf der Isolation Infizierter kontraproduktiv ist. Es wird sicher Leute geben, die nicht zu uns kommen, weil sie dann dem Umfeld erklären müssen, wieso sie sich mindestens 10 Tage isolieren. Allerdings, was viele nicht wissen, reicht ein ärztliches Zeugnis ohne Angabe eines Grunds. Aber ich denke, dass die meisten Leute verantwortungsvoll sind, selbst wenn sie nicht zu uns kommen. Sie gehen dann nicht gleich an die nächste Party, sondern ziehen sich bei einem Verdacht zurück und schützen so ihr Umfeld trotzdem.
Die Ansteckungskurve ist steil gestiegen. Die WHO erwägt aktuell sogar Ausrufung eines internationalen Gesundheitsnotstands. Wie geht es weiter?
Ich habe mir während Corona angewöhnt, in Interviews keine Prognosen mehr über epidemiologische Verläufe zu geben. Da kann man nur verlieren. Die Kurve steigt jedenfalls weltweit und trifft derzeit eine Population, die weltweit stark vernetzt ist. Das heisst, man muss wirklich global denken. Etwas Hoffnung macht, dass wir jetzt die Konsequenzen der Ansteckungen in der Anfangsphase sehen. Inzwischen sind alle informiert und verhalten sich entsprechend. Zudem ist es viel einfacher, mit Massnahmen die Ansteckungen einzudämmen als beim Coronavirus.
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