Serbelnde Volksinitiativen Geld gewinnt
Die Initiative zum Grundeinkommen droht früh zu scheitern. Kein Zufall, in den vergangenen Jahren sind überdurchschnittlich viele Volksinitiativen im Sammelstadium abgestürzt. Die Gründe.
«Gebt mir drei Monate», sagt Raffael Wüthrich, «dann schauen wir.» Nun sind die drei Monate bald um, und Wüthrich muss zugeben: Vielleicht kann er, der Campaigner, die Sache nicht mehr retten.
Die Sache ist eine serbelnde Volksinitiative. 35’000 Unterschriften hat das Komitee bisher gesammelt. Erst 35’000. Bis Ende Jahr sollen 85’000 weitere Unterschriften dazukommen, damit das Quorum von 100’000 Unterschriften ohne Probleme erreicht wird. Wüthrich sammelt für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Bereits 2016 hat die Schweiz darüber abgestimmt, nun wollen es die Initianten mit einer Weiterentwicklung noch einmal versuchen.
Als es im Frühling mit dem Sammeln nicht vorwärtsgeht, wenden sie sich an Wüthrich. «Ich mag Feuerwehrübungen», sagt er. Wüthrich hat in den vergangenen drei Monaten viel telefoniert, noch mehr E-Mails geschrieben, Newsletter aufgesetzt, eine Website benutzerfreundlich gemacht, immer mit dem Ziel, möglichst viele Leute zum Sammeln zu motivieren.
Er selbst ging auch auf die Strasse. Die Menschen würden das Anliegen gerne unterschreiben, merkte er, doch Leute zu begeistern, damit sie über eine längere Zeit Unterschriften sammeln, das sei die Herausforderung. 130 Personen sammeln in diesen Tagen ehrenamtlich. «Es müssen mehr sein», sagt Wüthrich. «Die Initiative ist zu wenig bekannt. Und vielleicht wollen sich viele in dieser schwierigen Zeit lieber ablenken als engagieren.»
12 Initiativen stürzten ab
Der Berner ist mit seinem Problem nicht allein. Seit 2020 sind überdurchschnittlich viele Volksinitiativen im Sammelstadium abgestürzt. 12 von 21 Volksbegehren schafften es nicht, innert 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften zu sammeln. Zum Vergleich: Zwischen 2018 und 2020 waren es 6 von 18.
92’515 Unterschriften hat Felix Hepfer mit seinen Mitstreiterinnen für die Mobilfunkhaftungsinitiative gesammelt. Sie wollten Mobilfunkanbieter für Personen- und Sachschäden haftbar machen. «Unsere Sammelperiode fiel voll in die Corona-Zeit», sagt Hepfer. Da habe selbst die gewährte Verlängerung des Bundes nicht geholfen. «8000 Unterschriften zu wenig, das schmerzt schon.»
Er selbst ging mehrmals pro Woche auf die Strasse. «Wenn Sie 30 Unterschriften pro Stunde schaffen, dann sind sie richtig gut.» Hepfer hat im Vorfeld Gedankenspiele angestellt: 100 Leute sammeln 1000 Unterschriften. Oder 1000 Leute sammeln 100 Unterschriften. «In der Praxis ist es meist schwieriger, überhaupt Leute zu finden.»
Komme dazu, dass sie fast kein Geld gehabt hätten. Ein mittlerer fünfstelliger Betrag sei das Budget gewesen, erzählt er. Eher wenig. Die Bundeskanzlei rechnete vor Jahren den Initianten Kosten von 150’000 Franken vor. Die Zahl sei nicht mehr aktuell, schreibt die Bundeskanzlei. Campaigner Wüthrich geht von 200’000 bis 300’000 Franken aus, die man heute benötige.
Professionalität kostet Geld
Für Politologe Michael Hermann ist Covid-19 ein Mitgrund für das jüngste Abstürzen vieler Initiativen. Zudem werde seit längerem vor allem brieflich abgestimmt. Das Sammeln vor dem Abstimmungslokal rücke darum immer mehr in den Hintergrund. Das müsse man kompensieren können. «Man muss das heute schon sehr professionell angehen.» Professionalität heisst: Es braucht Geld.
Und dann gehe es bei Volksinitiativen oft um die Temperatur der Anliegen: «Wie stark drückt das Thema? Wie viele Überzeugte gibt es, die ihre Freizeit dafür opfern?» Diese Temperatur sei zum Beispiel bei der Hornkuh- oder der Pestizidinitiative sehr hoch gewesen. Diese Erfolgsbeispiele zeigten ihm, dass die direkte Demokratie nicht vor einem grundsätzlichen Problem stehe. «Volksinitiativen von Einzelpersonen sind noch immer möglich.» Beim Grundeinkommen sei womöglich etwas die positive Dynamik abhandengekommen, weil das Volk 2016 das Anliegen mit 77 Prozent ablehnte. In diesem Umfeld sei es anspruchsvoll, motivierte Helfer zu finden.
Gemäss Hermann gibt es bei den Volksinitiativen oft Nachahmereffekte. Etwa Anfang der 2010er-Jahre, als die SVP mittels Initiativen ziemlich erfolgreich Werbung für sich machte. «Andere Parteien haben dann versucht, dies nachzuahmen.» Die Folge waren überdurchschnittlich viele Initiativen im Sammelstadium und überdurchschnittlich viele, die scheiterten. Fazit, auch hier: Volksinitiativen sind keine Selbstläufer.
6.95 Franken pro Unterschrift
Es dauere nicht lange, erzählt Initiant Hepfer, bis man von Organisationen angesprochen werde, die ihre Dienste für das Sammeln anböten. Gegen Geld. 2.50 Franken bis 3 Franken koste eine Unterschrift. «Wir hätten diese Unterschriften gebrauchen könne, doch das Geld fehlte.» Campaigner Raffael Wüthrich erhielt kürzlich eine Offerte, darin kostete die Unterschrift 6.95 Franken.
Geld zahlen für Unterschriften, es ist das grosse Tabu – und doch machen es viele. Multimillionär Adrian Gasser hat für seine Justizinitiative eine Million Franken aufgeworfen, unter anderem auch, um Unterschriften zu sammeln. Und Raffael Wüthrich? Er zögert – und sagt dann: «Es geht bei vielen nicht mehr ohne.» Wenn man keine Partei, keinen Verband als Support und kein grosses Portemonnaie im Sack habe, dann sei eine Initiative wahre Knochenarbeit.
Am 2. August wollen sich die Initianten des bedingungslosen Grundeinkommens treffen und darüber befinden, ob sie sich diese Arbeit weiter antun sollen.
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