Zu wenig Unterschriften gesammeltMikrosteuer fällt Corona zum Opfer – «totaler Frust» bei Initianten
Mit der Volksinitiative für eine Steuer auf bargeldloses Bezahlen scheitert wohl erstmals ein Anliegen an der Pandemie. Bedroht Covid die Volksrechte?
Kurz vor der Ziellinie zu stürzen, tut besonders weh. Rund 93’000 Menschen haben die Volksinitiative für eine Mikrosteuer auf dem bargeldlosen Zahlungsverkehr unterschrieben. Doch vor bald zwei Wochen lief die Sammelfrist ab – und das Mindestquorum von 100’000 gültigen Unterschriften wurde verfehlt, wie die Bundeskanzlei vergangene Woche mitteilte.
Die angepeilte Steuerrevolution ist damit vorerst gescheitert. Die Initiative hätte die Mehrwertsteuer, die direkte Bundessteuer und die Stempelsteuern abschaffen wollen. Stattdessen wäre auf jeden elektronischen Geldtransfer eine Mikrosteuer mit einheitlichem Satz erhoben worden. Dieses System ist aus Sicht der Initianten einfacher und fairer, da es die Finanzindustrie stärker erfasst.
«Es ist ein totaler Frust», so kommentiert Oswald Sigg, ehemaliger Bundesratssprecher und Mitglied des Initiativkomitees, den Misserfolg. Für Sigg steht fest, dass die Corona-Pandemie das Hauptproblem war. Während vieler Monate sei es fast nicht möglich gewesen, auf der Strasse Unterschriften zu sammeln. Sigg, der sich seit seiner Pensionierung schon für mehrere Initiativprojekte engagierte, spricht aus eigener, praktischer Erfahrung: «Ich sammle oft auf dem Breitenrainplatz in Bern. Aber während der Pandemie verkehrten dort eine Weile lang praktisch keine Menschen mehr. Sie liessen sich die Einkäufe nach Hause liefern, statt in die Läden zu gehen, und fuhren auch nicht mehr Tram. An einem Tag hatte ich nach zweieinhalb Stunden auf dem Platz gerade mal drei Unterschriften beisammen.»
Auch dass Kantone und Gemeinden jeweils ausdrücklich zur brieflichen Abstimmung geraten haben, sei ein Problem gewesen, sagt Sigg. «Vor den Abstimmungslokalen lässt es sich oft am leichtesten für neue Anliegen sammeln. Es ist dann Wochenende, die Leute haben Zeit, sie mögen zuhören. Aber während der Pandemie blieben sie der Urne fern.» Nachteilig habe sich zudem das fehlende mediale Interesse ausgewirkt. «Es war praktisch unmöglich, unsere Initiative in Zeitungen, Radio oder TV zu bringen. Die Medien berichteten nur noch über Corona-Themen.»
Viele gescheiterte Initiativen
Die Pandemie entwickelt sich damit zur Gefahr nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für die Volksrechte. So sehen es jedenfalls erfahrene Campaigner wie Daniel Graf, der mit seiner Plattform Wecollect an der Sammlung für die Mikrosteuerinitiative beteiligt war. Laut Graf ist es wohl das erste Volksbegehren, dessen Scheitern sehr direkt auf die Corona-Situation zurückgeführt werden kann. «Es haben zwar auch andere Volksinitiativen in den letzten anderthalb Jahren das nötige Quorum verfehlt – meist aber so deutlich, dass Corona kaum der ausschlaggebende Faktor war.»
Auffällig ist freilich, dass seit November 2020 gemäss Angaben der Bundeskanzlei insgesamt elf Volksinitiativen im Sammelstadium gescheitert sind: eine ungewöhnlich hohe Zahl. Graf hält es denn auch für fatal, dass der Bund seine Unterstützung für Initiativ- und Referendumskomitees auslaufen lässt. Während einiger Monate leistete die Bundeskanzlei effiziente Hilfe bei der Beglaubigung der gesammelten Unterschriften. Diese Massnahme gilt aber nur noch bis Ende November. «Dabei ist die Pandemie noch nicht vorbei», kritisiert Graf. Die Beglaubigung der Unterschriften sei für die Initiativkomitees jeweils auch finanziell ein bedeutender Posten.
«Es war verdammt schwierig»
In diesem Punkt weiss Graf sich einig mit Patrick Eugster. Der Jungfreisinnige hat in den vergangenen anderthalb Jahren ebenfalls Unterschriften gesammelt, nämlich für die Anhebung des Rentenalters. Anders als die Mikrosteuerinitiative schaffte die Renteninitiative der Jungfreisinnigen mit rund 140’000 Unterschriften das Quorum deutlich. Die Corona-bedingten Probleme bei der Unterschriftensammlung auf der Strasse kennt aber auch Eugster: «Es war schon verdammt schwierig.» Die Jungfreisinnigen hatten indes das Glück, dass sie die Adressdatenbank ihrer Mutterpartei nutzen und Unterschriften per Versandweg erlangen konnten. «Das hat uns gerettet», sagt Eugster. Er würde es indes ebenfalls befürworten, wenn der Bund den Support bei der Beglaubigung verlängert.
Oswald Sigg wiederum stört sich grundsätzlich am Konkurrenzvorteil der grossen Parteien mit ihren schlagkräftigen Apparaten. «Die Volksinitiative ist ein Instrument für das Volk. Den Mitgliedern des Parlaments steht die parlamentarische Initiative zur Verfügung. Stattdessen missbrauchen die Parteien die Volksinitiative als Marketinginstrument.» Sigg würde es daher begrüssen, wenn man Mitgliedern des Parlaments gesetzlich die Einsitznahme in Initiativkomitees untersagte.
Vorerst wird sich nun allerdings die Frage stellen, wie es mit der Mikrosteuer weitergeht. «Wir werden die Situation besprechen», sagt Sigg. Er schliesst nicht aus, dass man nochmals einen neuen Anlauf für das Projekt nimmt – wenn dereinst der Frust und die Pandemie verflogen sind.
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