Interview zum Endlager-Standort«Der Entscheid der Nagra ist aus Sicht eines Wissenschaftlers etwas seltsam»
Die Nagra will den Atommüll in Nördlich Lägern entsorgen. Der Geologe Marcos Buser kritisiert den Prozess und äussert Zweifel am jetzigen Entscheid.
Sie haben die Lagersuche als unabhängiger Experte jahrelang kritisch begleitet. Was sagen Sie zum jetzigen Entscheid für den Lagerstandort Nördlich Lägern?
Ich habe grosse Fragezeichen. Es ist aus Sicht eines Wissenschaftlers etwas seltsam, dass sich die Nagra jahrzehntelang kaum um Nördlich Lägern geschert hat – und nun steht es an erster Stelle. Es braucht jetzt eine unabhängige Untersuchung, wie es dazu kam. Dafür müsste die Nagra nun ihre Forschungsergebnisse im Detail publik machen.
Unterstellen Sie der Nagra, sie habe nicht gründlich untersucht?
Das kann man nicht sagen, wenn man die Daten nicht kennt. Jedenfalls wird sie gut erklären müssen, warum man in Nördlich Lägern mit einem Lager bis auf 900 Meter tief gehen kann, wenn es zuvor hiess, mehr als 600 Meter Tiefe seien nicht möglich.
Warum ist das wichtig?
Weil sich die Verhältnisse so tief unten stark ändern. Die Druckverhältnisse beispielsweise nehmen zu. Ich bin auch nicht überzeugt, dass die Platzverhältnisse im Untergrund von Nördlich Lägern wirklich so gut sind. Und ich kann mir vorstellen, dass sich Störungszonen zeigen werden, wenn man das Gebiet genauer untersucht. Bisher sind es ja nur wenige Bohrungen. Zudem werden in dieser Gegend Gasvorkommen unterhalb des Lagerstandorts vermutet. Ich möchte die wissenschaftlichen Daten sehen, die zeigen, dass das alles kein Problem ist.
«Es fehlt eine gut etablierte Fehlerkultur oder eine Auseinandersetzung mit kritischen Haltungen.»
Gibt es in der Schweiz auf dem Gebiet überhaupt genug unabhängige Forscherinnen und Forscher? Da es keine AKW mehr gibt, ist das Studium der Kernphysik nicht sehr attraktiv.
Unabhängigkeit hängt direkt von strukturellen Rahmenbedingungen ab. Wenn kein Geld in die Hand genommen wird, um Leute auszubilden, und dann nur diejenigen gefördert werden, die in ein bestimmtes Denksystem passen, hat es eine unabhängige Wissenschaft schwierig.
Noch gibt es auf der Welt kein funktionierendes Tiefenlager für den strahlenden Abfall. Die Schweiz will das nun bewerkstelligen. Sie haben den Prozess der Suche immer wieder hart kritisiert. Was stört Sie?
Das Verfahren ist aus meiner Sicht falsch aufgegleist. Es fehlt vieles, was für eine gute Wissenschaft nötig ist. So zum Beispiel gute strategische Planung, eine gut etablierte Fehlerkultur oder eine Auseinandersetzung mit kritischen Haltungen. Solange hier nicht grundlegend korrigiert wird, ist mit weiteren Rückschlägen zu rechnen.
Sie haben in der Vergangenheit einmal davon gesprochen, dass es zwischen der Nagra und den Behörden einen Filz gebe.
Sagen wir es mit anderen Worten: Das Bundesamt für Energie sowie das Eidgenössische Nuklearinspektorat, welche die Nagra beaufsichtigen sollten, haben es mit ihr auf eine Zusammenarbeit angelegt – und nicht auf einen Prozess mit einer unabhängigen Begleitung. Das ist gefährlich. Und kontraproduktiv.
Warum?
Die vergangenen Jahrzehnte haben es immer wieder gezeigt. Projekte stürzen ab. Nehmen wir den Wellenberg: Unabhängige Experten haben schon früh gesagt, er sei nicht geeignet. Trotzdem hielt die Nagra über Jahrzehnte daran fest. Dann das Weinland: Auch da haben wir vor Erosionsproblemen gewarnt – doch die Nagra blieb lange unbelehrbar. Das zeigt: Sie setzt sich mit kritischen Einwänden einfach nicht auseinander. Und muss dann hinterher einsehen, dass sie falsch lag. Sie hat Fehler bisher leider nie zugegeben.
Die «SonntagsZeitung» hat 2012 ein Geheimpapier der Nagra veröffentlicht – mit einem Plan für künftige Lagerorte, bevor überhaupt überall gebohrt wurde. Was hat diese Affäre bewirkt?
Bis dahin haben die Behörden beim Bund, aber auch in den Kantonen die Nagra einfach machen lassen. Erst als die Nagra 2015 genau das vorschlug, was in dem Geheimpapier bereits 2011 stand, wurden die Behörden aktiv. Vor allem im Kanton Zürich. Sie verlangten nun, dass neben dem Weinland auch Nördlich Lägern weiter untersucht wird. Das Geheimpapier hat viele verstört, unabhängige Wissenschaftler, aber auch Leute bei der Nagra. Darum wurde es ja auch publik. Und trotzdem haben die Behörden diese Affäre nie genau untersucht. Das ist für die Glaubwürdigkeit des Prozesses schlecht.
Warum hat sich die Nagra schon früh auf das Weinland eingeschossen?
Ich weiss es nicht. Vielleicht wollte man Geld sparen und das Problem der Entsorgung möglichst rasch lösen. Die Nagra ist von den AKW-Betreibern bezahlt und flankiert von Behörden, die sich nicht als kritische Begleiter verstehen. Deshalb weiss die Öffentlichkeit nicht, welche Vorgaben die Nagra hat.
Wie geht es jetzt weiter?
Seit ein paar Jahren ist bei der Nagra eine neue Crew am Werk, seit kurzem ein neuer Chef. Man spürt bereits, es hat ein Kulturwandel stattgefunden, hin zu mehr Offenheit auch gegenüber kritischen Fragen. Es sind so weit gute Leute. Sie müssen jetzt aber die Fehler der Vergangenheit ausbaden. Ob das gelingt, wird man sehen. Allerdings werden die Daten der Nagra zum jetzigen Entscheid erst irgendwann in der Zukunft im Detail publiziert. Unabhängige Forscher können somit heute nicht damit arbeiten. In der Wissenschaft herrscht aber das Prinzip der Transparenz, der offenen Quellen. Nur das schafft Vertrauen.
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