Beschlagnahmung von RussengeldErster Prüfstein für Baume-Schneider
Die neue Bundesrätin muss sich mit einem schwierigen Dossier befassen: der Beschlagnahmung russischer Vermögen. Der Justizministerin obliegt die Verantwortung für die komplizierten Rechtsfragen.
Die Gelder russischer Oligarchen konfiszieren? Vor wenigen Monaten noch schien das fast undenkbar. Jetzt rückt es für den Bundesrat in den Bereich des Möglichen. Das stellte Bundesrat Ignazio Cassis diese Woche am Weltwirtschaftsforum in Davos klar. Die eingefrorenen Vermögen seien «eine mögliche Quelle für den Wiederaufbau» der Ukraine, erklärte Cassis gegenüber dieser Zeitung. Bedingung wäre für den Bundesrat, dass der Schritt international abgestimmt erfolgt.
Ebenso klar ist aber auch, dass es Gesetzesänderungen bräuchte, um die Vermögen kremlnaher Personen einzuziehen. Auf einer Sanktionsliste der Staatengemeinschaft zu stehen, ist für sich allein kein Straftatbestand, der eine Beschlagnahmung von privatem Eigentum rechtfertigen würde. Cassis verwies darauf, dass sich eine Arbeitsgruppe des Bundes derzeit mit den rechtlichen Fragen befasse.
Hier kommt nun Elisabeth Baume-Schneider (SP) ins Spiel, die neu gewählte Justizministerin, die am 1. Januar ihr Amt angetreten hat. Die besagte Arbeitsgruppe wird nämlich geleitet von Michael Schöll, dem Direktor des Bundesamts für Justiz (BJ). In der Gruppe, die – von der Öffentlichkeit praktisch unbemerkt – ihre Tätigkeit schon im November aufgenommen hat, sind noch weitere Verwaltungseinheiten vertreten: die Staatssekretariate für Wirtschaft und für internationale Finanzfragen, ebenso das Aussendepartement. Die Federführung aber liegt bei Schöll und beim BJ – und damit bei deren politischer Vorgesetzter Baume-Schneider. Auf ihr Wort wird es schwergewichtig ankommen, wenn sich der Gesamtbundesrat über das Thema beugt.
Die Hindernisse sind gross
Das Dossier ist heikel, denn die Beschlagnahmung von Russengeldern ist mit einem blossen gesetzgeberischen Federstrich kaum zu bewältigen. Der Einzug von Vermögenswerten stelle einen «massiven Eingriff in die Eigentumsgarantie und weitere verfassungsmässige Grundrechte der Betroffenen dar», schrieb der Bundesrat letzten Sommer in seiner Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss. Eine ganze Reihe juristisch-verfassungstechnischer Komplikationen wird also zu bedenken sein. Ob es überhaupt zu schaffen ist, ohne den Rechtsstaat zu schleifen, darüber scheiden sich die Meinungen.
Sollten in der BJ-geführten Arbeitsgruppe die Bedenken gegenüber einem solchen Schritt am Ende überwiegen, könnte es Baume-Schneider politisch in die Zwickmühle bringen. Zwar sind von ihr bislang kaum Äusserungen zur Ukraine-Thematik dokumentiert; als Ständerätin war sie mit anderen Themen beschäftigt. Anzunehmen ist aber, dass sie als SP-Vizepräsidentin den offiziellen Ukraine-Kurs der Partei stützte. Die SP hat sich früh schon mit Vehemenz für die Beschlagnahmung von Oligarchengeldern ausgesprochen. Nun jedoch muss Baume-Schneider als «juristisches Gewissen» innerhalb des Bundesrats möglicherweise zur Vorsicht mahnen – dies umso mehr, als sie, studierte Soziologin ohne juristischen Hintergrund, auf die BJ-Expertise ganz besonders angewiesen sein wird.
Oligarchen wendeten sich trotz Sanktionen nicht von Putin ab
Massgeblich für die Entscheide des Bundesrats dürften am Ende aber die Entwicklungen im Ausland sein. In der EU manifestiert sich immer mehr politischer Wille, die Konfiskationen zu ermöglichen. «Dass die Schweiz die eingefrorenen Gelder irgendwann wieder freigibt, während die EU sie einzieht, ist fast unvorstellbar», sagt der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina. Er ist zuversichtlich, dass der Bundesrat seinen früheren Widerstand bald aufgeben wird.
Eine Kehrtwende wäre in der Tat spektakulär. Vor ein paar Monaten hatte die Regierung auf entsprechende Ansinnen noch mit brüsker Ablehnung reagiert, unter anderem mit einem politischen Argument: Sanktionen wie die Einfrierung von Vermögen hätten das Ziel, bei den Betroffenen eine «Verhaltensänderung» zu bewirken. Dieser Anreiz verfalle, wenn man das eingefrorene Geld beschlagnahme. Die Hoffnungen allerdings, dass sich sanktionierte Oligarchen in grossem Stil vom Putin-Regime abwenden würden, blieben bislang unerfüllt.
Zunächst ist es nun an den Experten der Verwaltung, die Optionen aufzuzeigen. Die Arbeitsgruppe werde ihre Analyse «in den nächsten Wochen» zuhanden des Bundesrats abschliessen, teilt das BJ mit. Weitere Angaben mache man derzeit nicht.
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